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Es gab einen Fluss, nicht weit weg von der kleinen Stadt, in der zwei Personen lebten, die verschiedener nicht sein konnten, aber sich doch mehr ähnelten, als sie glaubten.

Ardian und Thaddeus.

Ardian erlebte die Schrecken des Lebens, während Thaddeus nur alles Gute zu spüren bekam. Fast alles Gute. Auch sein Leben war nicht so, wie die meisten dachten. Sie beide wussten nichts von einander, kannten sich nicht...
...bis zu dem Tag, an dem sie sich unten am Fluss begegneten.

Ardian fühlte sich verloren. Es war ein grauer Tag im Herbst und seine dünne Jacke hielt ihn längst nicht mehr warm. Sein Magen war schon seit Tagen leer und er fühlte sich bloß noch einsam. Ganz egal, ob jemand bei ihm war, er fühlte sich trotzdem einsam. Er wusste selber nicht wieso.

Wieso fühlte er sich einsam, obwohl er doch alleine sein wollte? Obwohl er es nicht anders kannte?
Er war doch seit seiner Kindheit immer alleine gewesen. Wieso würde ihm es jetzt also etwas ausmachen?
Jetzt, mit seinen 22 Jahren.

Und während Ardian gequält von der Kälte und geplagt vom Hunger die mit Blättern überstreuten Straßen entlang ging, um irgendwo einen Platz zu finden, an dem er kurz dem Rest seines Lebens entkommen konnte, ging es bei Thaddeus Tjarks, dem Sohn eines reichen Verdieners, ganz anders zu.

Auch er fühlte sich einsam, doch auf eine andere Weise. Er besaß alles, was man sich nur wünschen konnte. Geld, ein Dach über dem Kopf und Nahrung, eine Familie, die für ihn sorgte. Die für ihn zu viel sorgte. Zu arg.

Er sagte seinen Eltern immer wieder, dass er nicht die Person seie, für die er von ihnen gehalten wird, doch sie hörten nicht auf ihn. Sie stritten es doch nur immer wieder ab, glaubten ihren Sohn besser zu kennen, als er sich selber kannte.

Dabei wussten sie nichts von den ganzen Dingen, die in seinem Kopf vorgingen.

Sie wussten nichts davon, dass er an Suizid dachte. Nicht mehr konnte.
Sie wussten nichts davon, dass er sich unbedingt tätowieren lassen und nachts einfach mal aus dem großen Haus entkommen wollte, das durch viel Aufsehen immer wieder in den Mündern vieler Leute aus diesem kleinen Ort war. Sie wussten nichts davon, dass mit jeder neuen Regel, die seine Eltern aufstellten, ein Teil in ihm starb.

Ein Teil, der auch in Ardian Bora immer weiter zu Grunde ging. Die Wertschätzung von einem selbst. Die Freiheit. Die Glückseligkeit. Sie beide fühlten sich nicht mehr wie sie selber. Sie fühlten sich wie Fremde. Fremde, die voller Trauer und Selbsthass eine Flucht und einen Ausweg suchten.

Und beide besaßen im Grunde doch nicht so viel, wie sie dachten.

Ardian dachte, er habe alles, was er brauchte. Er besaß zwar kein Dach über seinem Kopf, doch eine wunderbare Freundin. Er besaß hin und wieder etwas Nahrung.
Er besaß Freunde, wenn man die weiteren Obdachlosen so bezeichnen konnte.

Doch was er eigentlich besaß, war nichts, außer sich selbst, denn seine Freundin war gerade mitten drin, ihn im Stich zu lassen, was er jedoch verdrängte. Desto kälter es wurde, desto weniger Chancen besaß er auf Geldspenden. Desto mehr kapselte er sich von der Außenwelt ab.
Alles was er besaß, war sich selbst und seine innerliche Einsamkeit.

Thaddeus dachte, er habe alles, was er brauchte. Er besaß viel, er besaß alles nötige, um zu leben. Um in Luxus zu leben. Er besaß sich sorgende Eltern und einen Schulabschluss, war dabei zu studieren und jemand großes zu werden, wie sein Vater. Hatte Unterstützung. Hatte Halt. Einen Ruf. Doch Tücken.

Doch alles, was er eigentlich besaß, war nichts, außer sich selbst. Seine Eltern sperrten ihn förmlich ein. Häusliche Gewalt ein Bestandteil in seinem Alltag. Seine Eltern nahmen ihm alle Freiheiten. Setzten Regel nach Regel auf und verbaten ihm alles, was ihm gefiel. Das Geld wollte er nie. Ein Leben wie seines wollte er nie. Er fühlte sich unter Druck gesetzt. Er fühlte sich grausam. Als könne er nie genug sein. Er wusste nie, dass er bereits genug war. Und das zerbrach ihn noch mehr.

Und alles, was er besaß, war sich selbst und seine innerliche Einsamkeit.

RiversideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt