Erwartungsvolle Blicke hefteten an mir, als ich durch die Reihe sah. Mir kamen plötzlich unendlich viele Zweifel auf, welche ich jedoch erst wieder in meinen Hinterkopf schob und mich an die Jungs wandte, die diese Zweifel vielleicht wieder vergraben würden.
"Das geht doch alles gar nicht. Ich meine, ich... ich muss wieder im Kinderheim anfangen, weil ich sonst nirgends ohne eine abgeschlossene Ausbildung einen Job bekommen würde. Ich habe doch überhaupt gar kein Geld...", sagte ich leise.
"Das ist alles überhaupt kein Problem. Du brauchst auch gar kein Geld. Wofür denn auch? Du musst keine Wohnung bezahlen, wenn wir unterwegs sind. Das Hotel bezahlen wir und-", versuchte David mir zu erklären, doch ich unterbrach ihn.
"Ich will nicht auf euren Kosten leben. Es ist wirklich lieb und nett von euch, dass ihr mich gerne dabei haben wollt, aber das... das kann ich nicht annehmen."
"Doch, kannst du. Es würde doch gar keinen Unterschied machen, ob ich alleine oder mit dir in dem großen Doppelbett im Hotel schlafen würde, Lynn.", widersprach Bill mir. Er hatte recht. Ob nun zwei oder eine Person in dem Bett liegen würde.
"Aber was ist mit den Fans? Die ganzen Gerüchte? Ich... das wird doch viel zu stressig für euch.", protestierte ich weiter.
Für manche würde das vielleicht so klingen, als würde ich jedes Argument gegen den Vorschlag der Jungs auf den Tisch packen, um nicht mitfahren zu müssen, aber so war es gar nicht. Ich würde sie liebend gerne begleiten, weil ich mir dieses Tourleben auch spannend vorstellte, aber auf der anderen Seite wollte ich ihnen auf jeden Fall nicht zur Last fallen.
"Du bist neben Natalie die zweite Make-up Artistin. Klar, werden Gerüchte aufkommen, wie sie es bei Natalie auch sind, aber die Jungs sagen in einem Interview mal was dazu und dann dürfte die Sache gegessen sein. Wenn nicht, werden wir da schon was drehen.", versuchte Pat mich zu beruhigen. Ich nickte nur, ließ mir alles noch einmal durch den Kopf gehen.
"Gehen wir mal davon aus, dass ich mitkommen würde... was würde ich machen, wenn ihr eine Zeit lang zu Hause seid? Wieder bei euch einziehen und mich bei euch durchfressen?", ich konnte es nicht lassen, als all meine Zweifel auf den Tisch zu packen. Ich wollte, dass die ganze Sache gut durchdacht war.
"Wenn du das nicht willst; du bekommst immer noch Kindergeld, Geld dafür, dass du Halbwaise bist und wenn das deiner Meinung nach immer noch nicht reicht gibt es auch noch Jobs auf 400€-Basis. Das wird alles kein Problem. Und ja, wir wollen, dass du, wenn wir nicht unterwegs sind, zu uns kommst und bei uns wohnst.", das hieß, dass ich meine Wohnung kündigen musste.
"Aber ganz ehrlich: Es ist nicht mein Traum, mein ganzes Leben lang von einem 400-Eurojob zu leben, Tom.", ich sah den Menschen an, der es mir vorgeschlagen hatte. "Ich wollte mein Abitur nachholen..."
"Dann machst du das per Fernschule.", schlug Gustav vor.
"Ich habe immer noch keine Kohle.", murmelte ich. "Die Dinger sind sauteuer."
"Lynn...", fing David plötzlich an. "Wir wären dir wirklich sehr verbunden, wenn du es einfach annehmen würdest. Wenn du dein Abitur machen willst, dann nimm wenigstens die Hilfe von uns an, indem wir dir die Fernschule finanzieren. Mehr Hilfe musst du ja gar nicht von uns annehmen. Bitte, Lynn... sonst... sonst hängen die vier, vor allem Bill und Tom, uns nur noch damit in den Ohren, dass wir dich überzeugen müssen uns zu begleiten und das wird stressig. Du würdest uns gleichzeitig also auch noch einen Gefallen tun.", lächelte David breit.
Leicht schielte ich zu den Zwillingen, welche nur mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf der Couch saßen.
"Komm schon, Lynn...", Bill nahm meine Hand und drückte sie fest. "Ich würde mich freuen, wirklich.", flüsterte er, sodass es keiner mitbekam. Zwar herrschte Schweigen, aber ohne dass man auf seine Lippen sah, hätte man womöglich kein Wort von dem verstanden, was er gesagt hatte. Vielleicht sollte ich es versuchen. Man konnte dieses Experiment doch immer wieder abbrechen, wenn es nicht klappen würde. Vielleicht würde es mir auch ganz gut tun, erst einmal Abstand zu bekommen und nicht jeden Tag erinnert zu werden. Ich wusste, dass ich eigentlich mit der Trauer umgehen konnte, aber ich hatte die letzten Wochen nicht in der Wohnung gelebt, die ich mir mit ihr geteilt hatte. Ich wusste nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich wieder dort wohnen würde.
"Ja... ja, okay. Vielleicht ist es eine gar nicht so schlechte Idee.", lächelte ich durch die Runde. "Aber nur unter einer Bedingung.", ich hob den Zeigefinger, bevor die Jungs auch nur den Mund aufmachen und irgendetwas sagen konnten.
"Was denn?", Georgs Augen weiteten sich.
"Dass ich das Geld für die Fernschule irgendwie zurückbezahle. Ich suche mir, wenn wir wieder für eine längere Zeit in Hamburg sind einen Nebenjob und das Geld geht gleich an euch.", ich sah zu David und Pat, die kurz einen Blick miteinander wechselten. Kurz nickten sie, bevor David aufstand und mir die Hand reichte. "Willkommen bei den Tokio's.", grinste er. Schüchtern lächelnd stand ich ebenso auf und drückte seine Hand.
"Danke.", grinste ich zurück und gab auch Pat die Hand.
"Oh Gott, ich freue mich so.", quiekte Bill neben mir plötzlich, was mich zur Seite sehen ließ. Alle vier nahmen mich in den Arm, sagten mir, wie sehr sie sich freuten und drückten mich fest.
Ich fühlte mich, als wäre ich gerade in eine zweite Familie aufgenommen worden.
DU LIEST GERADE
Diagnose Blutkrebs - Dein letzter Wunsch veränderte mein Leben
Fanfic[1. Teil der Diagnose-Trilogie.] - "Es ist mein letzter Wunsch, Lynn. Ich will die Vier einmal treffen, bitte...", hauchte die 11-jährige ihrer großen Schwester entgegen. Meine Schwester war seit 11 Jahren mein Ein und Alles und ich wich ihr nie län...