19. Der Groll

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Manchmal fragte ich mich, ob der Wald uns nur umbringen wollte oder nach Laune Gefahren auf uns losschickte. Die letzten Malen, als jemand fast umgekommen wäre, war immer etwas schlimmeres gefolgt: Bei Konnor waren es die Blumen und der Troll gewesen, bei mir der See und nun hatte es der Wald tatsächlich fast geschafft, Finlay mit einer Wasserfrau und einem Geist in der Gestalt eines Mädchens umzubringen.
Aber dieses Mal schien der Wald uns helfen zu wollen, da wir nicht mal weit laufen mussten, bis wir eine riesige Baumhöhle fanden, in der wir uns vor dem Regen schützen und im Trockenen übernachten konnten. Finlay schlief sofort ein und nachdem ich ihn nochmals untersucht hatte, folgte ich mit knurrendem Magen und frierend seinem Bespiel und wachte erst viele Stunden später wieder auf.
Mit blinzelnden Augen stellte ich am nächsten Morgen fest, dass wir uns nicht mehr in einem Baum befanden, sondern in einer Höhle aus Stein. Ich stand auf und schlenderte mit einem Surren im Kopf nach draussen. Der Regen hatte inzwischen an Stärke verloren. Um die Felsenhöhle herum standen Bäume, was ich eigentlich erwartet hatte. Wie wir aber hierher gekommen waren und warum, blieb mir ein Rätsel. Mit einem Schulterzucken ging ich wieder in die Höhle hinein und setzte mich neben Finlay hin, der mit Schweiss auf der Stirn in einem Fiebertraum lag. Na super! Ich knöpfte den Stoff, der um seinen Hals lag, ab und betrachtete die stinkende und inzwischen vor entzündetem Eiter gelb gewordene Wunde. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Es musste sich während der Nacht verschlimmert haben, oder es lag aber an der Paste. Welche hatte ich wieder genommen? Ich konnte mich nicht erinnern und daher hielt ich es für am Besten, die Paste wegzulassen und seine Wunde einfach so zu reinigen. Ich stellte die Flasche in den Regen, sodass sie sich langsam mit Wasser füllte, betupfte Finlays Stirn mit einem Stück der zerrissenen Decke und breitete die andere über ihn aus, sodass er auf jeden Fall nicht fror. Danach reinigte ich die Wunde so gut es ging und bedeckte sie wieder mit einem frischen Stück Stoff.
Die folgenden Stunden zogen sich unerträglich in die Länge, da mir nichts mehr übrig blieb, als frierend da zu sitzen und zu warten.
Stunden wurden zu einem Tag und unterdessen knurrte mein Magen ununterbrochen.
Als die Nacht dann hereinbrach, hörte ich in der Höhle Ratten rascheln, was mich zur Idee brachte, ein paar von denen zu fangen und plötzlich dachte ich sogar daran, sie dann anschliessend zu verspeisen. Das hätte ich vor einer Woche nicht mal im Traum getan, dennoch musste ich mich auf irgendeiner Weise ernähren, da ich das letzte Mal vor über zwei Tagen gegessen hatte. Ausserdem traute ich mich nicht, mich von Finlay zu entfernen, da ich befürchtete, den Weg zur Höhle nicht mehr zu finden. Nun Keitha, du kannst das!, sprach ich mir selbst Mut zu und holte mein Messer heraus.
Das war mir dieses Mal nützlich, denn ich schaffte es, mir zwei der riesigen Ratten zu schnappen und sie damit zu durchstechen. So gesagt klang es aber viel blutrünstiger, als es eigentlich war. Es knackte noch nicht einmal. Die Tierchen quietschten nur kurz auf, bevor sie an der kalten Klinge erschlafften. Erst als ich bemerkte, dass ich meine Beute unmöglich roh verspeisen konnte, wurde die Sache schwierig. Totes Holz war zwar einfach zu finden, jedoch war es vom Regen durchnässt und unmöglich anzuzünden. Und wie genau zündete man ein Feuer überhaupt an? Ich wusste ja noch nicht einmal das!
Bedauerlich sah ich die Ratten an und mir lief regelrecht das Wasser im Mund zusammen. Der Hunger musste mich in diesem Moment schon wirklich stark beeinträchtigt haben, denn diese toten Ratte, die wahrscheinlich noch von unzähligen Parasiten besetzt waren, waren alles andere als appetitlich. Für eine Weile sass ich so da, dann griff ich nach dem Messer, häutete meine Beute und schnitt das Fleisch heraus.
Was solls! Ich schlang das rohe Fleisch hinunter. "Ghhhh", schauderte ich laut, und es schüttelte mich vor Ekel. Dennoch würgte ich das nächste Stück hinunter und ich spürte trotz allen Widerwillens, dass der Hunger in diesem Moment überwog. Als ich einigermassen satt war - das behauptete ich auf jeden Fall, als ich vor Ekel kein Stück mehr runterbringen konnte - legte ich mich auf den kalten Grund und versuchte in der Dunkelheit ein wenig Schlaf zu finden.

KeithaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt