Kein Ausweg

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Leise Stimmen drangen an mein Ohr. Ich öffnete meine Augen und schaute mich müde um. Meine Eltern standen an der Tür, neben dem Arzt. Sie schienen mich nicht zu bemerken. Erst als ich mich räusperte wurde die Aufmerksamkeit der Anwesenden geweckt. „Lenchen, Kindchen!" Meine Mutter kam auf mich zu und fasste nach meiner Hand. Ich hingegen zog sie schnell weg und versuchte jeden Blickkontakt zu vermeiden. „Wie geht es Ihnen? Wie fühlen Sie sich?" Dr. Brunning ergriff mein Handgelenk und drückte so fest zu, dass ich keine Chance hatte mich zu wehren. Stattdessen zuckte ich abwertend mit den Schultern und drehte mein Gesicht so, dass es nur mein Vater sehen konnte. Er war derjenige, den ich jetzt brauchte. Mein Papa. „Können wir alleine sein?" fragte ich leise und bemerkte erst zu diesem Zeitpunkt, wie schwach ich wirklich war. Er nickte und streichelte mir dabei sanft über den Kopf.

„Papa es tut so-so-o weh!" wimmerte ich und genoss es in seinen Armen zu liegen. Er streichelte mir sanft durchs Haar und murmelte etwas unverständliches vor sich hin. „Wir werden immer für dich da sein! Immer...für euch!" Meine Augen wurden immer größer. „Euch?" fragte ich ängstlich „Das Kind hat überlebt? E-es ist nicht...gestorben?" - „Helene! Es ist dein Kind, es ist EUER Kind! Es ist das, was dir von Florian bleibt! Manche Menschen wären überglücklich diese Chance gehabt zu haben. Bitte, du musst dieses Kind lieben." Ich schüttelte verblüfft den Kopf und legte dann meine Hand auf meinen Bauch. Es hatte überlebt. Es war stark. Stärker als ich. „Papa...ich glaube ich schaff das nicht! Ich meine...es ist Florian. Es wird mich immer an ihn erinnern. Das packe ich nicht. Ich fühle mich viel zu schwach dafür! Viel...zu schwach!" Plötzlich überkam mich eine ungeheure Müdigkeit. Meine Augen wurde so schwer, dass ich mich nicht wehren konnte. Ich schloss sie langsam und kippte meinen Kopf zur Seite.
Plötzlich spürte ich verstärkten Druck auf meiner Hand: „Helene? Lene?" - „Alles gut Papi, ich bin nur...unglaublich müde..." waren die letzten Worte, welche ich über meine Lippen brachte, ehe ich einschlief.

Die nächsten Tage zogen sich lang, wie ein Kaugummi. Auch wenn sich mein Zustand verbesserte, war ich psychisch immer noch am Ende. Mit meinem Kind hatte ich mich inzwischen abgefunden. Es war ein Teil von mir und ein Teil von Florian. Es hatte das Leben verdient. Vielleicht war es auch der Grund, warum ich mich nicht ganz so einfach gehen ließ. Ich versuchte mich nicht aufzuregen und regelmäßig zu essen. Ohne das Baby wäre es nie so gewesen.
Leider rückte auch der Tag der Beerdigung näher. Es war nur noch eine Nacht und ich wusste schon vorher, dass ich nicht schlafen konnte.
So sollte es auch werden. Ich wälzte mich ungeduldig hin und her. Ich betrachtete immer wieder Fotos von uns. Ich weinte ständig. Es war ein elender Kreislauf und ich hatte keine Chance ihm zu entkommen.
Mein Wecker klingelte pünktlich um acht Uhr. Ehrlich gesagt war ich froh, dass die Nacht vorbei war. Ich wohnte zu dieser Zeit bei Florians Eltern, weil er in München begraben werden sollte. Sie hatten mich eingeladen bei ihnen zu wohnen, ich brauchte Abstand von meiner Familie. Es herrschten seltsame Gefühle in mir, weswegen ich Ruhe und Zeit brauchte. Alleine sein wollte ich aber auch nicht.
„Helene? Bist du bereit?" Franz kam in mein Zimmer. Auch er sah mitgenommen aus. Auch er hatte sicherlich eine schlechte Nacht gehabt. Ich nickte und zog mir mein schwarzes Tuch über mein schwarzes Kleid an. Dieses Kleid hatte Florian immer gefallen. Ich hatte es oft bei Verabredungen getragen. Es war passend für diesen Anlass, weswegen ich mich schnell dafür entschieden hatte. Ein letztes Mal wanderte meine Hand zu meinem Bauch, bevor wir das Haus verließen und uns auf dem Weg zum Friedhof machten.
Die Autofahrt kam mir schrecklich lang vor. Keiner sagte ein Wort. Ich saß hinten alleine auf der Rückbank und starrte aus dem Fenster. Es fiel mir schwer diese hässliche, aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken. „Mädchen du bist ja ganz blass, sollen wir kurz anhalten, oder möchtest du etwas trinken?" fragte Helga besorgt, die mich über den Rückspiegel musterte. Ich schüttelte nur den Kopf und atmete tief ein und aus.
Nach wenigen Minuten sah ich ihn vor mir – den Friedhof. In der Mitte stand eine Art kleine Kirche, in der die Trauerfeier stattfinden sollte. Meine Familie war bereits eingetroffen und auch unzählige Arbeitskollegen waren durch die Bäume hindurch zu erkennen.
Ich stand wie angewurzelt vor dem Auto und schüttelte immer wieder den Kopf. „Es geht nicht..." flüsterte ich. „Ich kann das nicht, ich schaff das nicht!" Schnell lief ich den, mir unbekannten Weg entlang, weit weg vom Friedhof. Ich wollte nur weg und blieb an einem kleinen Teich stehen, der sehr einladend aussah. Meine Hand glitt zu meinem Bauch: „Meinst du wir wollen den Papa besuchen?"...

Ein Kampf gegen die ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt