Anhänger

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Sicht: Helene

„Wie...wie meinen Sie das?" fragte ich erstaunt, schon mit weitaus ruhigerer Stimme. „Ich habe meine Frau auch verloren. Es ist schon viele Jahre her. Ich war nicht so stark..." Ohne ein weiteres Wort stand der nette Mann auf, zwinkerte mir zu und ging Richtung Ausgang.
„Warten Sie!" Mit letzter Kraft rappelte ich mich auf und lief ihm hinterher – zwecklos. Er war bereits verschwunden, als ich vor dem Hotel stand. Ich schaute mich verwirrt um und ließ mich schnell auf eine Bank, direkt neben der großen Drehtür fallen. Mein Kopf dröhnte, erst jetzt kamen mir die stechenden Schmerzen hinter den Augen in den Sinn. Alles rauschte, jedes einzelne Geräusch schmerzte in meinem Inneren, so dass sich alles zusammenzog. Kleine Sterne blitzten immer wieder vor meinen Augen auf, eine unglaubliche Welle an Hitze überkam meinen Körper. Ich streckte meine Arme zur Seite aus und suchte in der Ferne nach dem Mann. Seine Worte blieben mir sehr lange im Gedächtnis. Er hatte mir die ganze Zeit zugehört, ich selbst wusste nichts von ihm. Er schien mich nicht einmal zu kennen, was doch ziemlich ungewöhnlich war. Und, das alles, alles hier, das war doch überall in den Nachrichten. Er wusste überhaupt nichts davon. Aber es tat gut. Es tat so gut einfach alles rauszulassen.


Ich versuchte mich ein wenig zu entspannen, frische Luft zu schnappen und all meine Sorgen und Gedanken für einen Moment einfach nur auszuschalten. Es wäre wichtig gewesen. Wichtig und schön, aber es ging nicht. Es wollte mir einfach nicht gelingen. Die Angst, Sorge, Trauer – alles war einfach zu gewaltig und so unbegreiflich. Es tat so weh. Alles. Selbst als ich die Luft sauer einsog schmerzte mein Brustkorb, ich musste laut husten, um die Luft wieder aus mir herauszubekommen. „Flo!" flüsterte ich. Ich schloss kurz meine Augen und lehnte mich ein Stück zurück. Vorsichtig kramte ich in meiner Hosentasche und ergriff ein wunderschönes, buntes Armband mit vielen kleinen Anhängern. Ich hatte es monatelang gesucht und genau jetzt, zum schlimmsten Zeitpunkt, geriet es in meine Hände. Jeder Anhänger stand für ein wichtiges Ereignis in meinem Leben. Es hatte sich eigentlich durch Zufall so ergeben. Florian hatte am Tag vor meinem ersten Auftritt bei ihm schon in den Proben bemerkt, dass ich ziemlich aufgeregt war. Ich konnte in der Nacht davor kaum ein Auge zu tun, weshalb er mir eine Stunde davor einen niedlichen, kleinen Anhänger geschenkt hatte. Es war ein Notenschlüssel. Ich hatte bereit ein passendes Armband, was ihm wohl ins Auge gestochen ist. Seit dem hat er mir hin und wieder hübsche Anhänger geschenkt und als wir dann zusammen gekommen sind, wurde es zur Tradition. Jeder einzelne Anhänger bedeutet mir so viel.


„Dann...dann kommt jetzt halt noch ein Kreuz dran!" schrie ich und warf das Ding so weit weg von mir, dass es fast in einen Gullydeckel fiel. Es lag mitten auf der Straße ich betrachtete es lange und fühlte erst nach wenigen Minuten, dass ich es bereuen würde, wenn ich es nicht wiederhole. Ohne groß nachzudenken, mit aufsteigenden Tränen, begab ich mich Richtung Straße.
„Ich hasse dich! Warum musstest du mich alleine lassen?" Mein Hals schmerzte, ich bekam kaum Luft durch das unausstehliche Kratzen. Tränen strömten über mein Gesicht, als ich achtlos auf die Straße rannte und nach dem Armband griff.
„HELENE! NEIN!" Ruckartig drehte ich mich herum, doch es war nur noch ein lautes Quietschen von Autorädern zu hören...

Ein Kampf gegen die ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt