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Am Tag darauf besuchte Thaddeus Ardian erneut. Er brachte ihm sogar ein Geschenk mit. Ardian freute sich, und das tat er wirklich, doch konnte er dies Thaddeus nicht wirklich zeigen.

"Wie geht's dir?", fragte Thaddeus ihn vorsichtshalber. Er bekam ja weder alles mit, was die Ärzte Ardian sagten, noch wusste er, wie es ihm wirklich ging.

"Gut", log Ardian ihn an. Er wollte nicht über sein Wohlbefinden sprechen. Er wollte auch nicht darüber sprechen, dass nun eine alte Dame in dem Bett schlief, das einst Sara gehörte. Niemand sollte in dem Bett schlafen, in dem Sara mal schlief. Niemand sollte ihren Platz in irgendeiner Weise einnehmen. Niemand sollte sie irgendwie und irgendwo ersetzen.

Und Ardian fand es nahezu unheimlich, dass er sich so auf ein Mädchen verkrampfte, das er nicht einmal einen Monat lang kannte. Er konnte es Liebe auf den ersten Blick nennen, doch das fand er schwachsinnig.

"Dir kann es nicht gut gehen." Thaddeus setzte sich auf seinen üblichen Platz, dem alten Holtstuhl vor Ardian's Krankenbett, der so hart war, dass das Sitzen darauf nach wenigen Minuten zu Schmerzen führte.

"Mir kann was?"

"Es nicht gut gehen, mein Freund.", wiederholte er sich und starrte auf den Ordner, den er ihm mitgebracht hatte. Ein Ordner voller Zeichnungen von Ardian, die er gemacht hatte, als er neue Tattooideen brauchte.

"Wieso kann es mir nicht gut gehen?" Vollkommen verwirrt starrte Ardian jedoch zu Thaddeus und bemerkte erst jetzt, dass seine Haare total ausgeblichen waren. Sich selbst wollte er nicht ihm Spiegel ansehen. Ihm ging es in Wirklichkeit zu schlecht, um nur dies zu tun.

"Weil du ein Krebskranker auf einer Krebsstation eines Krankenhauses bist, das eine Frau als Kioskverkäuferin hat, die einfach so Extra-Ware herausgibt. Deshalb."

Das Geräusch von Thaddeus Fuß, der immer und immer wieder auf den Boden tippte und sich wieder anhob, erfüllte den Raum. Er zog die Aufmerksamkeit von der alten Dame nebenan auf sich, die mit ihren Augen direkt in sein Gesicht sah, wie er wenige Sekunden später realisierte.

"Das ist absurd.", antwortete Ardian und wollte Recht behalten. Er wusste, dass Thaddeus richtig lag. Dass das alles total zum Scheitern verurteilt war. Dass seine Krankheit scheiße und das Leben scheiße und der Tod eben scheiße war. Und, dass er daran absolut und vollkommen nichts ändern konnte. Und genau das war es, was ihn am meisten störte. Dass er nichts daran ändern konnte, zu sterben, zu versagen, verurteilt zu werden oder jemanden zu verlieren, den er liebt.

"Das ist die Wahrheit.", entgegnete Thaddeus bloß noch und sah zu, wie Ardian versuchte, nach dem Ordner zu greifen, den Thaddeus mitgebracht hatte, jedoch aus Schwäche scheiterte.

"Hier, warte-", hastete er und lief eilig zum Nachttisch, um Ardian zu helfen. "Bitte"

"Danke", sagte dieser nur und es verließ kein Ton seiner rauen Stimme seine Kehle. Nur seine Lippen, die das kurze, vielsagende Wort formten und lautlos ließen.

"Das sind deine alten Entwürfe...ich dachte vielleicht, dass du dich darüber freust."

Sprachlos blätterte Ardian in dem Ordner herum und flog Seite für Seite mit seinen glanzlosen Augen ab, die müde und schwer waren, da er nachts an Albträumen litt. Er träumte von Sara, die meiste Zeit zumindest. Dann schlich sich ein gewaltiges Lächeln auf seine Lippen. Er sah seinen ersten Entwurf, ein totaler Reinfall. Thaddeus konnte definitiv besser zeichnen, als er es je können würde.

"Das ist toll, danke.", sagte er abgelenkt der vielen Kritzeleien und bemerkte kaum, dass Thaddeus unruhig wurde.

Unruhig, da er das Krankenhaus a) nicht mochte, b) noch ein paar Blumen zu Luna's Grab bringen wollte und c) er sich unwohl in der Nähe der alten Dame fühlte, die dauerhaft zu den beiden hinüber sah.

Er konnte ja nicht wissen, dass die alte Dame gefallen an den beiden Jungs fand. In einer Weise der Lieblichkeit, sie fand beide Jungs sympathisch und es erfreute ihren einsamen Tag, eine solche Freundschaft zu beobachten.

Thaddeus blieb jedoch noch. Er konnte nicht einfach aufkreuzen und wenige Minuten später wieder gehen, so war er nicht. So wollte er nicht sein. Und als Ardian ihm noch ein bisschen erzählte, da dachte er an ihre erste Begegnung am Fluss. Er dachte auch an seine Eltern, doch wollte er seine schöne Erinnerung nicht durch die Miesen zerstören. Er dachte kurze Zeit auch an Luna.

Und er wollte nicht, dass das alles aufhörte. Er wollte Ardian nicht verlieren. Er wollte nicht wieder alleine sein und Trübsal blasen. Nicht alleine durch die Welt ziehen. Dafür war er noch nicht bereit. Dafür würde er nie bereit sein.

Das konnte ihm Ardian nicht antun.
Er konnte nicht einfach sterben.
Nicht einfach gehen.
Nicht mehr exisitieren.

Und Thaddeus wusste auch nicht, dass er Ardian half, indem er einfach bei ihm war. Indem er mit ihm sprach und ihm ein Gefühl von Wichtigkeit gab. Dass er gebraucht wurde. Und das wurde er.

"Du musst mir was versprechen, Kumpel.", sagte Thaddeus zu ihm, als er sich verabschiedete.

"Alles, was du willst. Okay, nicht alles. Meine Schokolade kriegst du nicht. Und meine Güte, wenn du voreilig mal heiraten willst auch nicht.", scherzte Ardian. Ihm war danach. Einfach glücklich sein, für einen kurzen Moment. Sara hätte es so gewollt, dachte er, sie hätte gewollt, dass er weiterlebt und kämpft.

"Nein, Alter, ich will deine Schokolade und Güte nicht." Thaddeus begann zu lachen, da ihm danach war. Er wollte nur glücklich sein, doch das konnte er jetzt nicht. "Versprich mir, dass du mich niemals verlässt okay? Ich will nicht wieder alleine sein. Ich hab kein' Bock, dich zu verlieren."

Ardian sah ihn für einige Sekunden schweigend an. Ließ seine Augen mit seinen in Kontakt treten und hielt inne. Als würde er nachdenken müssen, bevor er ihm eine Antwort geben würde.

"Versprochen"

Und Ardian lächelte, als wäre nichts.
Und er dachte, dass er ein verfluchter Verräter ist.
Und er wollte, dass sich alles bessert.
Doch er wusste, dass niemand immer das bekommt, was er will.

RiversideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt