Als Thaddeus von Ardian's Tod erfuhr, brach er zusammen. Und das noch mehr, als Ardian es vermutete. Er hatte ihm doch versprochen, dass er ihn nicht allein lassen würde. Dass er nicht sterben würde. Und am Ende verlor er gegen den Krebs, die Hoffnung und das Leben.
Er verlor jeden Krieg, den er mit sich führte.
"Wie konntest du nur?!", schrie Thaddeus und schmetterte eine Tasse auf den Küchenboden ihrer Wohnung...seiner Wohnung. "Du hast es versprochen..."
Und er sank zu Boden und ließ sich inmitten der Scherben nieder, die teilweise seine Handflächen zerschnitten. Jetzt wusste er, wie sich Ardian bei Luna gefühlt haben musste. Als sie gestorben war. Es war, als würdest du mit sterben. Als würde ein Teil von dir Versagen und aller Schmerz der Welt auf dich einprasseln.
Es war, als würdest du es nicht aushalten, auch nur einen Moment lang weiterzuleben. Zu atmen. Zu blinzeln. Thaddeus starb innerlich.
"Du kannst mich nicht alleine lassen!", schrie er laut und weinte so furchtbar, dass er nichts mehr sah. "Du kannst-du kannst nicht! Du kannst nicht! Du kannst mich doch nicht alleine la-s-s-en..."
Er schlug seinen Kopf gegen den unteren Küchenschrank, vor dem er saß. Seine Stimme versagte bereits und seine Haare wollte er sich am liebsten ausreißen, die Tattoos abkratzen, bis er überall blutete. Bis er verblutete. Bis er elendig starb.
Alles, was ihm blieb, waren die Scherben und ein Brief, den er nicht lesen wollte, da er sich verraten fühlte. Er fühlte sich schäbig, grauenvoll, nutzlos. Er fühlte sich wie der kleine Junge, der er vorher war, als er Ardian noch nicht kannte. Er fühlte sich mickrig und klein. Müde und schwach, aber er wollte nicht schlafen.
Er ertrug es nicht. Er ertrug nichts davon. Nichts. Das Atmen ertrug er nicht. Das Leben ertrug er nicht. Seine Existenz ertrug er nicht. Alles wurde ihm zu viel. Sein Leben geriet mit nur einem Verlust außer Fugen.
Er verstand: Ardian war alles für ihn gewesen. Seine Familie. Sein bester Freund. Sein Anhaltspunkt. Sein Ausweg.
Er machte jeden Tag sein Bett neu, da er glaubte, dass heute der Tag wäre, an dem Ardian entlassen werden könnte.
Der Tag, an dem er zurück kommen und sein Leben leben konnte.
Und nun würde sein Bett nie wieder benutzt werden. Kalt sein. Leer sein.Er ertrug es nicht.
Sie wollten doch noch so viel erleben.
Sie wollten doch noch so viele Dinge tun.Er ertrug es nicht.
Und alles, was er dort ließ, war sein Ordner, die Schokoladen, die Karte von Sara's Eltern und ein blöder Brief. Und damit sollte es getan sein?
Er hatte Thaddeus doch nie erzählt, dass er ihn liebte. Dass er ihn als einen Bruder ansah, als seine Familie. Er hatte Thaddeus doch nie erzählt, dass seine Eltern damals an einem Autounfall starben, an dem er sich die Schuld gab. Er hatte Thaddeus doch nie gesagt, was seine Lieblingsfarbe und was sein Lieblingsessen war. Er hatte Thaddeus doch nie gesagt, dass er sein Leben nicht nur rettete, sondern auch bereicherte.
Und er ertrug es einfach nicht.
Er ertrug nichts von dem.
Er ertrug es nicht, nicht Abschied genommen zu haben.
Nicht, dass es keine Beerdigung gab, da keine Familie existierte, zu denen er Kontakt aufnehmen könnte.
Nicht, dass ein Brief alles wieder gut machen sollte.
Ein blöder Brief.Er ertrug den innerlichen Schmerz noch weniger, als die Lücke, die sich in ihm breit machte. Die ihn in eine sofortige Depression beförderte und unbeschreiblich schmerzte. Er ertrug es nicht allein zu sein auf dieser verkorksten Welt.
Und alles, das ihm half, war der Gedanke daran, dass Ardian einschlief. Und lächelte. Und ihm war noch mehr nach weinen zumute.
"Du kannst mich nicht einfach verlassen...", murmelte er in seine Decke, als er sich am Abend schlafen legte. Er aß nichts. Er trank nichts. Er schlief nicht. Er lag still da und starrte aus dem Fenster, dessen Jalousien er extra oben gelassen hatte, um die Sterne von draußen sehen zu können. Doch er sah sie nicht.
"Du kannst mich nicht einfach verlassen.", sagte er zwei Tage darauf, als er wusste, dass er nun nichts mehr mit dem Leichnam zutun hatte, da Ardian nicht erwartete, zu sterben. Er hatte Thaddeus doch ein Versprechen gegeben.
Und Thaddeus aß auch die folgenden Tage nichts und er schlief nicht. Er trank nicht. Er lebte nicht. Er wollte nicht atmen, wollte nicht leben, da es sich wie Verrat anfühlte. Und er dachte immer wieder an den Brief. Und er wollte ihn nicht öffnen, doch am Ende, als eine Woche um und er ausgelaugt war, konnte er nicht anders, da es sich immer weiter nach sterben anfühlte, so zu leben, wie er.
Also öffnete er den Brief, den er unter seinem Kopfkissen aufbewahrte und nie öffnete. Und das Papier war weiß und ohne Linien oder Kacheln. Die Schrift war eindeutig Ardian's. Und die ersten Worte brachten ihn zu der Entscheidung, dass er es nicht konnte. Er konnte ihn nicht lesen und wissen, dass das Leben danach weiterging. Er konnte es nicht. Es war unmöglich.
Und Thaddeus lief ins Badezimmer, sah in den Spiegel und blickte in das Gesicht einer Person, die er nicht kannte und nicht kennen wollte. Sein zerstörtes Ich. Ignorierte sich selber und griff nach der Packung mit den vielen Pillen, von denen er zu viele nahm und sie mit bloßem Leitungswasser runterspülte. Er wollte sterben.
Es war so deprimierend, dass er sich verrückt machte.
Doch wenn er schon starb, dann wollte er in seinen letzten Minuten immer wieder Ardian's Brief gelesen und an ihn gedacht haben. An den Grund, weshalb sein Leben erst richtig begonnen hatte, und auch richtig aufhören sollte.
Also las er.
»Lieber Taddl, oder nur...Taddl,
Ich würde dir keinen Brief schreiben, wäre ich nicht total verzweifelt und kaputt. Und das bin ich, wirklich. Ich bin am Ende angelangt und ich kann mich nicht genug für alles entschuldigen. Für meine leeren Versprechen und für die fehlende Hoffnung. Für meinen Egosimus und meine Dickköpfigkeit. Alles tut mir leid. Ich meine es ernst.
Ich habe jede Nacht zu meiner Bettnachbarin, Marie-Anne, gesagt, dass ich sterben werde, als sie mir sagte, ich solle an dir festhalten. Ich wusste nicht, wie ich an etwas festhalten soll, was ich verlieren werde. Also baue ich dir einen Anker. Und dieser Anker bin nicht ich, nicht dieser Brief und diesen Anker findest du auch nicht dort draußen, mein Freund. Der Anker, der bist du. Denn nur du kannst dich aus allem hinaus ziehen. Du kannst dich kontrollieren, über dein Leben bestimmen. Und ich will, dass du das machst, Taddl. Ich will, dass du dein Leben lebst! Dass du mich vergisst, wenn es dir gut geht, und an mich denkst, wenn es dir schlecht geht. Ich bin kein guter Mensch, das war ich nie, aber ich kann ein guter Freund sein. Ich kann ein guter Geist sein. Ich kann etwas besseres sein. Und als du zuletzt bei mir warst und ich dir ein Versprechen gegeben habe, da wusste ich bereits, dass es bald vorbei ist. Und dass das alles eine große Lüge ist, in der ich versinke. Ich wusste, dass ich dich zerstöre und dass du brichst. Ich habe dich gebrochen, das tut mir leid. Das alles tut mir leid. Ich will jedoch nicht aufhören zu schreiben und dich in einem Meer aus Schuld und Trauer zurück lassen. Ich will, dass du positiv denkst. In einer meiner letzten Nächte, als es mir ziemlich schlecht ging, da sagte ich Marie-Anne wieder, dass ich sterben werde. Und sie sagte etwas, das mich überraschte. Sie sagte: "Und das ist okay."
Ich fand es nicht okay, zu sterben. Ich wollte das nicht. Ich wollte leben. Doch ich habe gelernt, dass ich nur Frieden finden kann, wenn ich mein Schicksal akzeptiere, und das habe ich. Ich muss loslassen. Und ich werde loslassen, wenn es soweit ist. Ich kann mich nicht ewig an dich binden und du dich nicht an mich. So funktioniert das nicht. Und ich lasse los, ich lasse dich los. Denn wir alle haben unsere Leben und unser Schicksal, das wir nicht verhindern können. Wir alle sind verschieden, und doch alle gleich. Und wir alle müssen irgendwann loslassen, um uns zu befreien. Du bist ein toller Mensch, eine tolle Person, und das sollst du wissen. Ich werde immer an dich denken und ich lasse dich los. Ich passe auf dich auf. Versprochen.
-Ardy«Und dann war es vorbei.
Und die Leere siegte im Raum.
Und niemand, der ihn finden würde.
Und die Sterne strahlen hell in der Nacht.
Denn Thaddeus ließ los.
Und es befreite ihn.
Und er war sein Schicksal eigener Schmied.
Und an nichts mehr gebunden.
Denn er ließ los.
Und er befreite sich.
Und das war die Geschichte von zwei Menschen, die einander mehr brauchten, als sie dachten, aber lernten, dass selbst das Schicksal nahezu perfekte Leben auseinander reißen kann.
Und das Loslassen wurde zu der wichtigsten Aufgabe, die beide zu meistern hatten.
Und beide bestanden.

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Riverside
Fanfiction»Und alles, was sie taten, war anscheinend nichts weiter, als unten am Fluss zu sitzen und über die Probleme und Theorien dieser verkorksten Welt zu reden.« Sie waren unzufrieden mit der aktuellen Situation. Sie beide hatten den Glauben an die Mensc...