All die grauen Tage

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Meine Anspannung wächst sobald sich die Bustüren schließen.

"Ich glaube wir hätten deinem Vater Bescheid sagen müssen.", Annabelle rutscht von Nervosität gezeichnet auf ihrem Sitz herum.

"Natürlich. Er hätte uns wahrscheinlich bereitwillig begleitet.", fauche ich und hebe den ausgestreckten Zeigefinger an die Stirn.

"Okay, sorry das war blöd.", sie kaut auf ihrer Unterlippe.

Als wir in Berlin ankommen wächst meine Anspannung. Mit zitternden Beinen verlasse ich das Fahrzeuge und ziehe eine verstörte Annabelle hinter mir her.

"Wir sollten nicht hier sein.", jammert sie in einer Tour und strapaziert somit meine bereits angeschlagenen Nerven.

Die Adresse führt uns an eine gut befahrene Hauptstraße. Junge Frauen stehen an Schaufenster und Hauseingängen. Ihre Keilabsätze sehen mörderisch aus. Die kurzen Hosen über den Netzstrumpfhosen sind eng geschnitten, sodass die Porundungen gut sichtbar werden.

"Denkst du die tragen Unterwäsche?"

Entsetzt blicke ich zu meiner Freundin.

"Es könnte doch sein.", knirscht sie und blickt sich um.

Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und gehe auf eine der Prostitutierten zu. Mein Puls rast. Der Mund ist trocken.

"Hey.", fiepe ich und fahre mir nervös durch die Haare.

"Kleine, für die Anmeldung musst du schon reingehen.", sie lächelt mich freundlich an und holt aus ihrem Täschchen eine Zigarettenschachtel.

"Was? Nein, ich suche jemanden!", hastig krame ich das Foto aus meiner Jackentasche und halte es unter ihre gepuderte Nase.

"Marise. Die steht zwei Straßen weiter. Am gelben Hauseingang!", sie deutet in eine bestimmte Richtung. "Aber kleine...", sie zieht mich an der Schulter zurück und flüstert nach einem hektischen Blick:
"Wenn der Boss da ist...renn um dein Leben. Er sucht immer junge Mädchen, vor allem dein Alter kommt ihm gelegen."

"Ich bin Minderjährig.", entgegne ich schnell und trete einen Schritt zurück.

Sie lacht auf und wirft ihren Kopf in den Nacken. Sofort entdecke ich die schlecht verarbeiteten Extensions, welche Zentimeter über der Kopfhaut zu schweben scheinen.

"Wir waren alle Minderjährig.", sie deutet mit der unangezündeten Zigarette auf die angereihten Frauen. In ihren Augen leuchtet Verbitterung.

"Was glaubst du wie viel so ein reicher Sack für ein Mädchen wie dich zahlt?", sie kramt nach einem Feuerzeug während sie fort fährt: "...ein Vermögen, Kleine. Du bist sicher noch Jungfrau?"

Ich werde rot und nicke peinlich berührt.

"Sowas kostbares würde er sich nie entgehen lassen. Du bist Geld auf zwei Beinen. Seine Schatztruhe."

"Aber wenn ich das nicht will...? Ich meine, auch ich habe Rechte.."

"Rechte. Rechte.", das Feuerzeug flammt auf.

"Du bist eine Frau! Du hast keine Rechte. Du bist Dreck, wertlos, sobald du den nötigen Gewinn erbracht hast...", sie macht eine Wegwerf-Bewegung, "...bist du weg von der Bühne, bis dein nächster Auftritt kommt."

"Und was ist mit Marise passiert?"

"Marise hat es ganz schlimm erwischt."

"Was ist passiert?"

"Sie war die Lieblingsnutte vom Boss. Und dann ist sie durch einen Klienten schwanger geworden."

Mein Herz klopft schneller: "Ungewollt?"

"Natürlich! In unserem Business kann man kein Heulbündel gebrauchen.", sie scharrt mit der Schuhspitze über den Bordstein.

"Was hat er ihr angetan...?"

"Als er es herausfand, drehte er komplett durch. Er schrie das ganze Bordell zusammen, wer davon gewusst hätte. Als sich niemand meldete, wartete er freundlich den Besuch des Amtsarztes ab..."

"Aber der muss doch gemerkt haben, dass sie noch Minderjährig war..."

"Süße, natürlich hat er das gemerkt, aber Geld regiert die Welt. Naja, als die Diagnose feststand hat er das Zimmer gestürmt, sie zu Boden geschmissen und immer wieder in den Bauch getreten, danach hat er einen Baseballschläger ergriffen und begonnen ihr den Kehlkopf einzuschlagen. Ohne den Notarzt wäre sie draufgegangen."

"Und der Vater des Kindes?"

"Größter Lappen, den ich je sah!"

"Warum?", knirsche ich und habe Mühe mich zu beherrschen.

"Feuer in den Ofen geht schnell, aber für den verbrannten Braten gerade stehen ist was anderes. Erst wollte er es nicht und dann folgte der Drogenabsturz. Verticken, Nehmen, Aggression abbauen, einsitzen und der Teufelskreis geht weiter. Irgendwann hat er sich dann doch entschlossen die Kleine zu sich zu nehmen. Seitdem weder was gehört noch gesehen. Marise bereut wenig, aber wenn sie etwas bereut, dann, dass sie ihr Kind hat ziehen lassen. ", sie seufzt und wischt die verlaufene Wimperntusche ab.

"Danke, für die Erklärung...", langsam setze ich mich in Bewegung.

" Kleine! Pass auf dich auf! Es wäre Schade um dich."
Ohne mich noch einmal umzudrehen hebe ich die Hand zum Abschied und eile gemeinsam mit Annabelle den beschriebenen Weg entlang.

Same mistakes like you did Daddy.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt