(6) Geheimnisse

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(11.03.2019)

Ich lag in Noahs Armen, fest an seine Brust gedrückt und wollte alles um mich herum ausblenden und nur noch seine Gegenwart spüren. Seine Hand streichelte beruhigend über meinen Rücken während er mir aufmunternde Worte ins Ohr flüsterte. Eigentlich sollte ich mich nicht auf seine Worte verlassen, doch irgendetwas tief in mir drin, sagte mir, dass seine Worte ehrlich gemeint waren.

Meine Eltern, wenn ich sie jetzt noch so nennen konnte, waren immer strenger zu mir als zu meiner Schwester. Sie hatten mich zwar genauso liebevoll behandelt wie sie, doch irgendwie gab es immer die kleinen Zweifel. Jetzt wo ich genauer darüber nachdachte, fielen mir viel mehr Kleinigkeiten auf, auf die ich vorher gar nicht geachtete hatte. Selbst mein Äußeres ähnelte nicht dem meiner Eltern. Sie waren beide schwarzhaarig und ich blond. Als ich irgendwann mal danach fragte, meinte meine Mutter nur, dass ich meine blonden Haare von meiner Oma hatte und die blauen Augen von meinem Großvater. Beide hatte ich nie kennengelernt und die einzigen Bilder die wir von ihnen hatten, waren schwarz weiß. Mein Kopf schwirrte von all dem Geschehenen. Ich wusste einfach nicht was ich denken sollte.

"Wer sind sie?", fragte Noah endlich mit gebieterischer Stimme in die Stille hinein. Auch ich wollte wissen, wer diese Frau war, die ich all die Jahre als Mutter kannte. Ich schwieg, versuchte sogar mein rasendes Herz zu beruhigen um kein einziges Wort zu verpassen.
"Das geht dich nichts an, junger Mann.", antwortete sie mit spitzer Stimme.
"Ich bin ihr Gefährte, alles was Olivia angeht, betrifft auch mich."
"Olivia, lass uns darüber zu Hause reden. Das geht diesen Fremden nichts an." Meine Mutter versuchte mich zum Gehen zu überreden, doch ich konnte mich nicht von Noah trennen und das obwohl wir uns nicht mal vor einer halben Stunde gestritten hatten. Doch im Nachhinein wollte ich nichts weiter als bei ihm zu sein. Selbst wenn es mir komisch vorkam.
"Bitte sag mir die Wahrheit." Ein tiefes Seufzen breitete sich in Noahs Büro aus und ich konnte der Stimme meiner Mutter anhören, dass sie gestresst war. Vor einigen Tagen noch hätte ich versucht sie zu trösten, doch jetzt wollte ich nur die Wahrheit wissen.
"Es stimmt." Diese zwei kleinen Worte ließen meine ganze Welt erzittern. Mein Herz krampfte sich zusammen und ich drehte mich zu einer kleinen Kugel zusammen. Noahs Arme hielten mich fester, trösteten mich.
"Und wer sind sie dann?", stellte Noah die alles entscheidende Frage. Ich linste zwischen meinen Haaren, die mir in die Stirn gefallen waren, hindurch und beobachtete meine 'Mutter'. Sie war etwas blass um die Nase und ihre Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammen gepresst.
"Das alles liegt fast 20 Jahre zurück.", begann sie zu erzählen. "Deine leibliche Mutter und ich waren beste Freunde. Sie bat mich damals das Sorgerecht für dich zu übernehmen, falls ihr und deinem Vater jemals etwas zustoßen sollte."
"Und was geschah dann?"
"Als ob das nicht eindeutig wäre." Sie verdrehte die Augen und starrte aus dem Fenster des Büros. Das hieß dann wohl, dass meine Eltern gestorben waren. Das ich niemals die Möglichkeit bekommen würde, sie kennen zu lernen.
"Das ist noch nicht alles. Du verschweigst uns irgendetwas.", sagte Noah mit fester Stimme.
"Das geht dich nun wirklich nichts an." Meine Mutter wollte aufspringen und aus dem Büro verschwinden, doch Noahs Faust schlug mit voller Kraft auf den Schreibtisch, sodass sich Risse bildeten und alle zusammenzuckten.
"Ich hab keine Lust auf Spielchen! Raus mit der Sprache!" Schnell setzte sich meine Mutter wieder. Sie konnte Noahs Kraft, die in Wellen aus seinem Körper ausstrahlte, spüren.
"Es gibt da noch etwas was du wissen solltest Olivia. Deine Eltern waren keine Menschen, genauso wenig wie ich und Xavier welche sind. " Das war die zweite Bombe an diesem Tag die mich erschütterte. Nicht nur, dass ich bei Fremden aufgewachsen war, jetzt waren sie plötzlich auch keine Menschen mehr. Genauso wenig wie meine leiblichen Eltern. Mit offen stehendem Mund starrte ich Maya an, Mutter konnte ich sie jetzt ja nicht mehr nennen, oder?
"Und was waren meine leiblichen Eltern?", stellte ich nun die erste Frage. Wenn meine Eltern mystische Wesen waren, war ich vielleicht dann auch eines?
"Deine Mutter Cormia, war die Prinzessin der Nymphen. Dein Vater Cain war der Alpha eines kanadischen Rudels. Deine Eltern wollten dass wir dich wie einen normalen Menschen aufziehen, denn Hybride sind sehr unberechenbar. Es kann sein das du für immer ein Mensch bleibst oder das mit der Zeit eine deiner mystischen Seiten die Oberhand übernimmt. Das kann vorher keiner sagen." Hieß das, dass ich dann auch ein mystisches Wesen war? Zumindest eins im Tiefschlaf?
"Und was seid ihr?" Ich drehte mich in Noahs Armen um, sodass ich auf seinem Schoss zum Sitzen kam, mein Rücken an seiner Brust, seine Arme um meine Taille geschlungen.
"Xavier und ich sind Magier, genauso wie Mia. Nur hat sich ihre Kraft noch nicht gezeigt."
"Und das habt ihr die ganze Zeit vor mir geheim gehalten?" Einerseits konnte ich ihr Handeln verstehen, doch es verletzte mich trotzdem sehr. Maya senkte den Kopf und antwortete nicht auf meine Frage. Eine weitere Frage brannte mir auf der Zunge, wollte gestellt werden, doch ich traute mich nicht so richtig, weil ich Angst vor der Antwort hatte. Doch ich musste sie loswerden, denn sie würde mich nicht in Ruhe lassen.
"Habt ihr mich denn geliebt? So wie ihr Mia liebt?" Selbst Noah verspannte sich als ich diese Frage stellte. Mit jeder Sekunde die ohne eine Antwort verstrich, wurde das Schlagen meines Herzens immer schmerzhafter.
"Ich liebe dich wie eine Tochter Olivia und Mia liebt dich auch. Für sie bist du ihre Schwester." Sie schwieg und schaute zur Seite. "Was Xavier angeht, kann ich dir nichts über seine Gefühle zu dir sagen, denn ich kenne die Antwort selbst nicht." Erleichtert stieß ich den angehaltenen Atem aus. Obwohl sie nicht meine leiblichen Eltern waren, war ich froh, dass Maya mich dennoch liebte. Schweigen breitete sich zwischen uns aus, keiner wusste was er sagen sollte.

"Und was passiert jetzt?", fragte ich endlich. Eigentlich hatte ich vor wenigen Stunden noch nach Hause gehen wollen, doch jetzt wusste ich nicht, ob ich es noch als zu Hause bezeichnen sollte.
"Du kannst gerne bei mir bleiben Olivia.", flüsterte mir Noah ins Ohr.
"Sie kommt mit nach Hause, da wo sie hin gehört." Ich war hin und her gerissen. Sollte ich bei Noah bleiben oder nach Hause gehen und es mit Noah langsamer angehen lassen, so wie ich es von Anfang an geplant hatte?

Noah
Mit Olivia auf meinem Schoss fühlte ich mich ruhig und konnte klarer denken. Ihre "Mutter" forderte mich mit jedem Blick heraus und am liebsten hätte ich sie aus meinem Haus und von meinem Land vertrieben, doch ich befürchtete, das Olivia nicht sehr glücklich darüber sein würde, selbst jetzt wo sie wusste, wer diese Frau wirklich war. Ihr Schweigen machte mir langsam zu schaffen. Ich wollte so sehr das sie bei mir blieb, doch ich hatte die Befürchtung, dass sie mit ihrer Mutter nach Hause gehen würde. Könnte ich diese Trennung überhaupt aushalten? Ich wollte nicht wie ein Verrückter nachts in ihr Zimmer einbrechen, nur um ihrem Atem lauschen zu können. Aber ich würde es tun, wenn es keine andere Alternative geben sollte.

"Noah?" Olivia drehte sich zu mir um und schaute mir tief in die Augen. Ich konnte die Antwort schon in ihren Augen sehen, doch es traf mich wie ein Schlag in den Magen als sie die Worte aussprach.
"Ich möchte nach Hause." Ihre Worte schmerzten mehr als ich gedacht hatte. Sie schien meine Qualen zu erkennen, denn sie legte ihre Hand auf meinen Arm und drückte sanft zu.
"Trotz dieser neuen Entwicklung möchte ich nach Hause gehen und es langsam angehen lassen. Im Moment gibt es viel zu viele Dinge die ich nicht verstehen kann." Als sie von meinem Schoss runtergleiten wollte, schlang ich meine Arme fester um sie, wollte den Kontakt zwischen unseren Körpern nicht verlieren.

"Du bist meine Gefährtin! Du musst bei mir bleiben!" Ich spürte bereits meinen Wolf an der Oberfläche kratzen.
"Vor nicht einmal zwei Stunden hast du meinem Vorschlag zugestimmt.", sagte sie vorwurfsvoll.
"Aber da wusste ich noch nicht dass du bei Fremden wohnst."
"Wir sind keine Fremden!", mischte sich nun auch Maya ein. "Es mag sein, dass wir nicht ihre leiblichen Eltern sind, aber wir haben sie aufgezogen und lieben sie wie unsere eigene Tochter. Und sie wird nicht hier bei dir bleiben."
"Was fällt dir eigentlich ein? Weißt du wen du gerade herausforderst?"
"Stopp!" Olivias Stimme hallte durch mein Büro und klingelte in den Ohren.
"Hört auf! Beide!" Sie stand von meinem Schoss auf und kam hinter dem Schreibtisch hervor.
"Ich werde mit meiner Mutter nach Hause gehen, Noah.", sagte sie mit fester Stimme und schaute mir dabei in die Augen.

"Du kannst doch nicht von mir erwarten, dass ich mich von dir fernhalte?" Jetzt sprang auch ich auf und trat auf sie zu.

"Das kann ich. Wenn du wirklich so viel für mich empfindest, wirst du mir meinen Freiraum gewähren damit ich alles durchdenken kann."
"Und wie lange wirst du brauchen?" Ich wollte so schnell wie möglich wieder mit ihr zusammen sein. Jede Minute ohne sie würde die Hölle sein.
"Das weiß ich nicht." Sie zuckte mit den Schultern und trat einen Schritt auf mich zu. Schüchtern und mit geröteten Wangen schaute sie kurz in mein Gesicht und schaute schnell wieder weg. Ihre zitternden Finger krallten sich in das T-Shirt das sie trug.
"Du kannst mich natürlich auf ein Date einladen, damit wir uns kennen lernen können." Sofort beruhigte sich mein Herz und ich konnte tief durchatmen. Immerhin wollte sie mich sehen und nicht einfach loswerden. Aber ich müsste ihr etwas Zeit lassen und nicht gleich am ersten Tag auf der Türschwelle erscheinen.
"Dann musst du mir noch unbedingt deine Nummer geben."
"Als ob du nicht bereits alles über mich wüstest." Lachend legte ich meinen Arm um ihre Taille und zog sie an meine Seite. Ich hatte schon einiges in Erfahrung über sie bringen können, wusste aber nicht alles. Immerhin war ich kein Stalker. Ich reichte ihr mein Handy und sie tippte mir schnell ihre Nummer ein.

Ihre eingespeicherte Nummer in meinem Smartphone beruhigte mich, weshalb ich nicht gleich in Panik geriet, als sie sich mit ihrer Mutter auf den Weg nach Hause machte. Ich begleitete sie zur Tür und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, den sie mit einem zarten Lächeln erwiderte.

"Wir sehen uns bald wieder.", sagte ich zum Abschied und blieb in der offenen Tür stehen und beobachtete sie dabei, wie sie ins Auto stieg und davon fuhr. Mein Blick blieb so lange am Horizont hängen, bis ich nicht mal mehr einen Punkt erkennen konnte. Erst dann schloss ich die Tür und lehnte mich schweren Herzens daran an.

Du wirst sie bald wieder sehen, beruhigte ich mich selbstund versuchte dem Instinkt zu widerstehen mich in einen wilden Wolf zuverwandeln und ihr durch den Wald hinterher zu jagen. Nur wenige Tage,dann kann ich wieder meine Arme um sie schlingen und ihre Wärme spüren.

captured by a wolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt