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Am nächsten Tag gab es keinerlei Hoffnung für Ardian. Sein Magen war noch immer leer und seine Sicht verschwommen, da sein Kreislauf abbaute und seine Brille ihm dort nicht wirklich weiterhalf. Er flüchtete wieder zurück zu dem Fluss, an dem er sich in Frieden etwas ausruhen konnte. Doch in ihm brodelte ein Vulkan, der immer mehr zu explodieren schien. Er fühlte sich so unglaublich verloren. Seine Freundin meldete sich nicht mehr bei ihm.

Thaddeus kam gegen späten Nachmittag von der Uni zurück nach Hause. Sein Kopf dröhnte vor Informationen, die er erhalten hatte, und er wollte bloß noch Abstand von allen Menschen haben, die ihn umgaben.

"Wie ist deine Klausur ausgefallen?", fragte ihn sein strenger Vater, nachdem er Thaddeus aus seinem Zimmer rief.

"Im Allgemeinen, oder-"

"Du weißt, was ich meine.", stoppte sein Vater ihn und drängte sich ihm näher heran. Seine »Zornesfalten«, wie Thaddeus sie gerne nannte, erschienen schon wieder auf seiner Stirn.

"Verhauen", sagte Thaddeus bloß kleinlaut, voller Angst.

"Verhauen?!", rauschte es aus seinem Vater, "du bist eine Schande! Deine gesamten letzten Klausuren hast du verhauen!"

Und dann folgte eine Prügel nach der anderen. Wie immer. Ja, sein Vater war gewalttätig. Ja, Thaddeus unternahm nichts dagegen. Die Narben an seinen Unterarmen sprachen für sich und die blauen Flecken und Blutergüsse taten es nicht anders. Seine Beziehung zu seinen Eltern war das reinste Chaos. Dabei wusste sein Vater nicht, dass Thaddeus nicht für seine Klausuren lernen konnte, da sein Kopf voller Fragen war.
Wann werde ich genug sein?
Wann soll ich mich umbringen?
Wie soll ich mich umbringen?
Hat mein Leben noch einen Sinn?
Wann hört der ganze Schmerz auf?

Als Thaddeus wieder alleine war, völlig aufgelöst und fertig mit seiner Klinge das Haus verließ, um seine gewohnten Taten zu vollbringen, weinte er. Er weinte schrecklich viel und schrecklich laut und er fühlte sich auch so. Er fühlte sich schrecklich, mit all den Narben und Verletzungen, die er innen und außen trug.

Ardian ließ seinen müden Kopf auf seine Knie sinken, atmete die kalte Luft ein und beobachtete das Wasser, da keine Enten dort waren. Nur das Wasser und die Wellen. Mehr war nicht da.
Auch er fragte sich, wann alles ein Ende haben würde?
Wann würde er endlich erlöst werden?
Wann würde seine Freundin ihn wieder lieben, wie am ersten Tag?
Wann würde er wieder ein Zuhause haben?
Wann würde er genug sein?

Thaddeus brachte es wieder zu dem Fluss, an dem er Ardian begegnet war. Er hatte keine Ahnung, wer er war, geschweigedenn wusste er von seiner Geschichte. Und so wusste Ardian auch nichts von Thaddeus' Geschichte, hielt ihn noch immer für eine komische Gestalt.

Und wieder ging Thaddeus den engen Weg zum Fluss herunter. Und wieder sah er dort Ardian sitzen. Und wieder näherte er sich ihm, ließ seine Klinge, die er von seinem Rasierer abgebaut hatte, in seiner Jackentasche verschwinden und ignorierte das Gefühl von dem laufenden Blut, da er seine Tat auf dem Weg zum Fluss bereits vollbracht hatte.
Sein ganzer Körper tat ihm weh, brannte noch von den vielen Schlägen seines Vaters, von denen seine Mutter nichts wusste. Und sie würde auch nie davon erfahren. Denn er würde nichts verraten.

"Hey, Sie!", brachte Thaddeus nur leise heraus, da seine Zweifel, den fremden Mann anzusprechen, mit ihm etwas durchgingen.

Ardian drehte sich zu Thaddeus. Er hatte ihn bereits kommen gehört, jedoch ignoriert. So wie er es bei vielen Menschen tat. Ardian's Augen musterten Thaddeus grob und argwöhnisch von der Seite. Er stand links. Ardian saß auf seinem kleinen Fleckchen vor dem Wasser und war zu schwach, um seinen Kopf von seinen Knien zu heben. Seinen Durst hatte er bereits mit dem dreckigen Wasser löschen müssen.

"Geht's Ihnen gut?", fragte Thaddeus wieder, wie auch zuvor.

Doch Ardian antwortete wie auch zuvor: "Verschwinde" und meinte es auch so. Er wollte wirklich, dass Thaddeus einfach verschwand.

"Wer sind Sie eigentlich? Ich seh' Sie nur immer hier sitzen und nichts tun, außer etwas anzustarren." Dabei hatte Thaddeus ihn dort erst zum zweiten Mal gesehen.

"Junge, ich fühl mich beschissen. Hau einfach ab und lass mich in Ruhe."

"Ich denke, das kann ich nicht.", sagte jedoch Thaddeus selbstbewusst, wie er war. Manchmal, ja manchmal da war er auch ein kleiner Poet und Philosoph. Das war das Einzige, von dem er dachte, es liege ihm. Das Schreiben, Dichten, Reimen und Philosophieren.

"Und wieso nicht?", fiel es Ardian immer schwerer zu sagen, ohne dass er den Jungen vor sich klar sehen konnte. Ihm war furchtbar schwindelig.

"Sie sehen ziemlich krank aus. Ich weiß nicht, ob Sie immer so aussehen, aber Sie sehen wirklich schlecht aus. Wenn Sie also heute noch sterben sollten, dann will ich nicht sagen können, dass ich Sie in Ihren letzten Stunden allein gelassen hab."

"Du bist doch...verrückt.", krächzte Ardian, "Haben deine Eltern dir nicht beigebracht Fremde in Ruhe zu lassen?"

Und dann wurde Thaddeus ganz still und schweigend, denn über seine Eltern sprach er nie gern'. Er verdrängte Gespräche über sie, da er nicht gerne von ihnen erzählte.

"Wie heißen Sie?" Mit seiner Hand kratzte sich Thaddeus an seinem Hinterkopf, um die juckende Stelle zu erwischen.

"Das geht dich nichts an.", sagte Ardian kalt. Er wollte keinen Freund. Er wollte keine Zuneigung und auch niemanden, der sich aus Mitleid um ihn kümmern wollte. Er wollte doch nur alleine am Fluss sitzen und sich vorstellen, wie wohl eine Welt ohne einen Obdachlosen, wie ihm, wäre.

"Kommen Sie schon-"

"Hör auf mich zu siezen, ich bin keine 50."

"Na dann sagen Sie mir Ihren Namen." Wenn Thaddeus eines gut konnte, außer dem Schreiben, dann war es, verbissen zu sein. Er ließ nie locker, wenn er sich in etwas verbissen hatte. Er war stets ein Sturkopf.

"Ardian", grummelte der vollbärtige Mann zu Thaddeus zurück, sah ihn nichtmal an, sondern zum Wasser, dessen wellige Bewegungen sich mit seinem Schwindel kombinierten.

"Und weiter?"

"Bora?", beendete Ardian fragend und schenkte Thaddeus einen Blick, der direkt in seine Augen ging. Ardian bemerkte das klare Blau, das dem Wasser nicht einmal die Farbe reichen konnte.

"Ich bin Thaddeus Tjarks...", sprach der Junge aus gutem Haus förmlich und höflich, reichte Ardian eine Hand, die er nicht annahm, um sie zu schütteln, weshalb Thaddeus sie wieder sinken ließ. "Also, Ardy, was ist mit dir los?"

Mit einem Stirnrunzeln sah Ardian Thaddeus an. Hatte noch immer in seinem Kopf, wie komisch sein Name doch klang.

"Wie hast du mich genannt?", fragte er verwirrt.

"Ardy", sagte Thaddeus stolz. Und noch nie hatte jemand Ardian Ardy genannt.

Doch anstatt ihm einen Spruch an seinen Blondschopf zu werfen, bemerkte der Braunhaarige etwas ganz anderes.

"Ich glaube, da läuft Blut aus deinem Ärmel, Taddl.", brachte Ardian mit gereizter, kratziger Stimme heraus und betonte den neu erfundenen Namen für seine neue Bekanntschaft, die ihm nicht wirklich geheuer war, als wäre er Ungeziefer.

RiversideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt