Unaufhaltsam

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Sicht: Helene

Ich ging nicht weiter auf seine Reaktion ein. Ich konnte nicht. Mir fehlte die Kraft. „Können Sie bitte gehen? Ich...muss allein sein!" Nur wenige Minuten zuvor wäre es für mich die Hölle gewesen allein, zwischen den ganzen, lauten Maschinen, im Raum zu liegen. Aber das verflog. Es verflog, genau wie jedes Leben. Plötzlich spürte ich wieder diese Sinnlosigkeit. Die Sinnlosigkeit von Handlungen, Dingen und Freude. Das Leben war nichts. Es war sinnlos. „Frau Fischer..." Mir wurde ganz warm, als der Arzt erneut seine Hand auf meine legte „Sie können mich jederzeit rufen lassen! Ich weiß, wie es sich anfühlt einen Menschen zu verlieren. Ich weiß es sogar sehr gut! Und ich kann ihre Reaktion verstehen!". Mit diesen Worten verließ er den Raum.
Mir entfuhr ein schweres Seufzen. Die Kraftlosigkeit war wieder zurück gekehrt, dazu war mir unglaublich übel. Ich wusste nicht, wie ich das alles durchstehen sollte. Wie es ohne Florian weitergehen sollte. Traurig strich ich über unser Bild. Eine Träne rollte dabei über meine Wange, es blieb jedoch bei dieser Einzelnen. Vielleicht waren die Tränen aufgebraucht, ich hatte nichts mehr übrig und wollte am liebsten einfach nicht mehr da sein.
Noch Stunden verbrachte ich damit in alten Zeiten zu schwelgen. In Zeiten, in denen alles besser gewesen war. Obwohl genau diese Erinnerungen meine Kraft endgültig aufbrauchten, denn sie zeigten mir, dass es nicht mehr schön werden konnte.

Wie aus dem Nichts erschienen zwei aufgeregte Krankenschwester an der Seite meines Arztes. Aus irgendeinem Grund glitt ein Lächeln über meine Lippen, als Dr. Brunning direkt in meine Augen blickte. Er sah abgehetzt aus und trotzdem mochte ich diese Art, wie er vor mir stand.
„Frau Fischer...es...gibt Neuigkeiten!" Mein Herz zog sich zusammen. Ich spürte, dass etwas nicht stimmte. Ich hatte Angst – andererseits hoffte ich das erste Mal in meinem Leben eine schlimmer Krankheit zu haben, damit ich sterben konnte. So hätte ich Florian viel näher sein können. „Ich...es...Ihre Symptome...Ihr Schwindel, die Übelkeit! Es ist ein kleines Wunder, aber...Sie..." Ich wusste nicht, was er mir mit seinem Stottern sagen wollte. Er schaute betrübt unter sich, während er meinen Puls fühlte. „Es ist eigentlich unmöglich..." sprach er weiter „Aber...Sie, Sie sind schwanger! Wir haben es erst jetzt durch ihre neue Blutuntersuchung festgestellt, anscheinend war es vor drei Tagen noch zu früh! Das Kind ist jetzt schon ein Kämpfer, denn ihren Herzstillstand hätte es fast nicht überlebt!". Die Worte zogen nur noch an mir vorüber. Ich hörte zwar, dass der Arzt mir noch etwas erklärte, aber ich konnte mich nicht darauf konzentrieren.
Flo und ich wollten immer Eltern werden. Wir wollten ein Kind. Es gab nie den passenden Zeitpunkt, ich hatte immer meine Karriere vorgezogen und jetzt? Es sollte jetzt sein, als der Papa nicht mehr lebte? „Das kann nicht sein!" wisperte ich „Er ist doch schon lange tot!" - „Frau Fischer! Sie sind in der fünften Woche schwanger, da war ihr...ihr Freund noch nicht...naja..." - „Das geht nicht, er ist doch tot!" sagte ich erneut und schloss dabei meine Augen. Ich wusste nicht warum, aber in mir steigerte sich eine unglaubliche Wut auf das Baby. Warum durfte dieses noch nicht entwickelte Kind leben und mein Florian nicht? „Das ist nicht fair!" rief ich und brach gleich in Tränen aus. „Es soll nicht da sein! Ich will es nie sehen! Es wird mich immer an Florian erinnern. Jeden Tag! Das...ich halte das NIE AUS!" Obwohl es mir peinlich war und ich mich für mein Verhalten schämte, ließ ich meinen Gefühlen freien Lauf. Die Schwestern versuchten mich mit freundlichen Worten zu beruhigen, was ihnen nicht wirklich gelang.
„Lassen Sie mich los!" Immer wieder schlug ich um mich. Dr. Brunning stellte sich vor mein Blickfeld und nahm meine Hand. Ich spürte, dass mein Herz langsamer schlug und ich mich beruhigte. Ich atmete hektisch ein und aus, während meine Augen immer wieder die von meinem Arzt aufsuchten.

Kopfschüttelnd betrachtete ich das Foto von Florian und mir. Ich schmiss es auf den Boden und nutzte den kurzen Moment der Unaufmerksamkeit der Anwesenden. Mein Körper mischte sich wieder auf. Panisch riss ich sämtlich Schläuche von mir, wehrte mich mit letzter Kraft gegen die harten Griffe der Schwestern und sprang aus dem Bett. Hastig riss ich mir die Infusion aus der Hand, der Schmerz war kaum zu spüren. Ich taumelte zu Tür, kam jedoch nicht weit, denn in meinem Zustand war es kein Wunder, dass Dr. Bruning mich schnell einholte und in den Arm nahm. Ich sah wie das Blut aus meiner Hand auf den Boden tropfte und rutschte langsam nach unten auf den Boden, weil meine Beine kaum noch zu spüren waren. „Dieses Kind...muss sterben!" wisperte ich, ehe alles verschwamm und ich mich ganz allein auf meine Atmung konzentrieren musste...


Dieses Buch wird demnächst beendet. Es wird nicht mehr viele Teile geben, also würde ich mich über ein kleines Feedback sehr freuen ;)

Ein Kampf gegen die ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt