Eine Schweißperle rann mir die Stirn hinab. Warum musste es so heiß sein ...
... und der Berg so steil? Angestrengt trat ich in die Pedale. Es war Gott sei Dank nur noch ein kleines Stück bis zum Gatter.
Dort angekommen ließ ich mein Fahrrad erschöpft auf die Wiese plumpsen. Zum Ausklappen des Ständers oder Anlehnen an den morschen Holzzaun fehlte mir eindeutig die Kraft.
Ein wenig benommen von der Hitze und Anstrengung taumelte ich zum Zaun.
Ich brauchte nicht lange zu suchen.
Eine große braungebrannte Gestalt erhob sich von der hohen Wiese, eine Sichel über die Schulter geworfen.
Ich musste schmunzeln. Großvater würde an die Decke gehen, wenn er Kieran so sehen würde.
Ich pfiff durch zwei Finger, wie Mei es mir beim Fußball beigebracht hatte. Prompt schaute Kieran auf und kam mit einem Winken auf mich zu.
Die Sonne hatte sein ohnehin schon blondes Haar weiter aufgehellt, sodass es einen faszinierenden Kontrast zu seiner gebräunten Haut bildete.
Ich errötete bei dem Gedanken, wie ich letzte Nacht in seinem Bett meine Finger in diesem vergraben hatte.
Es war ein gefährliches Spiel, das wir trieben. Allerdings war Großvater ein paar Tage weg und kam erst heute Abend wieder. Und Yuna bekam entweder nichts mit oder sie schwieg. Wie immer.
„Bist du gekommen, um mir auf dem Feld zu helfen?" Ein befreites Lachen lag auf seinem Gesicht, das mein Herz höherschlagen ließ.
„Was ist der Stundenlohn?", fragte ich mit fachmännischer Miene.
Kieran war keine zwei Meter mehr entfernt.
„Einmal vögeln." Mit einem Grinsen ließ er den Rechen in die Erde hinab sausen wie eine Sense.
Ich spürte wie meine Wangen erröteten und verdrehte die Augen.
Herausfordernd lehnte ich mich ein Stück zurück. „Was ihr Arbeitgeber wohl dazu sagt, Herr Delorean?"
„Entweder entlässt er mich oder will mitmachen." Kieran zog eine Grimasse.
Ich konnte ein Grinsen nicht verhindern. Sein Arbeitgeber war achtzig.
„Und danach schickt er mich bestimmt wieder zum Stall ausmisten." Stöhnend lehnte Kieran sich über das Geländer zwischen uns.
Ich wusste, was er wollte. Einen flüchtigen prüfenden Blick ließ sich über die Felder in die Ferne schweifen, während Kieran wie so oft alles egal zu sein schien. Manchmal drängt sich mir das Gefühl auf, er wollte, dass man uns entdeckte. Etwas, das ich unter allen Umständen vermeiden wollte.
Doch da heute wie meistens niemand zu sehen war, kam ich ihm entgegen.
Kieran griff um meinen Hals und küsste mich. Ich erwiderte den Kuss. Allerdings mischte sich wie so oft rasch etwas Wildes hinein.
„Der Zaun ist im Weg", murmelte Kieran an meinen Lippen, während seine Finger sich in meinem Haar vergraben hatten.
Ich musste lächeln. „Eine notwendige Sicherheitsvorkehrung."
„Warum?" Kieran schaut mir tief in die Augen.
„Um dich in Zaun zu halten."
Mit einem lauten Lachen löste sich Kieran von mir. „Ein ausgezeichneter Wortwitz. Falls Jura nicht klappt, solltest du Comedian werden, Mari."
Ich streckte ihm die Zunge raus.
Sofort war Kieran wieder dicht vor mir. „Sehr frech mir deine süße Zunge rauszustrecken." Sein Daumen fuhr über meine Unterlippe. „Ich glaube nicht, dass ein Zaun mich von dir fernhalten kann."
Mein Herz pochte aufgeregt.
„Deinen schweißgebadeter Körper aber schon", neckte ich liebevoll und trat einen Schritt zurück.
Kieran stützte seine Arme auf dem obersten Holzbalken und legte sein Kinn auf. „Könnte ich auch von dir sagen nach deinem Fußballtraining."
Verschmitzt verschränkte ich die Arme. „Bisher hat es dich nicht gestört?"
Kieran legte ein warmes Lächeln auf. „Dein Duft ist das Letzte, was mich an dir stört."
„Aha", gab ich zurück und legte den Kopf schräg. „Was sind denn die Dinge, die dich sonst so an mir stören?"
Kierans Augen verdunkelten sich, während er mich weiterhin beobachtete.
„Komm her", raunte er.
Ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange. Wie einem unsichtbaren Ziehen folgend, trat ich auf ihn zu.
Kieran erhob sich vom Geländer. Seine Hand langte nach meiner Bluse und er zog sanft am Kragen.
„Die stört mich zum Beispiel."
Ich konnte ein Lächeln nicht verstecken. „Ich fürchte, es schickt sich nicht, wenn ich hier wie du oberkörperfrei herumturne."
„Turne?" Erneut erklang das glockenhelle Lachen. „Hallo? Ich arbeite hart."
„Sehr hart", gab ich zurück und lugte flüchtig an ihm vorbei. „Ich sehe noch viel hohes Gras."
Kieran verengte die Augen zu Schlitzen. „Die Mähmaschine ist kaputt und ich darf den ganzen Spaß hier per Hand machen."
Verschmitzt spitzte ich die Lippen. „Ausflüchte ... nichts als Ausflüchte höre ich da."
„Dass du mich ablenkst, ist wohl auch eine Ausrede", kam es belustigt zurück.
„Vielleicht", murmelte ich.
„Komm rüber", forderte Kieran mich mit einem Nicken auf.
„Das unerlaubte Betreten eines fremden Grundstücks ist Hausfriedensbruch und stellt damit eine ernstzunehmende Straftat dar."
„Jaja, du zukünftige Juristin, jetzt hüpft schon ..."
„... auf die dunkle Seite", neckte ich und raffte meinen Rock.
Kierans Blick wanderte kurz zu meiner entblößten Haut.
„Auf die hart arbeitende Seite, kleine Prinzessin."
„Du könntest auch Jura studieren", schlug ich vor, während ich die erste Sprosse hochkletterte.
„Niemals", entgegnete Kieran – auch wenn seine Stimme weich war, hörte ich den Zorn heraus. Selbst jetzt, wo die Person, der er galt, gar nicht hier war.
„Stimmt, du wolltest ja Hausmann werden."
Kieran griff nach meinen Hüften. „Und du meine gutverdienende Anwaltsfrau."
„Anwältin soso." Mit einem Lachen fiel ich rüber in seine Arme. „Damit ich dich aus der Sch ... dem Schlamassel boxen kann, den du immer anrichtest."
„Und der Fickscheiße."
Ich schüttelte den Kopf, während Kieran mich sanft auf die Füße entließ.
„Und wie wollen wir die verbliebene Zeit nutzen, bevor der alte Sack wieder auftaucht?
Ich schürzte die Lippen. „Vielleicht sollten wir dir etwas zum Anziehen besorgen."
Kieran grinste. „Ich dachte, der Anblick gefällt dir."
Er konnte nicht richtiger liegen. Allerdings war mir immer noch mulmig zumute bei dem Gedanken, dass uns jemand sehen könnte. Auch wenn die Herrenhäuser und Höfe teilweise meilenweite Felder und Wälder trennten, reichte eine Person in dieser verschworenen Gemeinde aus, um ein Lauffeuer zu entzünden.
Kieran nickte kurz, als würde er meine stillen Sorgen verstehen. Nachdem er sich ein Shirt übergestreift hatte, verließen wir die Farm und Felder. Unser Weg führte uns in einen lichten Wald.
Ich mochte diese Wäldchen. Zum einen boten die Bäume einen beruhigenden Sichtschutz. Zum anderen ließen sie das warme Sonnenlicht durch – anders als der dichte Forst hinter unserem Haus.
Kieran griff nach meiner Hand und ich ließ es zu. Seine Finger spielten mit meinen, während wir durchs Grün wanderten.
„Vielleicht sollten wir einfach weiter gehen und nicht mehr zurückkommen", stimmte er seine Tagträumereien an.
Ich lächelte. Führte ich sonst die hundert Gründe auf, die dagegensprachen, blieb ich still. Dieses Mal wollte ich mit ihm gleiten in diese Träume von einem besseren Leben. Auch wenn es sich noch so fern anfühlte.
„Kein Widerspruch?", bemerkte Kieran.
Ich lehnte mich beim Gehen kurz an ihn. „Wo würdest du hinwollen?"
„Egal ... Hauptsache weit weg und gemeinsam mit dir."
Seine Worte verliehen meiner Seele kurzzeitig Flügel und ließen sie gen Himmel flattern.
„Vielleicht ein kleines Häuschen im Wald ...", grübelte ich.
„Vielleicht ein kleines Apartment für den Anfang."
Ich lachte auf. „Oh, bist du heute der Realist?"
Kieran löste seine Hand und legte seinen Arm um mich.
Ein Stück wanderten wir, bis wir an einem kleinen Bach angelangten. Fröhlich plätscherte dieser vor sich hin und das Wasser glitzerte im Sonnenlicht. Die Luft war erfüllt von dem Duft nach frisch gemähten Gräsern und Kiefern.
„Magst du kurz pausieren?", fragte Kieran.
Ich nickte und wir ließen uns am Bachufer nieder. Während Kieran sich prompt ins weiche Gras legte, saß ich mit angewinkelten Beinen dar und sah dem unermüdlichen Wasserstrom nach. Ich konnte mich jedoch nicht erwehren, ab und an einen Blick auf ihn zu werfen. Seinen schönen Körper, das sonnengeküsste Gesicht. So entspannt hatte ich ihn lange nicht mehr gesehen. Kierans Hand hob sich und seine Fingerspitzen strichen über meinen Rücken.
„Und was würdest du machen, wenn es nicht gerade Hausmann ist?", hakte ich nach.
Er verengte die Augen, da das Sonnenlicht ihn zu blenden schien. „Was ist so falsch an Hausmann?"
Ich verdrehte die Augen. „Ich glaube, es würde dir schnell langweilig werden."
„Ich kann den ganzen Tag Partys schmeißen und wenn du zurück bist ..."
„Vielleicht könntest du in einem Orchester spielen", schlug ich ernst vor und legte mich neben ihn. Aufmerksam betrachtete ich sein Profil.
Kieran lachte gestelzt. „Dafür bin ich nicht gut genug."
„Das weißt du nicht ..."
„Doch Mari, das weiß ich. Heute bin ich der Realist, schon vergessen?" Er schenkte mir ein Schmunzeln.
„Aber vielleicht", setzte er an, den Blick wieder von mir abgewandt, in den Himmel gerichtet. „Vielleicht kann ich es als Hobby weiterführen oder sogar Klavierstunden geben."
Ich biss mir auf die Wange. Kieran dominierte das Klavier. Manchmal teilte er es mit mir, ja, aber als Lehrer sah ich ihn nicht.
„Und was willst du dann machen?", flüsterte ich in die vorbei rauschende Brise.
„Gute Frage ...", kam es zurück und er schien ernsthaft nachzudenken. „Vielleicht kann ich Verschiedenes zusammenpuzzeln. Teilzeit auf dem Feld oder als Pfleger in einem Krankenhaus. Irgendetwas körperlich anstrengendes. Und dann selbstständig etwas in Richtung Musik, ob schaffend oder lehrend oder vielleicht beides."
Für einen flüchtigen Augenblick meinte er es ernst, bevor sich wieder die dünne Fassade aus Ironie erhob.
„Hauptsache kein Bürojob." Er grinste.
„Was ist mit Musikdozent an einer Hochschule oder Universität?", fragte ich.
Der Spott verharrte in seinen Augen. „Und kein Studium."
Zerknirscht blickte ich ihn noch immer an. „Weil Großvater das will."
„Wobei ..." Kieran strich mir durchs Haar. „Vielleicht sollte ich Kunst studieren, um ihm eins auszuwischen."
„Oder Fußballer werden", scherzte ich.
„Willst du das?", fragte er unverwandt. „Fußballerin werden?"
Ich stockte. „Nein, ebenfalls nicht gut genug. Und ich denke tatsächlich, dass Jura eine sichere Nummer sein könnte."
„Sichere Nummer", höhnte Kieran.
„Ja, es bringt Geld und ist ... etwas Solides", wiederholte ich die Worte, die mir irgendjemand oder vielleicht sogar Großvater selbst zugeworfen hatte.
„Das wird dich kaputt machen", kam es plötzlich mit einer Ernsthaftigkeit und Betroffenheit zurück, die untypisch war für Kieran.
Meine Augen suchten seine. „Wieso denkst du das?"
Er kam ein Stück näher und stupste mit dem Zeigefinger auf meine Nase.
„Auf Nummer sicher ist nicht deins", raunte er.
Überrascht sah ich ihn an. „Wie bitte? Sicherheit ist voll mein Ding."
Nachdenklich strich Kieran mir eine Strähne aus dem Gesicht, auch wenn der Wind sie in Nullkommanix wieder dorthin tragen würde. „Hier ist es deins ... aber nicht da draußen."
Für einen Moment grübelte ich, was er meinen könnte, bis ich es verstand.
Es war wie bei ihm. Das Haus oder vielmehr sein Besitzer bestimmte, wer wir waren. Auf unterschiedliche Weise aber doch gleich ...
Ein Funken Angst glomm in mir auf. Was, wenn er auch bestimmte, was zwischen uns war ...
Wenn er nicht mehr da war, was würde aus Kieran und mir werden? War es nur ein gebraucht werden, ein Aneinanderklammern, das zerbrach, sobald die Ursache sich auflöste? Wenn Großvater weg war, brauchte Kieran mich da nicht mehr als Halt? War ich für ihn nur ein Mittel ... nein, das wollte ich nicht zu Ende denken.
„Was wird aus uns, wenn wir nicht mehr hier sind?", hakte ich nach, nur um im nächsten Moment die noch viel quälender Frage zu stellen. „Denkst du, du brauchst mich dann noch?
Kierans blaue Augen schauten entgeistert drein. Augenblicklich langte sein Arm um mich und er zog mich an sich ungeachtet möglicher Grasflecken.
„Ich brauche dich nicht", flüsterte er ernst, seine Lippen nur wenige Zentimeter von meinen entfernt. „Ich will dich. Ich begehre dich. Ich ..."
Mein Herz hämmerte wie wild, erahnend, welche Worte folgen würden.
„Ich liebe dich, Marisol." Sanft umfing mich seine Stimme.
Ich spürte ein paar Tränen in meinen Augen. Freudentränen. Wenn nicht alles so ein Chaos wäre, wäre es perfekt. Aber vielleicht war es auch egal, was um uns herum passierte. In diesem Moment zählten nur wir beide.
Bevor ich seine Worte erwidern konnte, fuhr er fort: „Deine süße Art zu Lachen, bei der sich immer deine Grübchen abzeichnen und gefühlt dein ganzer Körper mit lacht. Deine Engelsgeduld, wenn mal wieder alle an die Decke gehen. Deine Ruhe und innere Stärke, mit der du mehr aushältst, als du ertragen solltest. Und deine wunderschönen Augen, in denen sich jedes noch so kleine Gefühl abzeichnet." Seine Finger fuhren durch mein Haar. „Deine Haare, deine Haut, jede Narbe vom Fußball ..."
Ich lächelte verlegen.
„Jede Narbe ..." Seine Fingerspitzen waren an meinen Wangen angelangt. „Und all das unabhängig von dem, was ist."
Ich vergrub mein Gesicht in seiner Halskuhle. „Ich dich auch Kieran. Ich liebe dich auch. Du bist der wichtigste Mensch für mich und ich vertraue dir. Ich habe noch nie mit jemandem so viel geteilt ..."
Hatte ich eben noch sein Lächeln an meiner Schläfe gespürt, fühlte ich, wie es erlosch.
„Alles okay?", fragte ich verunsichert und versuchte, seinen Blick zu erhaschen.
Kurz blickte dieser leer und ausdruckslos drein.
„Habe ich etwas Falsches gesagt?"
Sofort wurde sein Blick warm und zutraulich. „Nein alles gut Mari." Seine Mundwinkel hoben sich ein Stück. „Mach ruhig weiter mit der Liste, was du alles an mir liebst ..."
„Haha."
Doch bevor ich mich von ihm abwenden konnte, küsste er mich sanft auf den Mund und brachte damit alle Zweifel zum Erlöschen und sämtliche Glückshormone in mir zum Fliegen. Wie die Rotkehlchen in den strahlend blauen Himmel.
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Echoes in Time
RomanceMit acht Jahren wird Marisol adoptiert und zieht in das alte, riesige Herrenhaus der Familie Delorean ein. Dort erwartet sie nicht nur ein neuer Großvater, sondern auch Stiefbruder. Kieran, der Junge in ihrem Alter, zeigt ihr unmissverständlich, das...