Eine Woche später kam Thaddeus wieder zu dem Treffpunkt am Fluss. Ardian und er trafen sich dort mittlerweile jeden Tag. Ardian ging immer in die entgegengesetzte Richtung, die Thaddeus ging, nachdem sie sich getroffen hatten. Er wollte sein Leben wieder aufbauen und fing damit bereits an. Er besuchte das Arbeitsamt und versuchte es trotz reichlichen Fehlschlägen weiter. Er wollte nicht mehr obdachlos sein. Er wollte nicht mehr, dass Thaddeus ihm täglich Essen und Trinken vorbei brachte, seine Eltern deshalb belügen musste.
Über die häusliche Gewalt verlor Thaddeus noch kein einziges Wort. Er wartete auf den richtigen Moment, um es Ardian zu erzählen. Er redete nicht gern drüber.
Aber wer tat das schon?Thaddeus hörte nicht auf, sich zu verletzen. Er fühlte sich doch so lebendig, wenn er die Chance hatte, sich selber Schmerzen zuzufügen, anstatt jemand anderem die Möglichkeit zu geben. Er verletzte sich selber, obwohl sein Vater nicht zurücksteckte. Es war ein Wunder, dass Thaddeus es bisher geschafft hatte, seine Narben und Schnitte zu verstecken. Er würde aus dem Haus geprügelt werden.
"Hallo", sagte Thaddeus' tiefe Stimme zu Ardian, der schon eine Zeit lang auf Thaddeus wartete. Das tat Ardian oft. Warten.
"Hallo", sagte dieser ermüdet und sah Thaddeus zu, wie er sich neben Ardian ans Flussufer setzte. "Wie geht's so?"
"Beschissen", antwortete Thaddeus, und er meinte es auch so. Ihm ging es beschissen. Seine Mutter verließ sie am Morgen. Sie schrie und weinte und Thaddeus wusste, dass er dieses Szenario nie wieder aus seinem Kopf bekommen würde. "Meine Mutter hat mich und meinen Vater heute morgen verlassen. Sie ist abgehauen mit all ihren Sachen."
"Wirklich?" Ardian zog seine Augenbrauen in die Höhe und biss auf die Innenseite seiner Wange.
"Wieso sollte ich dich anlügen, huh?" Thaddeus schluckte hart und sah zum Wasser, das bitterlich kalt sein musste.
"Und wieso, DiCaprio?", fragte Ardian Thaddeus. Er verwendete gerne den Nachnamen von Leonardo, um Thaddeus anzusprechen. Er fand, Thaddeus sah dem Schauspieler ziemlich ähnlich, als er noch jung war.
Thaddeus wollte kein Wort über seine Eltern verlieren, da er nie gern über sie sprach, doch jetzt fühlte er sich überraschenderweise dazu fähig. Er vertraute Ardian. Jetzt, nachdem sie in der vergangenen Woche die Tage miteinander verbrachten. Also begann er zu erzählen.
"Sie- Mein Vater ist sehr...gewalttätig, weißt du...", stammelte er und schämte sich. Ja, er schämte sich sehr. Wie bereits erwähnt, er sprach nicht gerne von seinen Eltern. Noch weniger sprach er gerne von seinem Vater. Er hatte jegliche Liebe zu ihm verloren.
"Er schlägt deine Mutter?" Ardian's Augen weiteten sich und er musterte jede von Thaddeus' Bewegungen.
"Schlug, sie ist ja jetzt weg...", antwortete Thaddeus kleinlaut. "Und nicht nur sie.", fügte er leise hinzu. Ardian hörte es. Ardian hörte immer alles, was Thaddeus sagte. Er war ein guter Zuhörer.
"Oh mein Gott.", war alles, was Ardian sagen konnte. "Tut mir leid." Denn er wusste genau, dass er daran nichts ändern konnte.
"Ja...ich will dein Mitleid nicht, Bora." Das stimmte. Thaddeus wollte das Mitleid von keinem. Er wusste genau, wie grausam sein Leben war. Das musste er nirgends bestätigt bekommen.
"Gibt's noch etwas, das ich über dein Leben wissen sollte?", fragte Ardian interessiert, aber nicht zu aufdringlich. Er dachte, dass es Thaddeus vielleicht jetzt ganz gut täte, wenn er sich aussprach.
"Ich hasse mein Leben." Dann begann Thaddeus zu weinen. Fürchterlich zu weinen. Wie ein Wasserfall. Ardian legte bloß seinen Arm um die Schulter des weinenden Blonden. "Niemand versteht mich. Niemand nimmt Rücksicht auf mich. Meine Eltern verbieten mir alles und in der Schule bin ich der Nerd, der gute Noten schreiben muss, da er sonst Schläge bekommt. Ich bin einfach ein Außenseiter, Einzelgänger und ich fühl mich scheiße einsam. Ich bin dabei von innen zu zerbrechen.", brachte er schwer atmend zwischen seinen Schluchzern hervor. Er fühlte sich, als würde sein Brustkorb gleich explodieren und sein Herz stehen bleiben.
Thaddeus wusste nicht, dass Ardian ihn genau verstand. Er verstand Thaddeus' Gefühle besser, als er seine eigenen verstand. Doch Ardian sagte dies nicht. Er schwieg nur und ließ Thaddeus alles Wasser ausweinen.
Ardian war zu sehr in seine Gedanken versunken, um zu bemerken, wie Thaddeus die Träne wegwischte, die Ardian's Gesicht hinab lief.
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Riverside
أدب الهواة»Und alles, was sie taten, war anscheinend nichts weiter, als unten am Fluss zu sitzen und über die Probleme und Theorien dieser verkorksten Welt zu reden.« Sie waren unzufrieden mit der aktuellen Situation. Sie beide hatten den Glauben an die Mensc...