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Ardian sah Thaddeus verdutzt an.
Wieso fließt einem Jungen einfach so gottverdammtes Blut aus seinem Ärmel?, fragte er sich.

Aus Thaddeus' Mund kam nur ein zischendes Geräusch. Er rieb sich verzweifelt über seinen Jackenärmel, um ihn weiter nach vorne zu ziehen und seinen Arm darin verstecken zu können, doch Ardian ließ ihn nicht. Ardian griff nach dem Handgelenk von Thaddes, zog ihn näher zu sich und schob mit seinen letzten Kräften den Ärmel der schwarzen Jacke hinauf. Erschrocken sah er in die blauen Augen von Thaddeus, der die gesamte Zeit über beschämt zu Boden, doch zeitgleich auch in Ardian's Augen sah.

Viele, aberviele Narben und Schnittwunden offenbarten sich Ardian Bora. Er konnte kaum glauben, was Thaddeus ihm vorgab. Noch nie in seinem Leben hatte er so viele Einschnitte gesehen. So viele tiefe Einschnitte. Thaddeus' Arm bestand größtenteils aus roter Fläche. Und Ardian fragte sich, ob sein anderer Arm auch so aussah.

"Wieso tust du so einen Mist?", fragte ihn Ardian, der nun von Thaddeus' Arm abließ und erneut in das Gesicht des blonden Jungen vor ihm sah. Er trug so viel Schmerz in sich, in seinen Augen und in seiner Seele.

"Ist doch egal", wimmelte ihn Thaddeus jedoch ab. Er wollte nicht über seine Eltern sprechen, denn das tat er nie besonders gern. Er zog seinen Arm aus dem geschwächten Griff von Ardian, sah zum Wasser und wollte nichts als sterben. Jetzt, wo jemand gesehen hatte, was er nahezu jeden Tag tat, schämte er sich so sehr, dass er sterben wollte. Wirklich sterben wollte.

Ardian schnaufte durch. Auch er dachte gerade an das Sterben. Er wollte nichts lieber, als endlich aus der Hölle entkommen. Der Welt entweichen. Aber er konnte nicht. Er wusste, dass er sich nicht umbringen konnte. Viel zu sehr würden ihm die schönen und kleinen Dinge des Lebens fehlen. Und er konnte sich jetzt sowieso nicht umbringen, denn er fühlte sich plötzlich für den Jungen verantwortlich, der ihm noch zerstörter vorkam, als er selber war. Für den Jungen, der sich selber zerschnitt, aus einem Grund, den Ardian unbedingt wissen wollte. Er wollte keinerlei Verantwortung empfinden.
Wieso konnte Thaddeus ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Er würde verhungern. Doch er würde sich immerhin nicht selbst umgebracht haben, womit sein Vorhaben erfüllt werden würde. Er wollte keinen Suizid begehen. Dazu hatte er noch zu viel Würde und Liebe am Lebendigsein.

"Wenn es egal wäre, dann würdest du dir wohl kaum deine ganzen Arme aufschneiden, oder?", konterte Ardian nachdenklich und raufte sich sein Haar. Das tat er öfters, sich das Haar raufen. Aber nur, wenn er dachte, sein Kopf würde vor Gedanken gleich explodieren.

"Es geht dich einfach nichts an."

"Du kommst hier zwei Tage hintereinander an, quatscht mich voll und sagst dann, dass es mich nichts angeht, wenn ich mich mal für was anderes als dieses dämliche Wasser interessiere?"

Und da wusste Thaddeus nicht mehr, was er auf Ardian, oder wie er ihn nannte »Ardy«, antworten sollte. Also schwieg er vor sich hin, dachte über die ganzen Blutergüsse und Flecken an seinem Körper nach, von denen Ardy noch überhaupt nichts wusste. Er ignorierte das laufende Blut einfach. Er wollte nicht über die bekannte rote Substanz nachdenken, die er so oft zu Gesicht bekam.

"Du kennst mich doch garnicht.", argumentierte er nach einer langen Stille. Thaddeus wollte unbedingt das letzte Wort haben. Das wollte er oft, weshalb er einst Schläge von seinem Vater kassierte. Nur, da er mal das letzte Wort haben wollte. Da er ständig unterdrückt wurde.

Eilig stand er auf, rauschte an Ardian vorbei, der ihm nur mit müden Augen nach sah und sich nicht die Mühe machte, Thaddeus nachzulaufen. Er hielt ihn für einen sturen Bengel, der sich nicht öffnen geschweigedenn Kontra einstecken konnte. Ardian wusste nicht von der häuslichen Gewalt und allen psychischen Komplexen, die Thaddeus besaß. Er urteilte oberflächlich und falsch.

Aber wer konnte ihn schon umstimmen? Er war doch allein.
Seine Freundin sagte ihm zuletzt, sie würde seine Nummer löschen und er seie ein armer, armer Kerl, der einem nur leid tun könnte.
Und er sagte zu ihr: "Luna! Komm zurück! Du kannst mich nicht einfach zurück lassen! Ich brauche dich! Ich brauche jemanden und ich liebe dich, scheiße, ich liebe dich, verdammt!"; und sie sagte zu ihm bloß, während sie von ihm fortlief: "Aber ich liebe dich nicht mehr. Ich hab dich nie geliebt, Ardian! Nie! Kapier es endlich."; und er fragte sie, weshalb sie dann bei ihm geblieben war, und sie antwortete ihm, dass er ihr nur leid getan und schöne Augen hätte.

Welch eine Grausamkeit. Nur mit jemandem zusammen zu sein aus Leid und schönen Augen. Doch es war wahr, Ardian besaß wirklich schöne Augen. Und er tat einem Jeden auch Leid. Einem Jeden, nur nicht Thaddeus.

Thaddeus nämlich rannte davon und versuche krampfhaft nicht zu weinen. Aber er konnte nicht anders, als vor seinem Haus dann doch zu weinen. Weil er 1. nicht nach Hause wollte, 2. seine Arme und sein ganzer Körper unglaublich weh taten, dass er nicht mehr atmen wollte und er sich 3. so klein und schwach wie noch nie in seinem gesamten Leben fühlte.

Thaddeus ging ins Haus, doch es war niemand da. Er ging spät zu Bett, seine Eltern kamen heim. Er hörte sie streiten, seine Mutter schreien, wieso sein Vater ihren Sohn schlüge. Daraufhin ein lautes Geräusch, von dem er wusste, was es war. Auch seine Mutter wurde nicht verschont. Das wurde sie nie. Er schloss die Augen, kaute auf seiner Lippe. Er versuchte, an etwas anderes zu denken, bis ihm Ardy in den Sinn kam, der ausgehungert aussah. Er erinnerte sich daran, wie er zu ihm sagte, dass er nicht sagen können wolle, dass er den Mann am Fluss in seinen letzten Stunden alleine gelassen hatte, der am Tag darauf verstarb, nachdem sie sich begegneten.

Und dann wartete Thaddeus noch ungefähr eine halbe Stunde, bis er aufstand, sich anzog und  in die Küche schlich, um etwas Essen zu bunkern und es Ardian zu bringen.

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