(5) unerwartete Wendungen

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(11.03.2019)

"Lass mich sofort runter." Ich versuchte mich aus seinen Armen zu winden, doch Noah hielt mich fest an seiner Brust und beschleunigte seinen Schritt.
"Lass mich dir doch helfen!"
"Das ist nett, aber ich kann selber laufen." Ich legte meine Hände an seine Brust und versuchte mich von ihm weg zu stoßen, doch bei der Bewegung begannen die Schnitte an meinen Armen wieder zu bluten und zu brennen. Stöhnend presste ich meine armen Arme an meine Brust und drückte mich Trost suchend an Noahs breite Brust. Diese blöde Karen! Wenn ich genauso stark gewesen wäre wie sie, hätte ich ihr heftig in den Hintern getreten.
"Ich bringe dich zu unserem Doktor. Sie wird sich deine Verletzungen ansehen und dich verarzten."
"Sollte ich da lieber nicht zu einem menschlichen Arzt? Der auch weiß was er tut? Und nicht zu irgendeinem Fabelwesen?" Noahs Körper verspannte sich kurz bei meiner sarkastischen Bemerkung, doch er hatte sich schnell wieder im Griff.
"Sie hat genauso Medizin studiert wie eure menschlichen Ärzte. Sie ist sogar viel besser als eure, da sie sich auch mit der Funktionsweise der Mythenwesen auskennt. Obwohl diese sich eigentlich nicht so stark unterscheiden, wenn man ihr glauben kann."
Noah trug mich in den hinteren Teil des riesigen Anwesens und klopfte an eine Tür. Fast augenblicklich wurde sie von einer hinreisenden Rothaarigen Frau geöffnet. Ihre grauen Augen blickten mich freundlich an und richteten sich dann mit einem lüsternen Ausdruck auf Noah.
Woah! Dieser Blick gefiel mir überhaupt nicht. Was wollte sie von meinem Mann?! Stopp, stopp, stopp! Wo drifteten meine Gedanken denn schon wieder hin? Er war nicht mein Mann. Punkt, Ende, Aus! Und ich wollte auch keinen Mann. Im Moment wollte ich einfach nur nach Hause und mich unter meiner weichen kuscheligen Decke verstecken und alle anderen ausschließen.
"Hi, Anna. Karen ist ausgerastet und ist über meine Seelengefährtin hergefallen." Er trug mich in den Raum, der sich als Untersuchungszimmer herausstellte. Er setzte mich auf die Liege und stellte sich neben mich, legte wie selbstverständlich seine warme Hand auf eine unverletzte Stelle auf meinem Arm. Die Ärztin trat auf mich zu und schaute auf mich herab. Und nicht so wie Noah mit einem freundlichen Lächeln und einem glitzern in seinen Augen, sondern mit einem leicht verächtlichen Blick.
"Na, dann zeig mir deinen Arm, Mädchen." Obwohl ihre Stimme freundlich und beruhigend klang, sagte ihr Blick etwas ganz anderes. Anscheinend war Karen nicht die Einzige die etwas von Noah wollte. Was hatte Noah denn mit all den Frauen getrieben? Wie viele Frauen hatte er wohl in seinem Bett gehabt? In seinen starken Armen gehalten? Eifersucht machte sich in mir breit. Ein Gefühl, dass ich bisher nicht wirklich gekannt hatte. Das Einzige worauf ich je eifersüchtig war, war die Freiheit von Clara.

Vorsichtig nahm sie mein Gesicht zwischen ihre kühlen, langen Finger und drehte es vorsichtig im Licht einer Lampe hin und her, betrachte ausgiebig die Schwellung in meinem Gesicht. Drückte mal hier mal dort etwas herum, was mich vor Schmerz zusammen zucken ließ. Mein schmerzhaftes Stöhnen ließ auch Noah wütend knurren.
"Die Schwellung wird von alleine weggehen. Vielleicht wirst du einige Tage lang einen Bluterguss haben. Du solltest sie nur kühlen, dann sollte es schnell wieder vergehen." Sie betrachtete meine zerkratzten Arme, drehte sie hin und her und runzelte die Stirn als sie die Handfessel entdeckte. Sie warf Noah einen fragenden Blick zu und riss die Fesseln in zwei Hälften ohne mit der Wimper zu zucken. Ihre Kraft überraschte mich. Anschließend widmete sie sich wieder meinen Verletzungen.
"Die Arme sind schlimmer dran, aber zum Glück müssen die Schnitte nicht genäht werden. Ich werde sie reinigen, desinfizieren und dann verbinden. Falls du starke Schmerzen haben solltest, werde ich dir noch einige Schmerztabletten mitgeben. Und in zwei Tagen kannst du wieder kommen damit ich mir deine Arme noch einmal anschauen kann." Klar, dachte ich, bis dahin bin ich schon längst über alle Berge. Neben mir atmete Noah erleichtert aus. Warum war er denn so besorgt um mich? Ach ja. Das war mir irgendwie entfallen. Ich war ja seine Gefährtin. Warum konnte ich nicht auch ein Werwolf sein? Es wäre so viel einfacher. Ich würde das gleiche für ihn empfinden wie er für mich. Doch ich war nun mal ein Mensch. Für mich gab es keinen vorherbestimmten Partner. Und irgendwie fühlte ich mich bei der ganzen Sache nicht sehr wohl, da ich seine Gefühle nicht erwidern konnte.
"Woran denkst du gerade, Olivia?" Noah hatte sich zu mir gebeugt. Während er mir die Frage zuflüsterte, blieben seine Augen ständig auf meine Arme gerichtet. Wie ein Adler beobachtete er mit blitzenden Augen wie die Ärztin meine Schnitte versorgte. Das Desinfektionsmittel brannte, doch ich riss mich zusammen. Der Tag verlief ja jetzt schon miserabel, da wollte ich nicht auch noch als Heulsuse abgestempelt werden. Bevor sie meine Arme verband, schmierte sie noch eine gelbe Salbe auf die einzelnen Schnitte.
"So, das war's. Ich habe noch eine Salbe aufgetragen, die verhindern wird, dass sich Narben bilden. Beim nächsten Verbandswechsel werde ich sie nochmals auftragen." Anna trat von mir zurück und betrachtete zufrieden ihr Werk. Ich musste zugeben, dass sie sehr gute Arbeit geleistet hatte. Die Verbände lagen eng an meiner Haut an und sahen perfekt aus. Und ich war sehr froh, dass keine Narben zurück bleiben würden, besonders an einer so sichtbaren Stelle wie den Armen.
"Das Mädchen sollte sich etwas ausruhen, während die Erwachsenen sich unterhalten." WAS!? Alle netten Gedanken die ich für Anna empfunden hatte, waren verdampft wie Wasser in der Wüste.
"Ich bin genauso erwachsen wie ihr!", brach es aus mir heraus. "Außerdem ist Noah mein Gefährte, also Finger weg!" Ich schnappte nach Noahs Hand und zog ihn näher zu mir. Wenn sie ihn auch nur komisch ansehen würde, würde ich ihr die Haare einzeln ausrupfen! Was wollten eigentlich all diese Frauen von ihm?
"Ganz ruhig, Süße. Ich will keine andere als dich. Und Anna hat dich nur aufgezogen. Sie ist meine Cousine und hat einen etwas schrägen Humor."

captured by a wolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt