- prolog -

433 33 7
                                    

«Mit Geld kann man seine Lage verbessern, aber nicht seinen Charakter.» -Fred Ammon

Es war schon immer so gewesen, dass ich knapp bei Kasse gewesen war.
Was vielleicht auch daran lag, dass ich eigentlich nie hier auf der Welt sein sollte.
Mein Vater hatte meine Mutter mit siebzehn geschwängert, mitten im Schuljahr. Meine Mutter wollte mich abtreiben, doch mein Vater hatte gemeint, dass ich auf die Welt kommen sollte. Ich wäre schliesslich ja auch seine Tochter und er hätte auch ein Recht was mit mir geschah.
Pff, ja klar.
Also trug meine Mutter mich neun Monate durch die Gegend, ohne die Anwesenheit meines Vaters zu spüren.

Dann, am fünften Oktober war es dann so weit, meine Mutter, brachte mich um zwei Uhr nachts, im Krankenhaus auf die Welt.
Jede Mutter meinte, dass die Geburt ihres Kindes, das Schönste ihres Lebens gewesen wäre.
Bei meiner Mutter war es nicht so.
Sie wollte mich so schnell wie möglich loswerden, und ihr Leben wieder neu starten.
Ohne meinen Vater und ohne mich.
Ich, ein zwei Wochen junges Baby, wurde ins Kinderheim gebracht, schliesslich war mein Vater schon über alle Berge, und meine Mutter tat so, als ob sie mich nicht kennen würde.
Ich wusste nicht von wem, aber jemand der bei meiner Geburt dabei war, hatte mir erzählt, dass sich meine Mutter noch nicht mal die Mühe gemacht hatte, sich einen Namen für mich auszusuchen.
Daraufhin, hatte die Krankenschwester gemeint, meine Mutter solle mich April nennen. Doch meine Mutter fand diesen Namen schrecklich und meinte zu ihr: «Wenn sie schon einen Monatsnamen tragen solle, dann einen, der schön klingt!»

Tja, und so kam sie auf June.

Am liebsten hätte ich mich umgetauft, zu Tiffany oder Henrietta, aber im Laufe der Jahre, erwies sich der Name als ganz in Ordnung.


Bis zu meinem neunten Lebensjahr, war ich der festen Überzeugung, dass meine Mutter zurückkommen würde, wie es immer die Erzieherin gesagt hatte. Doch dann, mit zehn Jahren, erfuhr ich die Geschichten der anderen Kinder, wieso sie hier waren. Und somit auch meine.
Ein damals siebzehnjähriger Junge, erzählte mir, was meine Mutter der Erzieherin gesagt hatte, als sie mich hier abgegeben hatte.
Dass sie dieses Kind nie wiedersehen wollte.
Der Junge sagte es zwar sehr direkt, aber war trotz allem mitfühlend. Seinen Namen hatte ich vergessen, da er paar Tage später achtzehn wurde, und aus dem Kinderheim gehen konnte, um ein neues Kapitel in seinem Leben einzuschlagen.
Die Monate, nachdem mir der Junge alles gesagt hatte, blieb ich Tag ein, Tag aus, in meinem Zimmer, das ich mit Veronica teilte. Veronica verstand nicht ganz wieso ich so war, aber sie war trotz allem für mich da gewesen. Sie war zwei Jahre älter, verstand mehr vom Leben als ich, was damals echt gut war.
Sie tröstete mich, doch das half nur ein wenig, das riesige Loch in meinem Herz zu flicken, dass meine verlogenen Eltern aufgerissen hatten.
Dann, mit dreizehn versuchte ich mich zu ritzen, und meine Pulsschlagader aufzuschneiden, leider kam die Erzieherin gerade in dem Zeitpunkt in mein Zimmer, entdeckte mich und hielt mich davon ab. Danach wurde ich in ein Einzelzimmer gesteckt und ich sah Veronica nur noch, wenn ich nach unten essen ging, was auch nur einmal am Tag gewesen war. Irgendwann hatten es auch die Erzieher aufgegeben, mich dreimal täglich zu zwingen, mir etwas in den Mund zu stopfen.
Mit sechzehn, fing ich an zu rauchen, versuchte zu vergessen, was für Dreckseltern ich hatte, und versuchte wieder regelmässig zu essen.
Schliesslich, als ich endlich achtzehn wurde, durfte ich aus diesem baufälligen Haus raus, das sich Kinderheim nannte und auch ein neues Kapitel in meinem Leben anfangen.
Ich wusste noch genau, wie ich mich gefühlt hatte, als ich meine Sporttasche mit Geld, Handy, Führerschein, Klamotten und Adresse zu Veronicas Wohnung über die Schulter geworfen hatte und aus dem Vorgarten herausgegangen war.
Veronica, die schon vor zwei Jahren aus dem Kinderheim raus war, hatte sich in diesen zwei Jahren mit mehreren Jobs gleichzeitig übers Wasser gehalten.
Sie hatte eine Wohnung, knappe siebzig Quadratmeter, die über einem chinesischen Schnellrestaurant gelegen war.
Man roch noch im Hausflur, die Süss-Sauer-Sosse und die gebratene Ente und die gelbe, altmodische Tapete blätterte schon ab, und Schimmel hatte sie auch.
Es war wirklich keine Luxussuite, aber es hatte wenigstens fliessendes Wasser und Strom.

Wir wohnten dort ein paar Monate, bis ich auch einen, zwar schlecht bezahlten, aber gut liegenden Job in der Innenstadt bekommen hatte.
Somit zogen wir über eine gut besuchte Kneipe, was sich als kompletter Glücksfang zeigte.

Wir hatten einen kleinen Balkon, sodass ich nicht bis nach unten raus musste, um eine Zigarette zu rauchen und vollkommen ungestört war.
Ausserdem hatten wir beide ein eigenes Zimmer, zwar kleine, aber eigene. Bad gab es auch, zwar ohne Fenster, aber eins, das noch keinen Schimmel besass.

Die Küche war arbeitstauglich, ein Fernseher besassen wir nicht, wenn wir Fernseher schauen wollten, dann konnten wir nach unten in die Kneipe und dort was gucken, so sagte es Penny, die Besitzerin der Kneipe.

Unsere Jobzeiten bestanden so, dass ich von frühmorgens bis um fünfzehn Uhr im Hotel Palomar die Toiletten putzte, dieBetten machte und durch die ganzen Hotelflure staubsaugte. Dann hatte ich frei,und räumte die Wohnung auf, half bei Penny in der Kneipe kellnern, und rauchteein paar Zigaretten.
Dann um neunzehn Uhr, wo die Happy Hour bei Penny war, setzte ich mich ans alteKlavier der Kneipe und sang und spielte zur Unterhaltung der vielen GästeKlavier.
Ich hatte mir das Klavier spielen selber beigebracht, wer hätte es mir dennsonst beibringen sollen?
Ich war das altmodische Radio, das ganz in der Ecke der Kneipe bis umMitternacht tausende Lieder sang, bis alle besoffenen Gäste verschwunden waren.
Veronica hingegen arbeitete ganztags bei einer Bäckerei und räumte nachts allezwei Tage im Supermarkt die Regale ein. Die anderen Abende kellnerte sie in derKneipe und schwärmte von meinem Gesang.
Sie meinte, ich würde Amy Winehouse und Lady Gaga Konkurrenz machen. Und ichmeinte, dass sie einen Knall hätte.

Jenna / PAUSIERT /Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt