Ich schnappte nach Luft, als ich den Namen erkannte, den er gerade gesagt hatte und er schaute mich fragend an. "Fiacre?", fragte ich mit noch immer laut pochendem Herzen. "Ja, das ist der Name des Jünglings, des Menschen, der sich in die Göttin verliebt hat, warum?", wollte er wissen.
"Ich habe diesen Namen schon mal gehört", murmelte ich nur und dachte an das Mädchen im Wasser.
"Wo denn?", hakte er nach und ich wusste nicht, ob ich ihm alles über meine seltsame Vision im Fluss erzählen sollte. Ich entschied mich dann aber dafür. "Hier im Wald. Ein Mädchen, das ich auf dem Wasser als Spiegelbild gesehen habe. Sie hat von einem Fiacre gesprochen", murmelte ich nur leise und traute mich dabei kaum, ihm in die Augen zu schauen. Er ist der Adler, er wird mir nie was Böses wollen, beruhigte ich mich dabei selbst.
"Mmmm", studierte Finlay, "Das kann gut sein, der Wald hält vieles von der Vergangenheit und der Zukunft fest. Was hat sie sonst noch gesagt?"
Ich überlegte einen Moment
"Etwas über eine Lüge", grübelte ich nach und ich konnte mir daraus keinen Reim machen.
"Heisst das, dass du dich deines Blutes wegen in einen Adler verwandeln kannst?", kam ich nach einer Weile zurück zu Finlays Legende. "Ja, jeder Mindear hat einen Teil von Mindeas Macht bekommen. Es hat aber bei jedem eine Grenze. Ich kann mich zum Beispiel nur in einen Adler verwandeln und nur für eine Weile, sonst kann ich nie wieder zu meiner menschlichen Gestalt zurückfinden und verliere mein ganzes Gedächtnis."
"Ohh", sagte ich erstaunt. Mit dem hatte ich nicht gerechnet.
"Was ist Cronans Fähigkeit?", wollte ich wissen. "Kann er sich auch in ein Tier verwandeln?"
Für einen Bruchteil einer Sekunde hätte ich schwören können, dass sich plötzlich ein Lächeln auf Finlays Lippen gebildet hatte. "Nein, Cronan würde sich nie in ein Tier verwandeln, auch wenn er die Fähigkeit dazu besässe", antwortete er trocken.
"Warum nicht?"
"Wie soll ich das ausdrücken... Gestaltenwandler gehören zur tiefsten Schicht der Gesellschaft. Sie haben am wenigsten Wert von allen", erklärte er schon fast bedrückt.
"Wie Frauen", ergänzte ich und verstand sofort, was er damit meinte. Die Meinungen der Mädchen hatten selbst in der Diebesgilde immer am wenigsten gegolten und ihre Vorschläge, selbst wenn es die besten gewesen waren, hatte man immer mitleidig lächelnd abgetan.
"Aber ich dachte, er wäre dein Bruder", entgegnete ich mit gerunzelter Stirn.
"Stiefbruder", korrigierte er mich.
"Cronan und seine drei Geschwister gehören zur höchsten Gesellschaftsstufe, zur Königsfamilie",
"Was?", gluckste ich vor Überraschung. "Das erklärt also seine widerliche Arroganz!", lachte ich etwas zu vorschnell auf.
"Er und arrogant?", erwiderte Finlay und strich sich mit der Hand durchs kurze, blonde Haar. "Er ist ein Engel im Vergleich zu seinen Geschwistern. Du kannst von Glück reden, dass du auf Cronan gestossen bist und nicht auf sie."
"Aber wie kommt es, dass du aus deinem Stand in eine solche Familie aufgenommen wurdest?", wunderte ich mich.
"Das liegt an meiner Mutter. Sie ist auch aus hohem Stand, konnte aber den Druck, schon in ihren jungen Jahren heiraten zu müssen, nicht aushalten und ist von Zuhause abgehauen. Sie hat dann anschliessend meinen Vater - einen einfachen Bauern - kennen gelernt und hat ihn dann irgendwann doch geheiratet. Als es für sie gestummen hat. Als mein Vater aber an einem Werwolfsbiss gestorben ist, kehrte sie mit mir und meiner kleinen Schwester zu ihrer Familie zurück und heiratete kurz darauf den König."
"Werfwolfsbiss?"
"Ja, ich war 9, als ein Werwolf in unserem Dorf sein Grauen trieb und meine ganze Familie beschlossen hat, Jagt auf ihn zu machen. Mein Vater hat es leider nicht überlebt."
Deswegen wusste er soviel über Konnors Verletzungen, schoss es mir durch den Kopf und ich hatte auf einmal Mitleid mit ihm. Cronan behandelte Finlay schon sehr schlecht, ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie viel schlimmer es mit seinen anderen Stiefgeschwister sein musste.
"Du hast mir immer noch nicht gesagt, was Cronan kann", stellte ich fest.
"Gedanken lesen", antwortete er schlicht und ergreifend und ich erschauderte sofort.
"Was? Wirklich?"
Finlay nickte und ich hatte plötzlich Angst, dass Cronan bisher immer meine Gedanken gelesen hatte, jede Einzelheit.
"Mach dir keine Sorge, es gibt auch für ihn gewisse Grenzen, die sind mir aber fremd. Er spricht nie über seine Fähigkeit." Ich schluckte.
Auf einmal machte es auch Sinn: Cronan hatte mich aufgespürt, als ich hinter dem Baum bei der Feuerstelle gestanden hatte, um zu ihnen hinüberzusehen. Auch als ich mit Finlay sprechen wollte, hatte er mich sofort durchschaut.
"Du hast mir meinen Geldbeutel geklaut", fiel mir plötzlich ein und ich dachte sofort an den liebevollen Blick, den Finlay mir zugeworfen hatte. "Warum?", fragte ich und mein Gesicht lief rot an.
"Ich wollte den Diamanten zurücknehmen, aber leider hattest du ihn nicht mehr."
sagte er mit einem Achselzucken.
Dieser Gegenstand, der sich an jenem Abend an der Feuerstelle in Finlays Hand befunden hatte, war also tatsächlich mein Geldbeutel gewesen.

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Keitha
Fantasi"Geh nie in den Wald!" Diese Warnung ist das Einzige, was Keitha noch von ihrem verschwundenen Vater geblieben ist. Niemals hätte sie sich jedoch vorstellen können, dass sie ausgerechnet mit ihrem Bruder und den zwei Männern, die sie bestehlen wollt...