T.

13.2K 779 289
                                    

"Gut, dann können wir ja da weitermachen, wo wir letztens aufhören mussten." Und nach diesen Worten zog er sein linkes Bein an, klinkte sich in mein Rechtes und drückte mich an meiner linken Schulter zurück, sodass ich eine 180 Grad Drehung mit ihm machen musste.
"Huch!", gab ich während der Umdrehung von mir und krallte mich aus Panik in sein Shirt. Jetzt lag er über mir.
Erwartend sah ich zu ihm auf. Seine nach hinten gekämmten Haare fielen nach vorne, doch das kümmerte ihn kaum, denn er sah mir tief in die Augen. Noch nie hatten sie so stark gestrahlt, wie jetzt. Verdammt, das war ganz und gar nicht richtig.
"Ich will das alles gar nicht mehr. Erinner dich einfach, Enya." Langsam beugte er sich zu mir herunter. Für einen kurzen Moment setzte mein Herz aus. Zum ersten Mal war ich nicht die Lady oder das unterbelichtete Nilpferd für ihn, sondern einfach nur Enya. Nach circa sieben Monaten hatte er endlich mal meinen Namen ausgesprochen. Unsere Nasen berührten sich. Wie damals schlossen sich meine Augen einfach automatisch. Zitternd verkrampfte ich mich in seinem Oberteil. Das hier war die Realität. Kein Traum. Nichts dergleichen.

Und Jimin war sich auch im Klaren darüber, dass er kurz davor war mich zu küssen und nicht YeoReum. Seine Freundin.

Fuck.

Dann reagierte ich in Lichtgeschwindigkeit. Erschrocken öffnete ich meine Augen und riss eine Hand aus seinem Shirt, nur damit ich diese dann auf meinen Mund schlagen konnte, um das Schlimmste zu verhindern. Seine weichen Lippen legten sich auf meinen Handrücken. Innerlich schlug ich gerade selbst auf mein verkümmertes Ich ein, aber ich konnte nichts anders handeln. Seine Lieder hoben sich flatternd. Ich hätte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können. Auch wenn ich YeoReum bis aufs Mark nicht ausstehen konnte, sie sogar auf den Mond wünschte - gewiss ohne Sauerstoffflasche, war sie dennoch seine Freundin. Die ihn liebt und alles dafür tut, dass dies auch so bleibt. Ihre Gefühle, ich wollte sie nicht verletzen, auch wenn sie mit Sicherheit nichts davon mitbekommen hätte. Trotzdem, schon allein die Tatsache, wäre ein Grund für mich gewesen, mich selbst zu hassen.
Einige Sekunden sah er mich verwirrt an, stumm blinzelte ich, dann zog er sich zurück und hockte sich auf seinen Hintern. Ich tat es ihm gleich und blickte mich daraufhin im Klassenraum um. Wo Taehee hin war, wusste ich auch nicht. Meine Krücken lagen im Türrahmen, welcher circa drei Schritte von mir entfernt war. Seufzend strich ich mir durchs Haar, zog kleine Scherben heraus, die sich komischerweise in ihnen verfangen hatten.
"Bewusstseinserweiternde Substanzen. Wenn ich nicht genug darüber wissen würde, könnte ich behaupten, dass du dir E eingeworfen hast. Natür-", er hob seine Hand und sah mich skeptisch an, schürzte dabei die Lippen.
"Ich bin bei klarem Verstand.", er stellte sich vor mich und hielt mir seine Hand hin, die ich dankend annahm, damit er mich auch auf die Beine ziehen konnte. "Vielleicht, wenn du dich endlich erinnert hast, können wir das hier auch mal beenden. Hoffe ich jedenfalls.", schulterzuckend wollte er sich von mir abwenden, da griff ich nach seinem Handgelenk. Mit einer gehobenen Braue drehte er sich leicht zu mir um und sah fragend in meine Augen.
"Was ist mit YeoReum?", fragte ich in einer leicht piepsigen Stimme, da ich gerade erst realisiert hatte, was er eben von sich gegeben hatte. Shit.
"Was soll mit ihr sein?", fragte er zurück und ich wog meinen Kopf abwechselnd nach links und rechts.
"Sie ist deine Freundin. Du liebst sie, da kannst du nicht einfach wen anderes küssen wollen!", etwas entsetzt über seine Reaktion, stellte ich meine Hände in die Hüfte.
"Stimmt, da hast du recht.", lachend verließ er den Klassenraum. Wie, ich hatte Recht? Natürlich hatte ich das, aber - wie konnte er das so sagen? Es klang, als hätte er es gar nicht ernst gemeint. Kopfschüttelnd humpelte ich zu meinen Krücken, hob sie auf und blickte mich im Flur um. Keine Menschenseele hatte etwas bemerkt. Und auch der Verursacher hatte das Weite gesucht. Ich rümpfte mein Nase und drehte mich noch einmal zu dem Rugbyball um, der zwischen den Scherben lag. Jedenfalls hatte ich es mir nicht eingebildet.
Etwas verwirrt,- nein sagen wir, total verwirrt machte ich mich auf den Weg zur Cafeteria.

Die Maske | JiminWo Geschichten leben. Entdecke jetzt