Michael

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"Ich will dich wirklich nicht bestrafen, aber du hast anscheinend immer noch nicht begriffen, wer hier das Zepter in der Hand hält?", mit einem mitleidigen Blick gibt Anis ein kurzes Handzeichen in Richtung Michael. Mein Herz beginnt ganz leise zu pochen. Ich hätte es wissen müssen, hier gibt es Niemanden der Gut ist. Die Vorhin noch braun - funkelnden Augen sind einem fast Pechschwarzen Farbton gewichen. Wie konnte ich Ihnen vertrauen?
Widerstandslos stolpere ich hinter ihm her. Meine Würde ist eh schon ein winziges Häufchen in mir, dass darauf wartet, auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden.
Kaum sind wir um die Ecke gebogen, kann ich die aufkommenden Schluchzer nicht mehr unterdrücken. Mein Mund öffnet sich und gibt eine Mischung aus Schniefen, Keuchen und Weinen frei.
Michael hält abrupt inne.
Sein Rücken bewegt sich unter der Atmung leicht.
Der dunkle Hoodie scheint das helle Deckenlicht zu verschlucken, ebenso wie meine Hoffnung, die langsam dahinsinkt.

Langsam dreht er sich um und lässt die Augen über mein verquollenes Gesicht gleiten.
"Selbst so bist du wunderschön, Clarisse."

Ich werfe ihm einen unsicheren Blick zu. Verarscht er mich? Habe ich mir die Worte gerade nur eingebildet?

Er hebt die Hand und ich weiche mit einem leisen Aufschrei an die hinterste Wandfläche, wo ich in die Knie sinke und auf den ersten Schlag warte.

-Michael-

Sie geht in die Knie und hält schützend die kleinen Fäuste vor ihrem Gesicht. An der leichten Vibration ihrer Arme erkenne ich die Anspannung welche über ihrem verkrümmten Körper liegt.
Ich widerstehe der Versuchung sie direkt in den Arm zu nehmen und setze mich stattdessen in angemessenem Abstand vor sie.
Dass er ihre Augen hat bemerke ich erst, als sie sich vorsichtig einen Überblick verschafft. Rote Äderchen bedecken das milchige weiß. Die violetten Augenringe spiegeln die vergangene ,schlaflose Nacht wider.
Bestimmt schickt ihr "Daddy" sie um Punkt neun Uhr ins Bett, nur um sicherzugehen, dass seine Prinzessin ausgeruht ist und ihr kein Leid zustoßen kann.
Bei diesem Gedanken legt sich ein schiefes Grinsen auf meine Züge.
Sie ist so klein, Porzellanartig, Puppenhaft.
Ihre sinnlichen Lippen eine Sünde des Verlangens.
Die wohlgeformten Augenbrauen ein Meisterwerk.
Die kleine Nase ein Kunstwerk.
Die Augen das Höllenfeuer , welches sich tief in mein Herz frisst.

"Du bist in Sicherheit. Ich werde nie Hand an dich legen. Ich passe immer auf dich auf.", wiederhole ich den Schwur, welchen ich ihr vor einigen Jahren bereits einmal gab.
"Sicher?", langsam senkt sie die Arme und lässt sie kraftlos zu Boden sinken.
Die Bewegung zerreißt mir beinahe das Herz.
Sie soll glücklich sein.
Lachen.
Das erste Mal feiern gehen.
Den ersten Kuss erleben.
Das erste Herzrasen bekommen ,wenn ein bestimmter Blick auf ihr ruht.
Pubertäre Wutanfälle überleben.
Eltern kritisieren.
Sich selbst nicht allzu Ernst nehmen.
Ihre eigenen Vorzüge entdecken.
Zu sexy, zu verspielt, zu freizügig, zu betrunken, zu verliebt, zu Lebenslustig...
Sie soll ein ganz normaler Teenager sein.

Wenn Sie hier bleibt, wird sie zu Grunde gehen und die Liste wird sich ähnlich wie Seifenblasen, Stück für Stück, mit einem leisen "Plopp" vernichten.

Same mistakes like you did Daddy.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt