11

404 51 2
                                    

Ardian fühlte sich glücklich, nachdem er sein Tattoo bekam. Er fühlte sich endlos und glücklich. Endlich wurde etwas verwirklicht, was schon lange in seinem Kopf herum schwebte. Er konnte es sogar bezahlen, ja, selbst das konnte er. Sein Leben schien voran zu gehen und sein Selbstbewusstsein kam zu ihm zurück.

Das von Thaddeus verschwand. Er fühlte sich so mickrig, als er an der Reihe war. Er hatte Angst, doch er wollte es so sehr. Seinen Arm tätowieren lassen. Sein linker Arm würde ein Kunstwerk werden. Er freute sich gleichzeitig. Ardian klopfte ihm bestätigend auf die Schulter. Als wolle er ihm sagen, dass er das könne. Dass er tapfer war. Thaddeus wusste, dass er tapfer war.

Als es vorbei war atmete Thaddeus erleichtert durch. Er hatte Schmerzen erlitten, doch es hat sich gelohnt. Sein Arm war nicht ganz fertig geworden, der Laden würde bald schließen und er entschloss sich dazu, das Tattoo ein anderes Mal fertig machen zu lassen. Oder eher die Tatoos, denn er ließ immerhin seinen ganzen Arm verzieren.

Die Uhr schlug die volle 8, als Ardian und Thaddeus das Gebäude verließen. Sie beide waren froh und fühlten das Gefühl von Glück. Sie beide liebten die Kunstwerke auf ihrer Haut. Thaddeus studierte Ardian und Ardian Thaddeus. Sie lachten einander an. Sie grinsten über beide Ohren.

"Bereit, deine Haare zu färben?", fragte Ardian und steuerte mit dem Blonden die Richtung an, in der sich seine Wohnung befand, die nahe an der von seiner Freundin Luna lag.

Thaddeus nickte Ardian zu, fuhr sich mit einer Hand durch sein Haar und genoss die frische Luft, die um seine Nase zog. Er müsste heute Nacht nicht nach Hause und sich von seinem Vater verprügeln lassen. Er müsste heute Nacht keinerlei Schmerzen erleiden. Er müsste sich keine Sorgen und Gedanken um seine Mutter machen, die in einem Wohnheim lebte, da ihr Mann ihr das Konto gesperrt hatte.
Er müsste sich um nichts kümmern, nur ein einziges Mal nicht. Und das genoss er. Er genoss die Zeit mit Ardian. Mit dem Mann, Jungen, der ihn wieder etwas an seinem Leben hielt. Der ihn am Leben hielt. Der sein Anker war. Und er dachte in dieser Nacht nicht über Suizid nach, da es in dieser Nacht keinen Grund gab, um sich umzubringen.

Während Ardian schon ganz über den Gedanken an Mord hinüber war, dachte Thaddeus nämlich umso öfter drüber nach. Als wären Ardian's Gedanken auf ihn übergesprungen. Es bedrückte ihn. Das tat es wirklich.

Aber in dieser Nacht, da tat es das nicht.
Es fühlte sich für ihn so an, als seie alles okay. Als seie es okay, dass er darüber nachdachte und als seie es okay, dass er nicht perfekt war. Als seie es okay, dass er sich einfach hatte tätowieren lassen und als seie es okay, dass er eben nur er war.

Denn er war genug.
Und Ardian wusste, dass Thaddeus genug war.
Nur Thaddeus wusste dies nicht. Er selber sah sich als ein Wrack, das immer mehr Risse bekam, bis es auseinander fiel.

"Luna ist da.", sagte Ardian zu Thaddeus, als er die Haustür seiner Einzimmerwohnung öffnete. Er freute sich immer, wenn er Luna sah. Er liebte sie. Oder er liebte die Illusion, sie zu lieben.

"Lumes", sagte Ardian, als er Luisa sah. Er ging auf sie zu, um sie zu küssen, doch sie drehte ihren Kopf weg.

Thaddeus fand das alles etwas komisch. So sollte doch keine Beziehung sein, oder? Abgesehen davon hielt er von der Erzählung Luna nicht besonders viel.

"Was ist los?", fragte Ardian sie und streichelte sanft ihre rosa Wange. Ihre Augen waren glasig und ihre dünnen Beine nur von einer kurzen Hose und einem langen Shirt bedeckt.

Sie ist mager, sehr mager, dachte Thaddeus, aber manche Menschen können da nichts für.

Was er nicht wusste: Luna konnte etwas dafür. Sie aß nicht so wie sie es sollte. Zu wenig, oder zu viel, und dann suchte sie sich ihren Weg zu der Toilette. Sie hatte es nie leicht gehabt.
Was Thaddeus aber auch nicht wusste: Sie gab Ardian die Schuld dafür. Er würde nicht auf ihre Bedürfnisse im Sinne der Nahrungsmittel eingehen. Er würde zu viel Fleisch essen, sie wollte das nicht mehr. Fleisch essen. Sie wollte aufhören damit. Aufhören, die Umwelt zu verschmutzen und aufhören, die Welt zu belasten. Also hörte sie auch damit auf sich selber zu belasten, indem sie erbrach. Sie fühlte sich so freier und besser.

Ardian hingegen wusste davon nichts. Sie sagte es ihm nie. Sie sagte bloß immer wieder, dass Fleisch zu essen keine Alternative seie und er aufhören solle, aber er wollte es nicht einsehen. Für ihn war es ein Grundnahrungsmittel, wieso sollte er also aufhören, es zu essen?
Und das machte sie fertig.
Alles machte Luna fertig.
Die Welt machte sie fertig.
Ardian wusste nichts von ihrer Essstörung, oder wie Luna es nannte "ED", was soviel wie Eating Disorder bedeuten sollte. Sie liebte englische Worte mehr als deutsche. Das tat sie schon immer.

Jedoch war ihre Antwort bloß "Nichts" und sie wandte sich von Ardian ab, um zu Thaddeus zu gehen und ihm ein aufgesetztes "Hallo" zu sagen, worauf er "Hi..." antwortete. Er fühlte sich nicht wohl, wenn er mit ihr sprach.

Sie alle drei besaßen ihre Störungen und Probleme, aber helfen taten sich nur Ardian und Thaddeus.

Was beide auch nicht wussten: Luna würde bald nicht mehr da sein.

Denn nachdem sie Thaddeus die Haare färbte, ganz ganz blond und hell, sodass seine Kopfhaut brannte, als sie das Mittel verteilte, sie Ardian anschwieg und sich um Mitternacht auf die Toilette verkroch, als beide in Frieden schliefen, da nahm sie eine, vielleicht sogar zwei oder auch fünf Schlaftabletten zu sich, da sie dachte, es würde helfen.

Da verlor ein junges, schönes Mädchen die Kontrolle über sich selber und lehnte ihren dröhnenden Kopf gegen die kalten Fliesen des Badezimmers, saß auf dem Boden und hatte noch immer den Geruch von Haarfärbemittel in ihrer Nase.
Da schlug ihr Herz viel zu langsam und ihr Magen knurrte ein letztes Mal, da sie Tage nicht gegessen hatte.
Da atmete sie ihren letzten Atemzug voller Erlösung und ihre Gedanken kreisten um das Nichts, da sie an nichts dachte, als an sich selber.
Da lag ihr ein Lächeln auf den blassen Lippen und sie grinste beinahe, da sie dann doch an etwas schönes dachte.
Da waren ihr die vielen Lügen Ardian gegenüber egal und auch er wurde ihr egal. Ihr wurde alles so plötzlich egal, denn sie vergas ganz, wie viele Tabletten sie eigentlich genommen hatte.
Da hörte ihr atmen auf und ihr Lächeln haftete und ihre Augen schlossen sich mit letzter Kraft. Und sie zitterte nicht mehr so fürchterlich und ihre schwarzen matten Nägel legten sich mit ihrer Hand schlaff nieder. Ihre Hand, die eiskalt wurde.
Da verlor sie nicht nur sich, sondern auch ihr Leben in dem Badezimmer ihres Freundes, zu dem sie weder ehrlich noch treu war, den sie benutzte und um den sie sich am Ende nicht kümmerte, da er ihr doch nur leid tat.

Sie wurde gefunden, da war es früher Morgen. Da strömten Tränen und Schreie folgten und ihre Leiche war nur noch ihre Leiche.

Der Rest von einem Mädchen, das sich verlor, die Kontrolle, ihr Leben und auch all die Menschen, die sich um sie kümmerten.
Ein Mädchen, das an den Folgen starb, unter denen viele andere litten.
Ein Mädchen, das man nicht mehr schreien hörte, da ihre innerlichen Schreie mit ihr gingen.

Und alles was blieb waren zwei junge Männer, die ein Schlag nach dem anderen traf, und die anscheinend von der Härte des Lebens verfolgt wurden.

Die lernten, dass das Leben unberechenbar war. Und das lernten sie auch noch viele weitere Male.

RiversideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt