Kapitel 19 "Vertrau ihr nicht"

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Ich stand auf und trat mit meinen Füßen auf ihn ein, bis er von der Leiter gefallen war. Da lag er nun. Bewegungslos und mit geschlossenen Augen. Hatte ich etwa gerade jemanden umgebracht? Ohne zu zögern kletterte ich nach unten und versuchte im schwachen Licht Grace zu finden. Sie saß wimmernd in der hintersten Ecke. Alles was sie trug war ein Hemd und ein Unterhöschen. "Oh gott", flüsterte ich und verdeckte mit der einen Hand meinen Mund. "Was hat er dir angetan?", fragte ich schluchzend und nahm sie in den Arm. Sie zitterte am ganzen Körper und ihre Hände waren eiskalt. Es war ja auch nicht gerade warm hier unten. "Wir müssen hier jetzt weg", flüsterte ich und sah in ihre weit aufgerissenen, braunen Augen. In diesem künstlichen Licht wirkten sie gar schwarz. Der Schock stand ihr wort wörtlich ins Gesicht geschrieben. Ich drehte mich um und wollte mich versichern, dass Brian noch am Boden lag. Tatsächlich, und an der Seite des linken Ohres, sammelte sich eine kleine Blutlache, die von Hinterkopf hervor drang. "Das hast du davon!", schrie ich ihn an und achtete auf seine geschlossenen Augen. "Komm", sagte ich lächelnd und drehte mich um zu Grace. Ich tastete mich vorsichtig nach oben und richtete meine Blicke stets zu Brian. Ich zog mich nach oben, wo ich mich sofort umdrehte und ihn wieder in mein Blickfeld nahm. "Gracy! Beeil dich!", rief ich hektisch und sah das Brian seine Augen weit offen hatte. Er grinste boshaft und stand mit einem Ruck wieder auf beiden Beinen. "Los!!!", brüllte ich und streckte ihr meine Hand entgegen. Ich wollte sie kein zweites Mal enttäuschen. Ich musste wieder an Brians Worte denken, dass er Gracy auch vergewaltigt hatte. Ich spürte wie sich langsam eine Gänsehaut auf meinem Körper ausbreitete.
Plötzlich hörte ich sie schreien und ich wusste das er sie hatte. Er umklammerte ihren Fuß und im nächsten Moment lag sie wieder am Boden und war ihm ausgeliefert.Sie sah mich hilflos an und sagte kein Wort mehr. "Gracy", rief ich weinend aber doch irgendwie leise. Ich zog meinen Arm langsam ein und starrte auf ihren bewegungslosen Körper. "Fuck!", rief ich und fuhr aus Angst durch mein Haar. Brian hielt ihr einen Lappen vor den Mund, kurz versuchte sie dem noch auszuweichen und dann war sie ruhig. Es schien als ob sie schlafen würde. Ein friedliches Lächeln zauberte sich auf ihr Gesicht, bevor er seine Hosen runter ließ. "Lass sie in Ruhe!", brüllte ich und mein Gesicht wurde knall rot. "Shhh", sagte er und schloss mit einem eingehangenem Stab die Tür. Ich hämmerte stark dagegen, bis mir die Kraft dazu fehlte und es nur noch wie ein dumpfes Klopfen klang. "Sie kann doch nichts dafür", flüsterte ich und versteckte meinen Kopf zwischen meinen verschränkten Armen. Es war ruhig, bis ich sein gestöhne hörte. Ich schrie. "Es tut mir so leid Gracy!", rief ich schluchzend. Ich schnupfte und wischte mir die Nase trocken. Alleine der Gedanke nicht zu wissen, was er an ihr gerade alles probierte ließ mich innerlich zerbrechen. Es war der einzige Moment, wo ich wirklich von Glück sprechen konnte, dass sie nicht bei Bewusstsein war. Was aber noch viel schlimmer war, dass ich, ja genau ICH, an allem Schuld war. "Wär' ich doch besser in Kyles Haus geblieben", murmelte ich. "Nein! Es wäre besser gewesen, wenn ich gleich zu Hause geblieben wär" Zum ersten Mal bereute ich es, nicht auf meinen Vater gehört zu haben. Langsam baute sich Hass gegen Kyle auf. Wenn er zurückgekommen wäre, wäre dann alles anders gekommen? Würde ich dann jetzt wieder zu Hause sitzen und mit Grace telefonieren, während ich mir meine Fußnägel lackiere? "Ja vielleicht", flüsterte eine dieser vielen Stimmen in meinem Kopf. Vorsichtig schenkte ich meinen Augen wieder Tageslicht. Ich spähte zur Wand gegenüber, die mit der Nachricht. Meinen Mund ließ ich jedoch in meinen verschränkten Armen versteckt. Meine Augen brannten wie Feuer, vermutlich weil ich viel zu viel geweint hatte und sie dann auch noch rieb. In Gedanken hoffte ich, dass Gracy ihm entkommen konnte. Ich stellte es mir bildlich vor, wie sie ihn schlug, einmal links, einmal rechts. Wie ER dann bewusstlos am Boden lag und sie auf ihn eintrat, bis das Blut aus seinem Mund spritzte. Je mehr ich darüber nachdachte desto realistischer kam es mir vor.
Ich hörte lautes gestöhne, nicht nach einem Orgasmus sondern als würden sie plötzlich kämpfen. Ich wurde aufmerksam und betete für meine Freundin. Dann herrschte wieder Stille. Jemand krabbelte eilig die Leiter hinauf. Ich stellte mir Brian vor, wie er Blut übersehen vor mir stand und sagte: "Ein Problem weniger" Langsam ging die Türe nach oben auf. "Gracy?", fragte ich und konnte fast nicht glauben, dass sie es wirklich war. "Vertrau ihr nicht", flüsterte eine Stimme in meinem Kopf. Ich schlug mit meiner Handfläche gegen meinen Kopf, dann war sie verstummt. "Hast du die Schlüssel, dass wir hier weg können?", fragte ich und warf einen Blick auf ihre Hände. Sie hielt ein Messer in der Hand und schüttelte den Kopf, als Antwort auf meine Frage. Sie umklammerte mit ihrer ganzen Hand das Messer und schritt langsam damit auf mich zu. Die Spitze zeigte auf die Höhe meines Kopfes. "Es tut mir leid", flüsterte sie und blieb kurz stehen. "Gracy, was soll das!?", rief ich und achtete auf das Messer. Ich presste meinen Rücken gegen die Wand und drückte meine Hände fest auf den Boden. Das war der Dank? Dass ich Brian die Treppen hinuter schubsen musste und sie befreien wollte?! Sie setzte die Spitze an meiner Schulter an und schloss die Augen. "Ich sagte doch, dass du ihr nicht vertrauen solltest", flüsterte die Stimme wieder.

"Vertrau ihm nicht"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt