7. Bei Nacht und Nebel

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Ich habe dich vermisst", flüsterte ich ihm ins Ohr und brach in Tränen aus. Durch die feste Umarmung überströmte mich eine vertraute Wärme, in der ich mich wieder sicher fühlen konnte und welche die letzten Tage für einen kurzen Moment in Vergessenheit geraten liess.
"Ich dich auch" , hauchte er kaum hörbar und löste sich von mir, sein übliches, charmantes Grinsen im Gesicht.
"Wie schön, dass du zur Vernunft gekommen bist. Ich dachte, du hättest meinen Brief nicht gelesen, oder noch schlimmer, du hättest dich dafür entschieden, mich allein gehen zu lassen", brachte er strahlend hervor.
"Brief?", fragte ich verwirrt. Ich hatte nie einen Brief zu Gesicht bekommen.
"Ja, den Brief, den ich dir geschrieben und in deine Geldtasche gesteckt habe. Weisst du nicht mehr? Darin war mein ganzer Plan erklärt, unter anderem, dass wir uns hier wiedertreffen, um Vater zu su..." Konnor unterbrach sich auf einmal selbst und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf eine Stelle hinter mir.
"Oh, Hallo!", sagte Cronan, der aus der Dunkelheit aufgetaucht war und Schweiss von seiner Stirn strich. "Ich wollte euren wunderbaren Moment an diesem wunderbaren Ort nicht versäumen. Aber bitte, Keitha, beeil dich ein bisschen mit deinem Teil der Abmachung, ich will nicht ewig warten." Schockiert schaute Konnor mich und Cronan abwechselnd an. "W..was?", stotterte er immer noch unter Schock.
Schnell wollte ich ihm die Lage schildern, ihm erklären, was ich gegen meinen Willen getan hatte, und wie Leid es mir tat, doch ich wusste nicht wo anzufangen und die ganze Absurdität der Situation verschlug mir die Sprache.
Schlechtes Gewissen überkam mich. Hätte ich den Brief am Tag von Konnors Verschwinden in meinem Geldbeutel entdeckt, wäre das alles nicht passiert.
Zu meinem Entsetzen verschlimmerte Cronan die angespannte Lage nur noch mehr, indem er sich räusperte und mit arrogantem Ton forderte: "Bengel! Her mit dem Diamanten!"
Konnor reagierte nicht, sondern stand wie angewurzelt da und sah mich mit einem verletzten Gesichtsausdruck an. "Du... Du hast mich verraten", krächzte er schliesslich gekränkt und wich langsam vor mir zurück. "Konnor..." , fing ich an, doch er schien mich nicht zu hören. "Wie konntest du mir das antun!", bellte er und Tränen kullerten ihm die Wangen hinunter. Dann packte er seine am Boden liegende Tasche und lief davon. "Konnor, lass es mich
dir erklären", rief ich ihm verzweifelt nach, doch die Nacht hatte meinen Bruder schon längst wieder verschluckt.
"Bei den Göttern", schimpfte Cronan,"könnt ihr denn nie aufhören zu rennen?" Er huschte an mir vorbei    und auch er verschwand in der Nacht. "Wartet doch!" Um Himmels Willen! Warum hört mir eigentlich nie jemand zu! dachte ich verärgert und rannte auch los.

Ich hatte nur ein paar Meter hinter mir gelassen, als mich das Pech wieder einmal packte: Ich rutschte auf dem nassen Gras aus, plumpste auf meinen Hintern und mein Kopf schlug schmerzhaft auf dem harten Boden auf. Obwohl der Himmel in dieser Nacht sehr bewölkt war, konnte ich daraufhin Sterne vor mir tänzeln sehen. Ich stöhnte vor Schmerz und ich konnte meinen Puls in meinem Kopf pochen hören.
Ach super! Das hatte mir noch gefehlt. Mehr Pech als ich konnte man wohl kaum mehr haben. Leise fluchte ich vor mich hin und versuchte erfolglos, mich wieder vom nassen, matschigen Boden aufzurappeln.
"Brauchst du Hilfe?", kam plötzlich  eine Stimme, die in mir vor Schreck fast einen Herzinfarkt auslöste, aus der Dunkelheit. Ich spürte eine Hand, die meine ergriff und ich wurde auf die Beine gezogen. "Danke", konnte ich nur hervorbringen, da sich die Welt in meinem Kopf weiterhin drehte und mir übel war. Ein sanfter Wind blies über uns hinweg, der leuchtende Mond kam hinter den dicken Wolken hervor und brachte die Welt mit einem Mal aus der Dunkelheit heraus in sanftes, schimmerndes Licht.
"Finlay!", stellte ich überrascht fest, als ich den Mann, der vor mir stand, erkannte. "Du kannst sprechen?"
Er nickte nur und schaute mir zum ersten Mal direkt in die Augen. Die seinen glitzerten gräulich im Licht des Mondes. Verlegen sah ich weg. "Wir müssen die anderen zwei einholen!", meinte ich nervös und wollte mich wieder in Bewegung setzen. Doch Finaly liess mich nicht los. "Nein!", sagte er bestimmt. In der Ferne konnte ich zwei Gestalten erkennen, die sich in Richtung Wald bewegten. Das mussten Konnor und Cronan sein, welcher ersterem dicht auf den Fersen war.
"Warum nicht?", wollte ich wissen und versuchte, mich von ihm loszumachen. Er antwortete nicht, sondern verstärkte seinen Griff um meine Hand. "Lass mich los!"
Inzwischen waren die Gestalten im Schatten der Bäume wieder verschwunden. 
"Nein, du darfst nicht in den Wald! Ich versuche doch nur dich zu beschützen", raunte Finlay, beide Hände um meinen Arm geschlungen.
"Aber mein Bruder...", entgegnete ich mit zitteriger Stimme.
Aus den Nichts heraus erklang dann ein Heulen, das einem die Haare zu Berge stehen liess und wir sahen uns erschrocken an.
"Was war das?", wollte ich wissen und Panik ergriff mich auf einmal. Es erklang nochmals, danach drang ein Angstschrei durch die Nacht, genau aus der Richtung, in der die zwei Gestalten verschwunden waren. Konnor!
Nochmals versuchte ich mich von Finlay zu befreien, dieser zog mich aber näher an sich heran und machte nicht im Geringsten Anstalten, mich loslassen zu wollen.
"Lass. Mich. Los!"
Finlay japste vor Schmerz auf, als ich ihm mit aller Kraft mit meinem Knie zwischen die Beine stiess. Er griff sich an der Stelle und sackte auf dem Boden zusammen. Keine Sekunde zu spät. Als hätte mich der Teufel persönlich auf dem Speiseplan, flitzte ich über das nasse Gras, die Schrei drangen weiterhin durch die Nacht.
"Keitha, tu das nicht!", hörte ich aus der Ferne Finlay rufen, aber ich ignorierte ihn und setzte meinen Weg ohne zu zögern fort. Konnor war in Gefahr und ich musste ihn retten.
Nach wenigen Minuten hatte ich den Waldrand erreicht und die ersten Bäume hinter mir gelassen. Der Wald  wurde mit jedem Schritt, den ich tat, dichter und  bald wurde es schwieriger, ihn zu überwältigen. Dicke Büsche lagen eng aneinander und gaben fast keinen Raum zum Durchgehen frei und ich war gezwungen, über sie hinüber zu klettern, was sich schnell als schlechte Idee herausstellte. Meine schon ohnehin mottenzerfressenen Klamotten wurden nun auch noch von Dornen zerrissen und meine Haut darunter aufgespiesst. Mist! Wieder kein Glück! Mit viel Geduld gelang es mir, die Dornen wegzuschaffen und meinen Weg fortzusetzen. Aber das Geschrei und das Heulen hatten unterdessen aufgehört.
"Konnor!", rief ich aus Leibeskräften und lief panisch weiter, immer tiefer in den Wald. Bei einer kleinen Lichtung angelangt, blieb ich abrupt stehen. Vor mir spielte sich die grauenvollste Szene meines Lebens ab. Ein Monster von einem Wolf lag über einem leblosen Körper, seine Zähne steckten tief in dessen Arm. Der Wolf knurrte, zog daran und ein schreckliches Knacken war zu hören. Ich sah das blutverschmierte Gesicht, wo eine grosse, offene Wunde klaffte und mir wurde bei diesem Anblick übel.
Der leblose Körper war niemand anderes als Konnor.

Hey! Seid ihr schon gespannt aufs nächste Kapitel? Denkt ihr Keitha wird das nächste Kapitel überleben?
Viel Spass beim Warten  ; ) hehe
Ysilra

KeithaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt