der Mann

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Sicht: Helene

„Erika, ich weiß nicht, ob ich das alles kann, ob ich es ohne ihn schaffe!" Vorsichtig legte ich mich in ihre Arme und ließ meinen Tränen freien Lauf. Es musste raus, alles musste raus. Meine Seele zerriss förmlich, als ich auch nur einen Gedanken auf meinen Schatz richtete. Es tat so weh. Überall. Alles kam wieder hoch. Alles.
„I-ich will d-das nicht! Ich k-kann das nicht! E-e-erika..." Liebevoll strich mir meine Schwester durchs Haar. Sie sagte nichts und vielleicht war genau das, was den Augenblick ausgemacht hat. Jedes weitere, jedes einzelne Wort hätte mir so wehgetan, dass ich in ihren Armen zusammen gebrochen wäre. Mir bringt es nichts, wenn irgendjemand mit aufmunternden Sätzen, oder Sprüchen um sich wirft. Es wird und es kann nicht wieder gut werden. Es ist sinnlos sich so etwas einzubilden. Genauso dachte ich diesem Moment. Vielleicht war es ein Fehler sich einfach so gehen zu lassen, aber ich konnte nicht anders. Ich konnte es einfach nicht.
„SIE haben ihn mir genommen! DIESE ARSCHLÖCHER!" Wie aus heiterem Himmel stieg wieder diese grässliche Wut in mir auf. Sauer sprang ich vom Bett und beachtete die aufsteigende Übelkeit dabei gar nicht. „Ich werde sie umbringen! Die haben es nicht anders verdient! Ich werde SIE UMBRINGEN!" Ohne das Erika auch nur eine kleine Chance hatte irgendwie zu reagieren, griff ich nach meiner Tasche und rannte aus dem Zimmer.
Das Hotel war ein hohes Gebäude, weshalb mehrere Fahrstühle zur Verfügung standen. Ich achtete gar nicht auf meine Umgebung. Auf andere Menschen. Es waren diese Blicke, die mir noch mehr Schmerz zufügten. Diese mitleidigen Blicke und trotzdem konnte sich keiner, kein einziger von ihnen vorstellen, was ich gerade durchmachte. „Ach das tut mir so leid! Mein herzliches Beileid. Die arme Helene Fischer!" Schon wenn ich daran dachte hätte ich jeden Einzelnen zusammenschlagen können. „Hört auf!" schrie ich durch den langen Flur und zog dadurch nur noch mehr Blicke auf mich. „Hört doch einfach...alle...auf!" Meine aggressive Stimme wurde durch aufsteigende Tränen erstickt. Ich stürzte mich gegen die Wand des Fahrstuhls und presste meine Hände an die Ohren. Ich konnte und wollte nichts mehr hören.
Erst später bemerkte ich, dass diese Stimmen in meinem Kopf waren und sie wiederholten sich. Sie wiederholten sich immer wieder und wieder und wieder. „Lasst das!" rief ich, während am Körper langsam auf den kalten Boden des Fahrstuhles glitt. Ich saß an einem Spiegel angelehnt, zusammengekauert, schreiend, weinend einfach nur da und versuchte alles der letzten Tage aus meinem Leben zu verdrängen.
„Flo! Bitte komm doch zurück!" wimmerte ich leise vor mich hin, als ich plötzlich eine warme Hand auf meiner Schulter spürte. Schlagartig riss ich meine Augen auf und starrte in das Gesicht eines alten Mannes. „Was wollen Sie?" gaffte ich ihn an, nahm meinen harten, unfreundlichen Ton aber sofort zurück und entschuldigte mich.
„Kann ich Ihnen helfen?" fragte er ruhig, mit einer so angenehmen Stimme, dass ich gar nicht anders konnte, als an seinen Augen hängen zu bleiben. Freundlich streckte er mir seine Hand entgegen und half mir beim Aufstehen. Er brachte mich zu einem gemütlichen Sessel direkt in der Lobby und setzte sich dann direkt mir gegenüber.
„Geht es Ihnen nicht gut? Soll ich Hilfe holen? Ist Ihnen etwas passiert?" Seine Art der Fragen zeigte mir, dass dieser Mann anscheinend von Nichts Bescheid wusste, was mir sehr zusagte. Schon nach den ersten Sätzen fasste ich Vertrauen und dann kam alles aus mir heraus.
Ängstlich griff ich nach der Hand des alten Mannes: „M-mein Freund. Sie haben ihn umgebracht. Ich wurde entführt und er wollte mich retten. Dann haben die Typen ihn einfach erschossen. Erschossen – einfach so! Können Sie sich das vorstellen?" Anfangs war meine Stimme sehr ruhig. Ich sah in die erschrockenen Augen des Mannes, bemerkte aber, dass ich weiter reden sollte „Mein Freund heißt – hieß Florian. Florian Silbereisen. Wissen Sie? Er war ein sehr bekannter Moderator. Und ein sehr netter, freundliche, aufgeschlossener, verführerischer Mann. Er sah so gut aus und er hat mich ständig und immer und überall verwöhnt. Flori hat mir alle Wünsche von den Augen abgelesen. Er war immer für mich da. Wenn ich geweint habe, musste er mich nur in den Arm nehmen und alles war gut. Alles war gut. Ich weiß noch, als wir unser erstes Date hatten. Es war so schön, direkt an einem See. Wir kannten uns schon etwas länger, haben aber mit der Zeit erfahren, dass wir ein ziemlich gutes Paar abgeben. Ein sehr gutes Paar sogar! Und jetzt...jetzt..." Ich konnte es nicht aussprechen. Mein ganzer Körper bebte. Diese Erinnerungen mussten irgendwie aus meinem Kopf verschwinden. Irgendwie. „B-bitte! MACHEN SIE ETWAS!" Ungewollt hysterisch fiel ich dem Mann in die Arme, wollte weinen, aber es kamen keine Tränen.


„Frau Fischer...sie sind eine sehr starke Frau!" Meine Augen öffneten sich weit. Der Mann hatte kein Wort, keinen Satz aus Mitleid gesagt. Er hat mich gelobt für einen Nervenzusammenbruch. „W-was?" Verwirrt blickte ich ihn an. Er streichelte kurz über meine Haare, so wie Flo es auch immer getan hatte. Immer. „Sie sind eine sehr starke Frau!"...

Ein Kampf gegen die ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt