- kapitel 36 -

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Ich hatte das Zeitgefühl verloren. Ich lag vielleicht erst fünf Minuten her. Vielleicht aber auch schon zwei Stunden. Oder sogar einen ganzen Tag. Ich fühlte mich wie ausgesaugt und wollte einfach nicht aufstehen. Zuerst liess mich Tyler alleine aber, ich schätzte mal ein paar Stunden später, kam er ins Zimmer rein und fragte ob alles okay wäre.

Natürlich war nichts okay, aber ich hatte genickt.

Ich konnte es niemandem recht machen. Weder Logan, weder Emile, Marcel, Tyler noch Veronica. Jeder Atemzug von mir erzeugte einen Tornado in meiner Umgebung.
Meine Tränen waren getrocknet und ich legte eine Haarsträhne hinters Ohr. Es klopfte wieder leise an der Tür, doch ich gab keinen Ton, da ich wusste, dass Tyler so oder so eintreten würde.

«June?», fragte Tyler in die halbe Dunkelheit. Die Sonne war schon untergegangen und nun leuchtete der Mond ins Zimmer und der Himmel war in einem dunklen kornblumenblau.

Ich reckte meine Kopf in Zeitlupe nach oben und schaute Tyler an. Dieser schaute mich besorgt an und hatte ein Glas Wasser in der rechten Hand. Er sagte noch nicht einmal etwas, er stellte das Glas auf den Nachttisch ab und schloss die Tür hinter sich. Er liess sich langsam auf das Bett fallen und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Bettlehne. Er streichelte meinen Kopf und schaute mich fürsorglich an.

«Ich bin vielleicht die letzte Person mit der du jetzt gerne sprechen willst», fing Tyler nach einer Weile ruhig an und hörte auf meinen Kopf zu streicheln, was in den ersten Sekunden, ohne seine Wärme, zu einer Gänsehaut führte.

«Und ich bin vielleicht auch die letzte Person die von so etwas Ahnung hat», fuhr Tyler fort und beugte sich ein wenig zu mir rüber. «Aber ich kann nicht ansehen wie du innerlich zerbrichst und ich nichts dagegen unternehmen kann.»

Eine weitere Träne kullerte meine Wange herunter. Seine Worte trafen alle einzeln wie Messerstiche in mein Herz. Ich hatte das Gefühl Atemnot zu bekommen.

«Und ich kann nicht ansehen wie du vor mir versuchst nicht zu weinen, ich kann nicht sehen wie du mit dir selbst kämpfst», sagte Tyler zitternd und kam noch ein Stück näher. Ich spürte seinen warmen Atem und sein hektisches Atmen. Ich setzte mich zaghaft aufrecht und schaute ihn mit gläsernen Augen an, während es Minute für Minute ein Stück dunkler wurde.

«Komm her», flüsterte Tyler und ohne gross zu überlegen liess ich mich in seine Arme fallen und fing an laut zu schluchzen. Nun kullerten wieder tausende Tränen mein Gesicht hinunter und landeten auf sein dunkles Sweatshirt. Seine Körperwärme spendete mir ein wenig Trost und seine starken Arme umschlungen meinen mageren Körper während wir einfach stumm auf dem Bett lagen.

Mein Schluchzen hörte allmählich auf und langsam beruhigte ich mich wieder. «Ich ... kann es einfach niemandem recht machen. Alle hassen mich, ich mache alles falsch.»

Meine raue Stimme erschreckte mich beim ersten Mal, doch schliesslich fand ich wieder meine Stimme zurück und ich sprach etwas sicherer.

«Hey! Denk nicht so, June! Bitte versinke nicht in deine unendlichen Selbstzweifel!»

Ich schaute ihn verzweifelt an und legte dann nur meinen Kopf auf seine Schulter. Sein Sweatshirtärmel war schon völlig feucht von den ganzen Tränen.

«Willst du was trinken?», fragte mich Tyler und griff nach dem Glas vom Nachttisch. Ich nickte schwach und während Tyler das Glas hielt, trank ich wie ein unfähiges Kleinkind einen grossen Schluck des Mineralwassers.

«Du musst was essen. Komm, im Selbstzweifel zu triefen, ändert auch nichts daran, dass sie fort ist.»

So direkt dieser Satz von Tyler kam, und so stark er mich traf, irgendwie fühlte ich mich besser.

Jenna / PAUSIERT /Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt