11. Zu viert

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"Wach auf, Kleine!" Ich schlug meine Augenglieder auf und blinzelte im Licht der Morgensonne. "Mmwas?",murmelte ich verschlafen. "Die Sonne steht schon so hoch am Himmel, dass es mich eigentlich erstaunt, dass wir sie überhaupt noch sehen können und nicht bei den Göttern in der Unterwelt weilen. Du bist mir eine! Einfach einzuschlafen."
Auf einmal war ich wach. "Wirklich?", konnte ich nur sagen. "Ja, und du kannst von Glück sprechen, dass wir nicht alle tot sind. Es hätte was weiß ich passieren können!"
Ich fühlte mich schuldig, aber ich konnte mich nicht daran erinnern, eingeschlafen zu sein.
"Es tut mir ja leid!", sagte ich trotzig.
"Pass das nächste Mal einfach besser auf!", erwiderte Cronan. "Genug geschwatzt! Steh auf und pack deine Sachen ein, wir brechen in etwa einer halben Stunde auf."
"Was? Was ist mit meinem Bruder?", entgegnete ich verärgert.
"Ah der..." meinte Cronan jetzt ziemlich gelassen und winkte mit der Hand, als würde er Konnor für unwichtig befinden. "Den lassen wir da, er hat sowieso keine Chance, die nächsten Tage zu überstehen." Entsetzt starrte ich Cronan an. Bevor ich jedoch aus Protest den Mund öffnen konnte, zwinkerte er mir zu und Finlay, der gerade dabei war, Konnors Bandagen zu entfernen, seufzte: "Er macht Witze, Keitha! Dein Bruder kommt natürlich mit." Konnor war aufgerichtet und blinzelte, als seine Augen frei wurden. Eine ziemlich miese, noch immer nicht ganz geschlossene Wunde überzog sein Gesicht, vom Mund über die Nase bis zu seinem linken Auge, das zum Glück unversehrt war.
"Das ist aber schnell geheilt! Gute Arbeit, Fin", meinte Cronan und gab einen anerkennenden Pfiff von sich.
"Ich habe doch gesagt, dass die Wunde nicht tief war", erwiderte Finlay achselzuckend und machte mir Platz, sodass ich meinen Bruder endlich umarmen konnte.
"Hey Schwesterchen, hör auf zu weinen", wisperte Konnor mir leise zu, als ich anfing, in seinen Armen zu heulen. "Es tut mir so leid!", schluchzte ich und sah ihn nun direkt an. "Ich hätte dir von Anfang an glauben sollen. Ich meine das mit Vater." Er gab mir ein halbherziges Lächeln und zuckte vor Schmerz zusammen. "Schone dich noch eine Weile", empfahl ihm Finlay mit einem mitleidigen Blick.
"Hey Fin, schau dir das an", unterbrach uns auf einmal Cronan, der meine Schlafdecke ausgeschüttelt hatte. "Da hat sich ein Vogel in Keithas Nest eingeschlichen!", witzelte er und hielt die weisse Feder empor.
Das kann doch nicht wahr sein, schoss es mir durch den Kopf. Nervös blickte ich zur Feder hinauf.
"Versteht ihr etwa nicht. Ein Vogel in ihrem Nest", prustete er vor lachen, aber anscheinend war ich nicht die einzige, die den Witz nicht verstehen konnte, da Konnor und Finlay genauso wie ich die Feder nur anstarrten.
"Mann! Der hat den schlechtesten Humor, den es überhaupt gibt", sagte Konnor schliesslich mit gespielt dummem Gesichtsausdruck, sodass ich dann doch anfing zu kichern.
Anscheinend gefiel Cronan diese Bemerkung gar nicht, da er vor Wut - oder vor Scham - rot anlief.
"Ach, das ist doch nur eine Feder", zischte er, "Die kann ich doch sicher wegwerfen!"
"Nein, Bitte!", rief ich schnell, bevor Cronan auch nur Anstalten machen konnte, die Feder ins Gebüsch zu werfen. "Sie bedeutet mir viel, bitte gib sie mir zurück", bettelte ich weiter und ich konnte die verwunderten Blicke der anderen auf mir spüren. Hoffentlich würde mich niemand fragen warum. Wenn sie je etwas über den Adler herausfinden sollten, würden sie mich wohl auslachen. Ausserdem gab es sicher einen Grund, warum sich der Adler bisher den anderen nicht gezeigt hatte.
"Ohh, na dann, hier hast du sie wieder, Kleine", sagte zu meiner Überraschung Cronan mit einem Lächeln. "Pass aber auf! Vielleicht verwandelt sich die Feder plötzlich in einen Vogel." Er zwinkerte mir zu und ich hatte auf einmal ein schlechtes Gefühl.
"Hahahaha", lachte ich gezwungen als wäre dies der beste Witz, den ich je gehört hatte, gewesen und stopfte geschwind die Feder in den Geldbeutel.

Dann machte ich mich daran, die Wolldecke in Konnors Tasche zu verstauen und schnell ein Stück trockenes Brot hinunterzuschlingen.
"Wollen wir?" Nach Zehn Minuten stand ich mit Konnors Tasche über der Schulter bereit loszumarschieren. Wie aber die meisten sicher schon gehant haben mussten, gingen wir noch lange nicht los. Männer halt!
Cronan musste noch zwei mal pinkeln gehen, vergewisserte sich zehn Mal, auch wirklich alles eingepackt zu haben und vergass schliesslich doch fast sein Schwert. Konnor konnte sich nicht entscheiden, ob er sein Gesicht eher verbunden oder frei lassen sollte, um die Wunde zu schonen. Dabei fiel ihm erst im letzten Moment ein, dass er mit verbundenem Gesicht nicht sehen konnte und Finlay musste die sorgfältig umgelegten Bandagen wieder entfernen. Mit zuckendem Fuss und an einen Baum angelehnt, wartete ich beinahe noch eine halbe Stunde, bis endlich alle drei bereitstanden. Als wir die Lichtung hinter uns gelassen hatten, mussten wir wieder anhalten, da Konnor lauthals verkündete, sein gebrochener Arm hänge zu unbequem in dem Tuch, das um seinen Nacken gebunden war, und Finlay solle doch dieses bitte neu platzieren.
Seufzend wunderte ich mich, ob wir wohl je vom Fleck kommen würden.
Doch zu meiner Erleichterung hielten wir nach diesem Vorfall lange nicht mehr an. Während wir wanderten, hielt ich mich stets Konners Nähe, um mich zu vergewissern, dass er nicht doch plötzlich vor Erschöpfung zusammenfiel.
Dabei hatte ich auch die Gelegenheit, mit ihm über den Diamanten zu diskutieren.
"Schade", meinte Konnor nur, als ich im erzählte, dass der Diamant unterdessen wieder in den Händen seines ursprünglichen Besitzers war.
"Verärgert dich das etwa nicht?", fragte ich verwundert.
"Nein, solange wir doch zusammenbleiben, kommen wir alle durch den Wald", erklärte er, "auch wenn der grösste Volltrottel auf Erden ihn hat."
"Hey! Das habe ich gehört, Bengel", schnaufte Cronan, der zwei Meter vor uns natürlich jedes einzelne Wort mitgehört hatte.
Ich musste kurz lächeln und fragte anschliessend:
"Und wie in deiner fantastischen Theorie sollte der Stein funktionieren?"
"Lass mich raten: Man muss ihn nur im richtigen Winkel in der Sonne halten und dann zeigt der Lichtstrahl den richtigen Weg an, stimmt's?", meinte Cronan schelmisch und mit einem grossen Grinsen im Gesicht.
"Das weiss ich doch nicht! Du musst es doch wohl am besten wissen", erwiderte mein Zwillingsbruder trotzig.
"Ich kann dir nur eines sagen, Bengel: Du liegst falsch. Dieser Stein zeigt uns nicht den Weg durch den Wald. Es ist einfach bloß ein Edelstein, nicht mehr. Nur zu dumm, dass ich es dir nicht vorher gesagt habe, ansonsten wären wir nämlich nicht hier in diesem Schlammassel", entgegnete ihm Cronan trocken.
"Ich sehe eigentlich nicht, wie dieser Wald überhaupt gefährlich sein kann. Es sind schliesslich ganz normale Bäume", raunte Konnor und ich fragte mich, ob er das ernst meinte, da er doch vor kurzem gerade den Beweis für das Gegenteil am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte.
"Sag das nochmal", kam nun Finlay dazwischen und zeigte mit dem Finger nach vorne. Dort, von einem Ast hängend, bleckte eine riesige, widerliche, fleischfressende Pflanze ihre scharfen Zähne.
"Oh Mann!", hörte ich Konnor seufzen, "nicht schon wieder Zähne!"

Hallo, hier eure Ysilra!
Was denkt ihr: Weiss Cronan etwas über den Adler?
Ich bin gespannt auf eure Meinungen. LG
Ysilra

KeithaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt