Erschrocken stellte ich fest, dass Finlays Wunde am Hals stark blutete und fast aussah, als wäre sie aufgerissen worden. Doch Finlay schien dies nicht zu bemerken. "Nie mehr lasse ich zu, dass wir das wiederholen!", schimpfte er mit einer lauten, bedrohlicher Stimme und für einen Augenblick kam er mir schon fast gefährlich vor. "Fin..", flüsterte ich scheu. "Das war so gefährlich, töricht und unvorsichtig von dir!", unterbrach er mich und liess mich nicht ausreden. Aber ich verstand nicht, worüber er sich eigentlich aufregte. Unvorsichtig? Er war der, der seine Aufgabe nicht erfüllt hatte. Er war der, der mich zum Fallen gebracht hatte. Seine unerklärliche Reaktion löste in mir ein Feuer aus, eine Wut, die mich schon beim Fliegen gepackt hatte. Dennoch war meine Angst vor ihm noch grösser als diese Wut. "Bitte, reg dich nicht so auf", meinte ich harsch mit der Hoffnung, ihn zu beruhigen. Dies liess ihn verstummen. Ein paare lange Sekunden herrschte peinliche Stille und keiner von uns sagte ein Wort.
"Du blutest heftig" , untetbrach ich schlussendlich die Stille und nahm einen Schritt auf ihn zu. Er wendete seinen Blick von mich ab.
"Ach das! Die Verwandlung verzerrt die Haut, weil diese eine ganz neue Form annimmt. Das war mir von Anfang an klar gewesen. Sich zu verwandeln ist nie risikofrei. Deshalb lautet auch die zweite Regel bei den Gestaltenwandler auch, sich niemals zu mit Verletzungen zu verwandeln!" Er lächelte kurz und betupfte sich sich Wunde mit seiner Hand. "Das sieht nicht zu schlimm aus, das Bluten sollte bald aufhören." Seine Stimme hatte wieder den ruhigen gelassenen Ton angenommen.
"Warum hast du mir nicht gesagt, dass deine Wunde bei der Verwandlung aufreissen würde?"
"Das war doch kein Argument und du wolltest ja sowieso nicht auf mich hören", er sah mich belustigt an und wies auf die Tasche. "Könntest du mir bitte die Paste rausgeben?" Ohne ein weiteres Wort öffnete ich die Tasche und reichte ihm die kleine Schatulle. "Ihr habt Regeln?" nahm es mich Wunder. "Oh ja, wir haben ganz viele. Die wichtigste lautete immer: Verwandle dich nie vor jemanden, der ein Mensch ist oder du dich nicht sicher bist, dass er einer ist."
"Das ist ein Witz oder? Da hast du ja schon zwei Regeln gebrochen."
"Nein, viel mehr. Meine Familie würde mich im hohen Bogen rauswerfen und nie mehr ein Wort mir mir wechseln, wenn sie herausfinden würden, wie viele Regeln ich gebrochen habe."
Ich lachte auf. "Ist es deshalb so schwierig für dich, dich auf deine Aufgabe zu konzentrieren? Weil du eigentlich nichts anderes weisst, als Regeln zu brechen?"
Das war eindeutig gewagt von mir. Eigentlich war es nicht meine Absicht gewesen, ihn auf irgendeiner Weise zu provozieren, aber die Wut in mir hatte sich im Gegensatz zu ihm noch nicht gelegt, nur hatte ich mir nichts anzeigen lassen. Kaum war es aus mir rausgesprudelt, bereute ich es aber wieder , denn Finlay sah aus, als hätte ich ihn ins Gesicht geschlagen und er sah wieder verärgert aus. "Was heisst das, meine Aufgabe nicht befolgt?"
Ich schluckte einmal -um meine Wut im Zaum zu halten oder zu verhindern, ihn weiter zu provozieren, wusste ich selber nicht. "Wir hatten doch abgemacht, dass du dich aufs Fliegen und ich mich auf die Bäume konzentrieren würde", beantwortete ich seine Frage und meine Stimme zitterte ein wenig. "Du hast das eindeutig nicht gemacht. Jedes Mal musstest du auf irgendeiner Weise mir im Weg sein!"
"Das tut mir aber leid, ich habe nur unseren Tod verhindern wollen. Du hast nicht die hälfte der Äste auf dich kommen sehen!" Er sah wieder bedrohlich aus und ich hätte sicher kein Wort mehr rausgekriegt, hätte meine Wut nicht die Oberhand gewonnen.
"Hälfte der Äste? Ich war auf deinem Rücken! Wie konntest du da überhaupt sehen, was ich tat? Du wolltest mir nicht mal die Chance geben, irgendetwas zu tun!", schrie ich ihn wutentbrannt an. Finlay liess sich nicht beeindrucken. Im Gegenteil, er war vor Wut rot im Gesicht geworden und seine Augen glühten goldig.
"Das hättest du sowieso nicht hingekriegt, du bringst alles durcheinander! Dank dir sind wir hier gelandet und werden wohl deinen Bruder und Cronan nie wieder sehen! Wo wärst du, wenn ich dein Leben nicht schon so viele Male retten musste? Dafür habe ich übrigens nie ein Dankeschön gekriegt! Nein, du versuchst uns einfach wieder umzubringen!"
"Wie wagst du das zu sagen?", kreischte ich hysterisch , "Ich habe dein Leben zweimal gerettet. Und ich bringe nicht alles durcheinander! Nein, du traust mir einfach nichts zu. Du kannst ja niemandem vertrauen, das ist dein Problem. Und was alles durcheinander bringt, bist verdammt nochmal DU!" Ich atmete zweimal ein und aus, um an Sauerstoff zu gelangen, da ich kaum mehr zu Luft gekommen war. "Du behauptest, ich sei naiv, das verdammte Mädchen sagt mir, ich sollte nichts mit dir zu tun haben, aber, nein, ich höre nur auf mich selbst und sage mir: 'Ach, was soll's! Ich bleibe naiv und vertraue Finlay einfach mal . ' Wie kann ich dabei nicht draufgehen, wenn du so kompliziert bist? Ich verstehe überhaupt nicht mehr was ich tun oder schon fühlen sollte! Du gibst dir keine Mühe und spielst mit mir herum, als wäre ich deine Puppe, die sowieso nichts hinkriegt und tun soll was du verlangst während ich dämlich versuche, aus diesem Wald zu kommen und dich doch längst hätte sterben lassen können. Also sei du ein bisschen dankbar, reiss dich zusammen und tu mal deinen Teil, sodass wir von hier wegkommen."
Noch nie war ich so ausser Wut gewesen und ich hatte es schon gar nie gewagt, jemanden so zurechtzuweisen.
Mein Herz konnte ich laut in den Ohren pochen hören, meine Hände waren zu Fäusten geballt. Mit knirschenden Zähnen wartete ich auf seine Reaktion und war mit jeder Art bereit, zurück zu kontern. Aber Finlay sagte nichts mehr. Das Rot war aus seinem Gesicht gewichen und seine Augen sahen mich traurig an. Meine Wörter hatten ihn unübersehbar verletzt. "Wie...", begann er, unterbrach sich aber und seufzte laut.
"Es tut mir leid", entschuldigte er sich und legte die Schatulle wieder zurück in die Tasche. "Du hast natürlich Recht. Ich habe es nicht richtig versucht. Aber ich behandle dich nicht wie ne Puppe" Er murmelte noch was unverständliches in seiner Sprache. "Nein, als was dann?", wollte ich wissen und funkelte ihn zornig an.
"Wie man deiner Meinung nach Frauen behandeln sollte?"
Er lächelte kurz und meinte nur: "Das will ich lieber nicht sagen, sonst bricht nochmals der Vulkan aus... aber ich habe dich anscheinend falsch behandelt und werde mich in Zukunft verbessern. "
"Gut, dann können wir ja wieder loslegen!", erwiderte ich trotzig und griff nach dem Schwert. Er sah mich ein paar Sekunden erstaunt an und seufzte laut.Dieses Mal musste es klappen. Davon war ich überzeugt. Meine Wut hatte eine nie vorher gespürte Willenskraft in mir erweckt. Grund dafür war eindeutig mein Stolz, den ich vorher auch nie verteidigen musste. 'Damit beweise ich auf jeden Fall, dass er der Volltrottel ist und nicht ich!'
"Also gut! Flieg los!", kommandierte ich und das Tier setzte sich wieder in Bewegung. Kaum waren wir in der Luft, waren die Äste wieder zum Leben erweckt, als wüssten sie, dass wir dieses Mal eine grössere Bedrohung sein würden. "Ha!" Der erste Ast wurde von mir zerschmettert und brach ab. "Haaa", schrie ich, als der zweite Ast vom Schwert weggeschossen wurde. Dann kam nichts mehr. Frische Luft und helles Licht begrüssten uns. Wir waren oberhalb der Baumkronen gekommen, unbeschadet, lebendig. Ich war so aus der Fassung, dass ich anfing zu lachen. "Das war ein Kinderspiel", rief ich Finlay zu und tätschelte ihm auf dem Kopf. "Siehst du, zusammen können wir alles schaffen"
Der goldene Adler schüttelte nur den Kopf.
"Ich hoffe, du schmollst jetzt nicht, weil ich recht hatte", ich grinste zufrieden. Herrlich! Es war, als wäre die ganze Last von den letzten Tagen von einem Moment zum nächsten von mir genommen worden. Ich war frei, so wie ich es im meinem Traum gewesen war. Der Wind, der durch meine Haare wehte und in meinen Ohren rauschte, der Horizont, den ich nach all diesen Tagen im Wald endlich wieder sehen konnte. Zum ersten Mal seit langem hatte ich sogar wieder die Hoffnung, dass alles gut kommen würde. "Wir müssen jetzt nach dem Waldrand suchen" sagte ich und lehnte mich ein bisschen zur Seite, um einen besseren Blickwinkel auf den Wald zu kriegen. Der Wald war beeindruckend gross. Ich konnte mich umsehen so viel ich konnte, die Fläche unterhalb von uns war bedeckt mit grünen Laubbäumen, ein Rand des Waldes war nirgends zu sehen. Und damit waren meine Hoffnungen wieder zunichte. "Ich weiss nicht wo es lang geht, hast du ne Ahnung?"
Finlay wusste sicher auch nicht mehr als ich, weshalb er auch einfach in irgendeiner Richtung zu fliegen schien. Mir wurde erst kurz danach bewusst, dass er die best mögliche Wahl getroffen hatte: Der Wind trug uns, sodass Finlay kaum mit den Flügeln schlagen musste und Energie sparen konnte. Wären wir gegen den Wind geflogen, hätte er nach zehn Minuten sicher wieder landen müssen.
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Keitha
Fantasy"Geh nie in den Wald!" Diese Warnung ist das Einzige, was Keitha noch von ihrem verschwundenen Vater geblieben ist. Niemals hätte sie sich jedoch vorstellen können, dass sie ausgerechnet mit ihrem Bruder und den zwei Männern, die sie bestehlen wollt...