"Lynn, wir sind da.", wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als neben mir plötzlich die Autotür von Toms Audi aufgemacht wurde und Bill mir seine Hand entgegen streckte. Schweigend schnallte ich mich ab, nahm die rote Rose und den Teddybären neben mir in meine Hand und stieg aus dem Auto.
Tom hatte direkt vor dem Eingang geparkt, sodass ich nur noch durch das große Tor und in die Kapelle gehen musste.
"Komm her.", flüsterte Bill, als ich neben ihm stand und durch die Gitterstäbe des Tors sah. Vor der Kapelle hatten sich einige Leute versammelt - mehr als ich gedacht hätte.
"Ich lass dich nicht alleine.", hauchte er gegen meine Stirn, drückte noch einen Kuss auf eben diese und nahm mich daraufhin an die Hand, um mit mir zusammen durch das Tor und in die Kapelle zu gehen.
Ich hatte das Gefühl, mein Bauch würde sich gleich umdrehen, meine Hände zitterten und meine Augen wurden immer feuchter, je näher ich der Kapelle kam.
Vor der Kapelle stand Anna, welche sofort auf mich zukam und mich in die Arme nahm. Sie schluchzte in meine Halsbeuge, was mich kurz zusammen zucken ließ. Bills Hand hatte meine immer noch fest umschlungen.
Als Anna und ich lange so dastanden und sie einfach nur weinte, lösten wir uns wieder. Ich versuchte ein Lächeln aufzusetzen und ihr die Tränen von den Wangen zu wischen, doch es gelang mir nicht. Sofort floss die erste Träne meine Wange hinunter und ich wusste, dass ich nicht noch einen Menschen aushalten würde, der in meinen Armen weinen würde.
"Ich will sofort rein, Bill.", sagte ich, als ich mich an Bills Arm krallte und ängstlich durch die Runde sah. So viele fremde Augenpaare sahen mich mitleidig und voller Mitgefühl an, was mir einen Stich in mein Herz versetzte. Wer waren all' diese Menschen, die meine Schwester kannten und mit mir trauern wollten?
Bill zog mich hinter sich her zur Kapelle und öffnete die Tür in den großen Raum.
Als die Tür quietschend auf ging, blieb ich sofort stehen. Meinen Blick richtete ich gerade aus, war zu nichts anderem in der Lage, als den weißen Sarg anzuschauen, in welchem meine Schwester lag. Er stand auf einem dunklen Podest und war kleiner, als all die anderen Särge, welche man sonst von Beerdigungen kannte. Die zwei Griffe auf jeder Seite waren in Gold gehalten und auf dem Deckel des Sarges befand sich ein großes rotes Gesteck, was die komplette Oberseite bedeckte.
Neben dem Sarg stand ein großes Foto, auf welchem man sehen konnte, was meine kleine Schwester die letzten Wochen und Monate begleitete: Sie trug ein Tuch, welches ihren nackten Kopf verdeckte, sie hatte aber trotzdem das breiteste Grinsen in ihrem Gesicht, was man von ihr kannte.
Bei dem Anblick musste ich lächeln und sah zu Bill, welcher mich am Arm festhielt.
"Ich fand das Bild spiegelt sie genau wider, wie wir sie kennen gelernt haben.", flüsterte er leise. Ich nickte nur und ging ein paar Schritte auf den Sarg zu, bis ich genau vor ihm stand. Bill stand neben mir, hielt mich immer noch am Arm fest.
Als ich auf das Foto und danach auf den weißen, wunderschön glänzenden Sarg sah, konnte ich es nicht glauben, dass da wirklich meine kleine Schwester drin liegen sollte. Es war mir immer noch so unrealistisch und doch realistisch zugleich. Meine Gedanken schwirrten umher, konnte sie nicht ordnen.
Lange standen Bill und ich vor dem Sarg und sahen ihn einfach nur an, hingen beide unseren Gedanken nach. Bevor wir uns setzten, fuhr ich mit meinen Fingern über den kalten Sarg. Ich sah mir das Bild noch einmal an, fuhr ihr Gesicht, ihr Lächeln noch einmal nach und drückte einen Kuss auf die Stirn des Fotos. Ich musste es tun, irgendetwas in mir verleitete mich dazu.
Als Bill mich wieder stützend am Arm packte und mich zu der ersten Bank begleitete, in welcher noch zwei Plätze frei waren, konnte ich sehen, dass Gustav und Georg hinter den zwei freien Plätzen saßen. Neben ihnen drei Männer in schwarzen Anzügen. Ich wusste nicht, wer es war, doch einer von ihnen kam mir seltsamerweise bekannt vor; er sah aus wie David Jost.
Bevor ich mich zwischen Tom und Bill niederließ sah ich noch einmal zu Gustav und Georg und schenkte ihnen ein dankbares Lächeln, welches sie nur erwiderten und dazu nickten.
Ich sah einmal über die komplette Menge, doch trotzdem konnte ich nicht wahrnehmen, wie viele Leute es wirklich waren, die ihren Weg hier her gefunden hatten und meiner Schwester die letzte Ehre erweisen wollten.
Ich wusste, dass es sicherlich nicht viele waren, doch trotzdem waren es mehr, als ich es jemals gedacht hätte. Egal, wie sehr ich mir die Menschen ansah und mein Gehirn anstrengte, viele von ihnen konnte ich nicht zuordnen.
"Setz dich, Lynn.", hörte ich plötzlich Toms Stimme und eine Hand, die mein Handgelenk umfasste. Ich sah rechts an mir herunter in Toms Gesicht und nickte nur.
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Diagnose Blutkrebs - Dein letzter Wunsch veränderte mein Leben
Fanfiction[1. Teil der Diagnose-Trilogie.] - "Es ist mein letzter Wunsch, Lynn. Ich will die Vier einmal treffen, bitte...", hauchte die 11-jährige ihrer großen Schwester entgegen. Meine Schwester war seit 11 Jahren mein Ein und Alles und ich wich ihr nie län...