Er war so toll

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Sicht: Helene

„Helene, Kindchen..." Kalte Hände umfassten meinen Körper. Es war eine Art Geborgenheit, die ich plötzlich in mir fühlte. „Mama?" fragte ich leise, wurde aber sofort von einem Schluchzen unterbrochen. „Wir sind bei dir..." Auch an meine linken Schulter spürte ich eine etwas größere Hand. Vorsichtig öffnete ich meine Augen und sah direkt in Papas Gesicht.
„Zum Glück, wir dachten schon du hast..." - „Was habe ich? Was dachtet ihr? Nun sagt schon! Ihr dachtet ich habe mich umgebracht!" Meine Stimme wurde ungewollt lauter, dieser unbändige Hass, der gerade in meinem Körper herrschte war nicht gerecht gegenüber meinen Eltern und trotzdem konnte ich ihn nicht unterdrücken. „Naja, du bist einfach weggelaufen?" Erschrocken drehte ich mich um und erkannte meine Schwester hinter mir. Sie hielt mir mit einem zurückhaltenden Lächeln eine Flasche Wasser entgegen, die ich dankend annahm. Mein Hals war ausgetrocknet, meine Augen taten weh vom ganze heulen und auch schlimme Kopfschmerzen plagten mich.
Noch etwas benommen schaute ich mich um, bis mein Blick wieder auf dieses hässliche, abgewrackte Haus fiel. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken und die nächste Welle an Tränen kündigte sich an, als ich plötzlich noch etwas anderes spürte. Ich konnte das Gefühl nicht richtig zu ordnen, wurde aber des besseren gelehrt, als ich mich gerade noch zur Seite drehte und mich dann übergab. Meine Mutti strich mir durchgängig über den Rücken, was meinen Körper wenigstens etwas zur Beruhigung beitrug.
„Entschuldigung!" sagte ich beschämt, kaum hörbar und versuchte den Blick auf das alte Lagerhaus zu vermeiden. „Das brauch dir nicht Leid zu tun, dein Körper ist am Ende...komm, wie bringen dich wieder ins Krankenhaus." - „Nein!" schrie ich und war kurz davor aufzustehen, was mir aber einfach nicht gelingen wollte. „Bitte, ich kann und will nicht ins Krankenhaus. D-dort...Florian, er hätte dort liegen müssen und gerettet werden müssen. Bitte, es riecht dort nach Tod, es riecht..." Hysterisch atmete ich ein und aus, versuchte irgendwie an Luft zu kommen, weil sich meine gesamte Kehle zu schnürte. „Psh, wir sind alle da..." - „Nein, sind wir nicht! Flo ist nicht da und er wird nie wieder da sein! Er ist tot! WANN VERSTEHT IHR ES ENDLICH?" Mein Körper begann unkontrolliert zu zittern, mir war warm und eiskalt zu gleich. Ich wollte meine Familie nie so anschreien. Ich wollte es nie. Aber ich konnte nicht anders. Es gab einfach Sätze, die brachten das Fass zum Überlaufen.
„Mama!" schluchzte ich und drückte meine Mutter noch fester an mich. Ich brauchte dieses Gefühl. Dieses Gefühl nicht ganz allein zu sein – obwohl ich es war. Ihr Geruch war noch immer derselbe wie früher. „Mama, ich will nach Hause!" Liebevoll streichelte sie durch mein Haar. „Wir bringen dich jetzt erstmal in ein Hotel, wenn du in eure Wohnung gehst, tut dir das nicht gut!" Das erste mal seid Florians Tod ließ ich mich breitschlagen. Sie hatte ja Recht. Alles, wirklich alles hätte mich an ihn erinnert.
Mein Vater nahm mich vorsichtig hoch, weil mir einfach die Kraft fehlte selbst zu laufen, oder überhaupt auf eigenen Beinen zu stehen.
Er setzte mich im Auto neben Erika ab, die ebenfalls Tränen in den Augen hatte. Und trotzdem war sie die ganze Zeit für mich da. Immer. Sobald ich sie brauchte, war sie bei mir. „Wir schaffen das Helene!" flüsterte sie. Es war das letzte, was ich hörte, ehe ich in einen seltsamen Zustand fiel, den man nicht richtig Schlaf nennen konnte, weil ständig dieses eine Bild von Florian, wie er mit dem Sarg herausgetragen wurde, vor mir auftauchte.
„Mist, ich glaube sie hat Fieber!" Eine fluchende Stimme ließ mich hochzucken. Ich starrte in das besorgte Gesicht meiner Mutter, die gerade ihre kühle Hand an meine Stirn hielt. „M-mama?" - „Alle gut mein Liebling, Papa wird dich hoch auf dein Zimmer tragen, wir haben so eben alles abgeklärt." Ich nickte nur und schloss meine Augen wieder. Vielleicht würde ich ja irgendwann von ihm träumen. Das er zurück kommt. Das er wieder bei mir ist – für immer und ewig.
„So, du musst dich jetzt erstmal richtig ausschlafen. Wir sind nebenan und Erika bleibt bei dir!" Wieder musste ein Nicken ausreichen, denn sobald auch nur ein Wort über meine Lippen kam, brachte das auch Tränen mit sich.
Ich war gerade in einen etwas angenehmeren Schlaf gefallen, als mein Handy klingelte. „Florian?" Ruckartig saß ich im Bett, wurde aber von meiner Schwester wieder zurück in die Kissen gedrückt. „Hallo, Helenes Schwester am Apparat?" Ich konnte die Stimmen an der anderen Leitung nicht richtig zu ordnen. „Oh, Frau Silbereisen..." flüsterte Erika und verließ sogleich den Raum.
Florians Mutti war am Telefon. Ich musste unbedingt mit ihr reden. Schlagartig sprang ich auf und rannte zur Tür. Die Kraft sie zu öffnen war gerade noch gegeben, ehe ich am Türrahmen herunterrutschte und auf dem harten Boden aufkam. „Einen Moment bitte!" rief Erika ins Telefon und kam sofort auf mich zu. „Du solltest liegen bleiben!" ermahnte sie mich und brachte mich schnell wieder auf das Bett zurück.
Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, kam sie wieder zu mir und streichelte liebevoll über meine Stirn. „W-was haben sie gesagt?" fragte ich leise. „Sie sind bald hier. Aber ich glaube du solltest sie nicht treffen..." - „Doch ich muss!" gab ich schwach zurück. „Nein Helene, sie wollen dich nicht sehen, sie denken...das..naja, d-das du daran Schuld bist!" Wütend riss ich meine Augen auf. „ICH? Ich..." Immer widerholte ich diese Worte. Es gefiel mir sie zu wiederholen. Ich merkte, dass das die Wahrheit war. Ich war daran Schuld. Wenn ich nicht so dumm gewesen wäre, wenn ich nicht in dieses blöde Auto gestiegen wäre, hätten die Typen Florian nie erschießen müssen.
„Sie haben Recht!" schluchze ich und wickle die Decke so stark um mich, dass sie mir sämtliche Luft zum Atmen nimmt. 


„Weißt du Erika? Er hat es nicht verdient. Florian war immer so lieb. Obwohl er ein Morgenmuffel war, ist er so oft aufgestanden, um mir Frühstück ans Bett zu bringen. Er hat mir jeden Tag ein Lächeln geschenkt und mich aufgemuntert, wenn es mir mal nicht so gut ging. Als wir durch unsere Arbeit getrennt waren, hat er nachts am Telefon gewartet, bis ich eingeschlafen bin. Er hat mir von jeder Tournee ein kleines Geschenk mitgebracht und mir jeden Wunsch von den Augen abgelesen..." Es tat meinem herzen gut das alles jemanden zu erzählen, auch wenn die Sehnsucht dadurch noch größer wurde...

Ein Kampf gegen die ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt