In der folgenden Woche ging es Ardian schlechter. Er bekam teilweise wenig Luft in seine Lungen und sein Körper brannte, als stünde er unter Feuer. Sein einziger Lichtblick war Sara. Sara, die ihn immer mit ihren blauen Augen ansah, wenn sie ihn denn ansah, was oft vorkam.
Sara war ein so gütiger Mensch. Sie liebte, wie Ardian sie ansah. Sie liebte, wie er lachte und sie liebte es, wenn er Witze über Krebskranke machte, obwohl er doch selbst einer war. Er sah es nicht ernst. Nicht ernst genug, um in ewigem Schweigen herumzusitzen und sich zu bemitleiden. Er wollte das nicht. Er wollte nicht krank sein, zu den Menschen gehören, die von anderen bemitleidet werden. Er wollte stark sein. Sich auch so fühlen.
"Wie lange bist du schon hier?", fragte er Sara in der Nacht. Das gesamte Krankenhaus schien zu schlafen. Man hörte nichts als Stille, hin und wieder mal einige Notaufnahmen und rennende Schwestern auf den Fluren. Beide fanden es irgendwie idyllisch.
"Ich weiß nicht, ich hab aufgehört die Tage zu zählen.", antwortete sie ihm mit leiser Stimme. Ihre Augen waren ziemlich müde, sie war müde.
"Wieso?"
"Weil es unwichtig ist, wie lange ich schon hier bin. Die Hauptsache ist, wann ich endlich raus komme."
Das brachte Ardian zum grübeln. Er fragte sich, wann er denn raus kommen würde. Obwohl er seine Antwort tief im Inneren schon besaß, glaubte er fest daran, dass er es schaffen würde. Er glaubte an sich, solange Sara an ihn glaubte. Und das tat sie. Sie glaubten an einander.
Einige Wochen später saß Ardian weinend am Fenster. Er hasste sich und die Welt so sehr, dass er niemandem auch nur vergeben könnte. Vergeben, da er sich selbst nicht vergeben konnte. Das Bett neben ihm war leer. Die Decke kalt. Die Wände so grau, wie er sie noch nie erlebt hatte. Er wünschte sich Sara zurück, um sie zu küssen. Um sie zu lieben, um es ihr zu sagen. Aber es kam nie dazu. Zu nichts davon. Sie ging zu früh fort. Ihr Herz blieb zu früh stehen und der Krebs hatte wieder einmal gewonnen. Gewonnen. Gewonnen.
Der Krebs hat gewonnen, das konnte Ardian beim besten Willen nicht mehr hören.
Er wollte an seinen Tränen ersticken. Er wollte sie nicht gehen lassen, dazu war er doch noch nicht bereit. Er wollte zu ihr. Jetzt gerade, da wollte er sterben, um bei ihr sein zu können. Ihn machte es nur noch kranker, zu sehen, dass alle so handelten, als seie Sara nie existent gewesen. Als seie sie nie eine Persönlichkeit gewesen und habe Träume gehabt. Hoffnung. Als seie sie jemals in diesem Raum gewesen, habe hier geschlafen und dieselbe Luft wie er eingeatmet.
Ihre Eltern besuchten Ardian ein Mal. Und dann nicht mehr. Dann nie wieder, denn sie kannten ihn ja kaum. Und während Ardian still schweigend vor dem viel zu großen und verdreckten Fenster mit haftenden Regentropfen darauf saß, seine Gedanken ihn umbrachten und er sich umbringen wollte, um den Schmerz nicht mehr spüren zu müssen, da er so unerträglich war, seine Lungen kollabieren wollten und er einfach aufhören wollte, zu atmen, setzte sich Thaddeus Tjarks schweigend auf die Couch in ihrer Wohnung, in der die Stille größer war, als das fehlende Stück in Ardian's Herzen.
Thaddeus besaß keinen Hunger mehr. Er erfuhr von Sara's Tod einige Stunden nachdem es geschah. Nachdem Ardian ihm erzählte, dass sie seine Hand hielt, als sie sich zu Tode quälte. Und er hatte nicht den Mumm, ihr seine Gefühle zu gestehen und sie wohlmöglich einfach glücklich zu machen. Und er hatte nicht den Mumm, um ihr zu sagen, dass sie Frieden finden und glücklich werden könnte. Dort, wo sie nun hingehen würde. In eine bessere Welt. In einen Himmel, da ihre Seele so gut war, dass sie die Hölle sogar noch überleben würde.
Also ließ Ardian seine Emotionen heraus. Er hämmerte mit seiner Faust immer wieder gegen die Fensterscheibe, sah zum Himmel hinauf und alles in ihm schrie nach ihr. Nach ihren schönen Augen und ihrem schönen Gesicht, ihrer schönen Stimme und dem Wunsch, dass wieder Luft in ihren Körper fließen und der Krebs auf ewig besiegt werden würde.
Aber das war nicht die Wahrheit.
Sie würde niemals zurück kommen.
Und sie würde sich nicht umsehen, um sicher zu gehen, dass eine Chance für ihn bestünde, da sie eben nicht zurück kommen würde.
Sie würde ihm nicht sagen, dass sie ihn vielleicht liebe und er das Beste seie, was ihr jemals passierte.
Sie würde seine inneren Schreie nicht hören und auch nicht, wie sein Herz schneller schlüge, wenn er bei ihr stünde.
Und selbst wenn sie zurück kommen würde, dann wäre die Zeit niemals genug, um auch ihn zu retten. Denn es gab keine Mittel, um ihn zu retten.
Nichtmal er selbst konnte sich retten, nicht sein bester Freund oder gar Geister.Und dann schrie Ardian laut und weinend: "Wieso, Gott, verdammt, müssen alle meine Freundinnen sterben? Bin ich so ein schlechter Mensch!?" Und er kriegte sich nicht mehr ein, weshalb er seine Stirn gegen die Kälte Fensterscheibe presste und versuchte den Schmerz des Krebs in ihm zu unterdrücken.
Aber der Schmerz verlange gespürt zu werden, und so ließ er auch Ardian leiden.
Und auch die brutale Einsamkeit verlange gespürt zu werden, und so ließ sie Thaddeus leiden.Und beiden litten und schwiegen einander an. Waren Meter von einander entfernt und sich doch so nahe, denn ihre Seelen waren verwandt und ihre Gedanken gleich. Ihre Herzen zogen sich zusammen, sobald sie den Schmerz versuchten zu verdrängen.
Sie konnten ihn nicht verdrängen, denn ihr innerlicher Schmerz verlangte eben gespürt zu werden.

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Riverside
Fanfiction»Und alles, was sie taten, war anscheinend nichts weiter, als unten am Fluss zu sitzen und über die Probleme und Theorien dieser verkorksten Welt zu reden.« Sie waren unzufrieden mit der aktuellen Situation. Sie beide hatten den Glauben an die Mensc...