Ich lag immer noch zusammen gekauert auf dem Boden, bewegte mich nicht, mein Körper wurde nur immer und immer wieder von einem Schluchzen durchschossen. Ich bekam um mich rum nichts mehr mit; vergaß fast wo ich war, weswegen ich hier lag.
"Hey, Lynn... hey...", vernahm ich doch plötzlich eine Stimme. Es kam mir vor, als seien Stunden vergangen. Meine Augen waren zusammen gepresst, mein Atem ging unregelmäßig schnell und mein Körper zitterte, als ich die männliche Stimme wahrnahm.
"Lynn, ich bin da... alles wird gut...", nach den Worten spürte ich eine warme Hand, die sich auf meine Schulter legte und ich von ihr in zwei Arme gezogen wurde. Langsam öffnete ich die Augen, blinzelte ein paar Mal, holte tief Luft und sah in das Gesicht, welches sich vor mir erstreckte.
"Bi-bill...", hauchte ich und spürte, wie sich meine Atmung sofort regulierte und die Panik, die wenige Sekunden zuvor noch meinen Körper in Beschlag genommen hatte, entwich.
"Komm, du musst hier raus. Komm hoch... komm...", er stand langsam auf, zog mich mit auf die Beine, schnappte sich meine Tasche, die vor mir auf dem Boden lag und mein Handy und zog mich aus dem Flur ins Treppenhaus.
Er ließ mich nicht eine Sekunde los, hielt mich mit einer Hand an der Hüfte fest, in der anderen Hand hatte er meinen Arm, wodurch er mich versuchte zu stützen. Ich wusste, dass es das Beste für mich war, die Wohnung zu verlassen und die Erinnerungen hinter mir zu lassen, doch trotzdem brach es mir auf irgendeine gewisse Art und Weise das Herz. Ich wollte sie doch gar nicht vergessen, ich wollte meine kleine Schwester nicht vergessen und aus meinen Gedanken streichen. Sie war viel zu wertvoll, um sie zu vergessen. Sie war doch mein Ein und Alles.
"Lynn, wir sind da.", ich zuckte zusammen, hatte gar nicht bemerkt, wie Bill mich ins Auto gebracht hatte und wir zu ihm gefahren sind. Ich öffnete die Augen und sah aus dem Fenster. Wir befanden uns in der Tiefgarage. Ich war schon abgeschnallt, als Bill um das Auto kam, die Beifahrertür öffnete und mir aus dem Auto half. Ich hatte keine Kräfte mehr in mir, konnte nicht einmal mehr alleine laufen. Wieder stützte Bill mich, als wir in den Fahrstuhl gingen und ihn in dem richtigen Geschoss wieder verließen, um in die Wohnung der Zwillinge zu treten.
"Setz dich erstmal hin.", flüsterte Bill fast, als er mich zu der schwarzen Ledercouch, auf welcher ich heute schon einmal Platz gefunden hatte, begleitete und mich schon nahezu auf sie drückte. Er zog mir die Jacke aus, woraufhin ich meine Beine an meinen Körper zog und meinen Kopf an die Rückenlehne presste. Wieder kamen mir die Gedanken in den Sinn, Beccy zu vergessen oder sie zu verdrängen, was mir erneute Tränen in die Augen trieb.
"Hey, psscht...", sofort saß Bill neben mir und legte einen Arm um mich, um mich in eine Umarmung zu ziehen, in welcher wir einige Minuten verweilten.
"Bill... ich... ich will sie doch aber nicht vergessen.", schluchzte ich plötzlich laut auf. "Ich laufe... laufe vor-vor all den Erinnerungen weg..."
"Lynn, hör mir zu...", er hob mich aus seinem Arm, hielt mich an meinen Schultern fest und sah mich mit einem Lächeln auf den Lippen an. "Du wirst sie auch nicht vergessen. Du brauchst Abstand; Abstand von dem Alltag, den ihr sonst zusammen erlebt habt. Abstand von den vier Wänden, in denen ihr so viel zusammen erlebt habt. Wir haben beide gesehen, dass es dir nicht gut tut, dich so sehr damit zu konfrontieren. Lass dir Zeit, bis du dich diesen Erinnerungen gegenüber stellst. Du musst das alles erst einmal verkraften. Du bleibst erst einmal hier... und wenn du dich bereit fühlst, dann fahren wir zusammen hin, aber lass dir Zeit, das geht alles nicht von jetzt auf gleich, okay...?", er strich mir über den Rücken und zog mich wieder in seine Arme, als ich seine Worte mit einem Nicken bestätigte und seiner Meinung zustimmte.
Wieder waren diese beiden Arme, die mich sanft hin- und her wogen. Wieder war dieses beruhigende Atmen von ihm an meinem Ohr, was mich wieder zurückholte. Was mich beruhigen ließ. Ich hatte das Gefühl, er würde mich vor dem Untergehen bewahren. Mich vor dem Untergang retten.
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Diagnose Blutkrebs - Dein letzter Wunsch veränderte mein Leben
Fanfiction[1. Teil der Diagnose-Trilogie.] - "Es ist mein letzter Wunsch, Lynn. Ich will die Vier einmal treffen, bitte...", hauchte die 11-jährige ihrer großen Schwester entgegen. Meine Schwester war seit 11 Jahren mein Ein und Alles und ich wich ihr nie län...