diese Augen

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Sicht: Helene

Einen kurzen Moment war ich erstarrt, als plötzlich jemand meinen Namen rief. Ich zuckte zusammen und schaute mich verwirrt um. Christoph hob seine Hand: „Hast du den Text wieder?" Anscheinend hatte ich tatsächlich aufgehört zu singen. Ich nickte und wollte weitermachen, aber dieser intensive Blick ließ mich nicht los.
Ohne etwas zu sagen rannte ich von der Bühne, auf einem schmalen Gang blieb ich stehen, in der Hoffnung unerkannt zu bleiben. Schnell zückte ich mein Handy, was ich zum Glück in meiner Hosentasche trug und wählte 110.
„Polizeistation Hamburg, guten Tag." meldete sich eine freundliche Stimme, doch bevor ich zu Wort kam, stand er vor mir.

Ein starker Ruck durchstieß meinen Körper und schon stand ich mit dem Rücken nah an der Wand. Mit seinem Zeigefinger richtete er mein Kinn nach oben, sodass ich seinem Blick nicht ausweichen konnte. Ungewollt wurde mein Atem schneller – es war der schlechteste Zeitpunkt Angst zu zeigen. Gerade versuchte ich etwas in den Hörer, der noch immer nah an meinem Ohr war, zu schreien, aber es war zu spät.
Wütend schlug der Mann das Handy aus meiner Hand. Der Aufprall dröhnte in meinen Ohren und schallte noch lange nach. „Schätzchen, du machst es mir aber auch einfach." hauchte er mir entgegen, sodass ich die Aussage mehr spüren, als hören konnte. „Ich glaube es wäre besser, wenn du ab heute das tust, was ich von dir verlange. Wie denkst du darüber?"
Die Angst war zu groß, um eine andere Antwort als >Ja< zu geben und seine Kraft war so ungeheuer stark, dass es keine Möglichkeit gab, sich aus seinem Griff zu befreien. Geschickt hatte er mich gegen die Wand gedrückt, nur mit einer Hand hielt er mich fest in seiner Gewalt. Die andere hatte er wahrscheinlich extra freigelassen, um zuzuschlagen, falls ich nicht gehorche.
„Was wollen Sie?" fragte ich mit piepsiger Stimme, die meine Angst wohl noch mehr betonte, als das Zittern an meinem Körper.
Ein höhnisches Lachen untermauerte seine hasserfüllte Antwort: „Ich will Menschen leiden sehen. Und weil ich dich ja gestern schon kennengelernt habe und mir eine Person des öffentlichen Lebens ganz recht kommt, fang ich mal mit dir an... weißt du was immer am besten zieht?"

Ohne auf seine Frage einzugehen erwiderte ich: „Aber eine Person des Öffentlichen Lebens bewirkt doch eher das Gegenteil. Wenn man Sie erwischt, dann..." weiter kam ich nicht, denn jetzt legte er seine freie Hand so an meinen Hals, dass mir die Luft schon nach wenigen Sekunden zu knapp wurde. „Aber durch deinen öffentlichen Status weiß ich alles über dich. ALLES!" Er betonte es so eindringlich, dass ich inzwischen von dieser Tatsache selbst überzeugt war. „Aber zurück zu meiner Frage... weißt du was am besten zieht, wenn man jemanden Leid antun möchte?"
Ich schüttelte bedrückt den Kopf, in der Hoffnung, dass das alles nur ein Traum sei. „Den geliebten Menschen der Person Leid anzutun."
Meine Augen starrten geschockt nach vorne – er hatte Recht, er wusste genau was er zu tun hatte. Meine Angst stieg ins Unendliche, am liebsten wäre ich einfach zu Boden gesunken. Ich wollte aufwachen aus diesem Albtraum – wieder in meine Welt, die bis vor einigen Minuten noch perfekt war zurück.
Erst der stechende Schmerz am Hals holte mich zurück in die Realität. In meinen Augen bildeten sich aufsteigende Tränen, die ich mit aller Kraft versuchte zurückzuhalten.
„Also Kleines? Willst du mir gehorchen?" Ich nickte gehörig, weil ich genau wusste was passiert, wenn ich mich dagegen entscheide. „Sehr gut. Du erwartest nachher eine SMS, gib mir deine Nummer." Endlich löste er seinen Griff, ich hob mein Handy vom Boden auf und zeigte ihm die Nummer, ohne auch nur einen Mucks von mir zu geben.
„Sehr gut!" fauchte er „Bis später. Und denk dran... Keiner erfährt von mir." Er gab mir als Abschied einen leichten Klaps auf den Kopf, danach verschwand er so schnell in einem Nebengang, wie er gekommen war.

Eine Weile blieb ich einfach nur stehen – ich hatte Angst, große Angst. Jede Bewegung hätte falsch sein können. Ich war total geschockt, wäre am liebsten weggelaufen. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit konnte ich mich aus meiner Starre befreien und versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren, doch immer wieder hörte ich seine Stimme in meinem Ohr, immer wieder sah ich seine stechenden Augen vor mir und spürte seine knochige Hand an meinem Hals.
„Helene?" Automatisch zuckte mein Körper zusammen. Von hinten fasste mir jemand auf die Schulter, schlagartig drehte ich mich herum und atmete erleichtert aus, als ich in das Gesicht von Christoph blickte.
„Alles okay bei dir? Du solltest bei einer öffentlichen Probe nicht einfach von der Bühne rennen." – „Tut mir leid... ich... es ist alles okay. Ich komme gleich!" Christoph ging wieder weg und ich atmete noch einmal tief durch. Dabei versuchte ich meine Gedanken zu ordnen und so normal wie möglich zu wirken.

Kurz vor der Bühne schloss ich meine Augen und betrat sie voller Schwung. „Es kann weitergehen!" rief ich durchs Mikro und das Spiel begann von vorne. Diesmal vermied ich sämtliche Blicke ins Publikum – aus Angst davor, er könnte wieder dort sitzen und mich und mein Umfeld beobachten. Das erste Mal in meiner Zeit als Sängerin zählte ich schon fast die Sekunden bis zum Ende der Probe. Mit jedem neuen Takt hatte ich das Gefühl, an der vorherrschenden Luft zu ersticken.
Endlich erklangen die letzten Töne – schnell griff ich nach meiner Handtasche, die auf einem Stuhl lag und rannte vor die Eingangshalle.

Völlig erschöpft und durcheinander ließ ich mich an der Wand herunter gleiten und versuchte frische Luft aufzunehmen, weil mich das beklemmende Gefühl noch immer nicht los ließ. Ohne weiter nachzudenken, legte ich meine Hände über mein Gesicht und ließ meinen angestauten Tränen endlich freien Lauf. Es kam alles hoch – was ich nicht bemerkte, dass Flori schon besorgt neben mir stand, eine Erklärung konnte ich ihm aber nie liefern.
Erst als seine warme Hand auf meinem Rücken ruhte und er mich wortlos in den Arm nahm, merkte ich seine Anwesenheit. Es dauerte eine Weile bis ich mich beruhigt hatte und wieder ordentlich sprechen konnte.
„Mäuschen, was hast du denn?" Ich schüttelte mit dem Kopf, weil ich ganz genau wusste, dass ich es nicht sagen darf. „Du musst mit mir reden! Ich bin doch immer da für dich." Natürlich wusste ich das, aber genau in diesem Moment war ich so verzweifelt und wütend auf mich selbst, dass ich Florian einfach von mir weg stieß und losrannte.

Irgendwann kam ich an einer Bushaltestelle, nicht weit vom Studiogelände an und setzte mich dort auf eine Bank, um durchzuatmen.
Erst der Klingelton meines Handys trieb die Angst wieder in meinen Körper – für einen Moment hatte ich alles um mich herum vergessen und dann das. Ängstlich drückte ich auf >Nachricht öffnen<. Er hatte mir tatsächlich geschrieben.
>Halte dich vom Silbereisen fern, oder er wird es bald von selbst tun... unter der Erde. Also viel Spaß beim Schluss machen. PS: Ich sehe dich, überall!<

Mein Herz schlug immer schneller, jetzt wurde mein Körper nur noch von Panik beherrscht. Flo ist in Gefahr, wenn ich nicht mit ihm Schluss mache...


Ein Kampf gegen die ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt