» Abschaum

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"Was zum Teufel willst du auf der Beerdigung meiner Schwester?", zischte ich, als ich mich ganz umgedreht hatte. Seine Augen blitzten mich an und es kam mir vor, als sei es gestern gewesen, als er mich verprügelt hatte. Als sei es gestern gewesen, dass er mich mit hasserfülltem Blick ansah.
"Lynn, wer ist... ist das?", Tom kam zu mir und stellte sich schützend vor mich.
"Mein Erzeuger.", zischte ich nur und nahm nicht eine Sekunde den Blick von dem Mann, welcher sich zwei Meter vor mir aufgebaut hatte und zu reden begann:
"Ich wollte meine Tochter verabschieden, ich denke nicht, dass das verboten ist.", seine Stimme klang matt, gefühllos und kalt.
"Alles, was du wolltest, war, mich leiden zu sehen, du Schwein!", rief ich und ging auf ihn zu, worauf ich sofort von zwei Händen an meinen Armen zurück gezogen wurde.
"Ach, Schätzchen. Wieso sollte ich das?", lächelte er und sah mich zwinkernd an.
Sein Anblick ließ das Blut in meinen Adern gefrieren. Es ekelte mich an, ließ alle Erinnerungen in mir hoch kommen. Ließ mich an jede Sekunde, die ich voller Qualen mit ihm verbracht hatte, gedenken.
"Weil du mich schon immer gern hast leiden sehen! Verschwinde, verdammt. Verschwinde endlich aus meinem Leben. Du bist ein Schwein, du bist ein Nichtsnutz! Ich will dich nie mehr wiedersehen, verdammt!", brüllte ich. Ob das irgendwelche Trauergäste mitbekamen war mir egal. Es scherte mich einen Dreck um die ganzen Menschen, die all' die Wochen, Monate und Jahre während Beccy's Krankheit nicht dagewesen waren und jetzt meinten, um sie trauern zu müssen.
"David, Pat. Bringt ihn hier irgendwie weg... los...", hörte ich Bills Stimme hinter mir.
"Lynn... ich werde nie ganz aus deinem Leben verschwinden. Viel zu viele Dingen werden dich immer und immer wieder an mich erinnern; das wissen wir beide. Hm, Liebling?", er kam näher, hob seine Hand und wollte mir gerade über die Wange streichen, als ihn plötzlich zwei starke Hände packten und ihn von mir wegrissen. Es waren David und der andere Mann von Universal.
"Verpiss dich, verpiss dich doch einfach...", ich brach in Tränen aus, sackte in den Armen, die mich hielten zusammen und landete dumpf auf meinen Knien.
Ich bekam nicht mehr viel mit. Nur noch, wie mich zwei Arme versuchten zu halten, Stimmen, die panisch durcheinander redeten. Dann war alles nur noch schwarz.

"Ich glaube, sie wird wach.", vernahm ich eine Stimme in weiter Ferne. Ich befand mich auf etwas Weichem, mein Körper war mit einer Decke bedeckt und trotzdem fröstelte es mich. Bei jeder noch so zaghaften Bewegung durchschoss meinen Kopf ein starker Schmerz. Meine Augen ließ ich geschlossen, viel zu schwach war ich, um sie zu öffnen.
Ich ließ das, an was ich mich noch erinnern konnte, in meinen Gedanken noch einmal Revue passieren:
Es war die Beerdigung meiner kleinen Schwester. Ich hatte ihr das Lied auf dem weißen Flügel gespielt; hatte dazu gesungen. Wir sind alle gemeinsam zum Grab gegangen, hatten sie verabschiedet und wollten nach Hause gehen. Und dann? Dann war er da, dieser Mann. Dieser Mann, der sich mein Vater nannte. Ich dachte an seine Worte, an das, was er mir gegen den Kopf geworfen hatte, blendete sein Gesicht in meinen Gedanken ein.
"Bill...", schreckte ich hoch und holte panisch Luft.
"Hey... hey, ich bin da...", meine Augen waren leicht geöffnet, ich spürte, wie sehr sie brannten. Spürte, wie mir wieder Tränen aus den Augen rannen und sich den Weg auf meinen Wangen suchten.
"Ich... ist er weg...?", schluchzte ich, setzte mich leicht auf und sah verstört um mich. Ich befand mich in Bills Zimmer, in seinem Bett. Er saß meine Hand haltend auf der Bettkante.
"Ja, Pat und David haben ihn weggebracht und ihm einige Takte erzählt... sie haben mit der Polizei gedroht... er würde ins Gefängnis kommen, würde er sich noch was zu Schulden kommen lassen... ich verspreche dir, dass du ihn nie wiedersehen wirst.", hauchte er und zog mich in seine Arme.
Wieder wog er mich sanft hin und her, während ich mich schon nahezu an ihm festkrallte, meine Hände so fest an seinen Rücken drückte, sodass ich ihn fester an mir spüren konnte. Ich hatte Angst, hatte immer noch dieses Gesicht von diesem Menschen vor meinen Augen; dieses gehässige Lachen, dieses Grinsen und diese ekelhafte Stimme, die mich an die schlimmsten Wochen meines Lebens erinnerten.
Ich verabscheute ihn von Sekunde zu Sekunde immer mehr.

Diagnose Blutkrebs - Dein letzter Wunsch veränderte mein LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt