Kapitel 15

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,,Ach komm, Scarlett", sagte er dann und ehe ich etwas erwidern konnte, drehte er mich auch schon um und stand ganz dicht hinter mir. Ich konnte seinen Atem im Nacken spüren, spürte die Wärme seiner Hand, die auf meinem nackten Oberarm ruhte. Sein Geruch stieg mir unvermittelt in die Nase und ein leichter, aber dennoch angenehmer Schwindel überfiel mich.  Meine Knie drohten unter mir nachzugeben. Als wir so die Klasse betraten, waren alle Augenpaare auf uns gerichtet und starrten uns entgeistert an.

Ich fühlte mich wie ein Tier im Zoo, das Anderen zur Schau gestellt und permanent beobachtet wurde. Die Blicke meiner Mitschüler waren mir unangenehm. Sie hafteten an mir und Dean und wanderten über unsere Körper. Ich hörte, wie sich zwei Mädchen, die in der hintersten Ecke der Klasse saßen, etwas zuflüsterten. Ihren Blicken zu entnehmen, konnte ich mir denken, was sie dachten. Sie konnten ihren Augen nicht trauen. Verständlich...Warum sollte ein Junge wie Dean, mit einem Mädchen wie mir die Klasse betreten?

Kleine Staubkörnchen wurden von der Sonne aufgewirbelt und schwebten durch die Klasse. Es war stickig und ich hörte, wie mir das Blut durch die Adern rauschte. Mein Puls pochte wie wild. Ursache dafür waren nicht die ekligen Blicke meiner Mitschüler, sondern die Tatsache, dass Dean dicht hinter mir stand und seine rechte Hand auf meinem Oberarm und seine linke Hand auf meiner Taille ruhte. Meine Haut kribbelte unter seiner Berührung. Es fehlte nur noch das Summen, das in der Nähe eines Strommastes zu vernehmen war. Doch genau so fühlte ich mich. Unter Hochspannung. Die angenehme Wärme seiner Hände durchflutete meinen Körper und ließ mich augenblicklich erschaudern. Mich überfiel eine Gänsehaut. Warum löste seine Berührung sowas in mir aus? Warum ließ sein Lächeln mein Herz schneller schlagen?

Trotz der vielen gaffenden Augenpaare, die uns entgeistert entgegenblickten und der Tatsache, dass auch Mr Maxfield jetzt auf uns aufmerksam wurde, machte Dean keine Anstalten, seine Hände von mir zu nehmen. Mit auf dem Tischpult gestützten Händen, gab Mr Maxfield ein höhnisches Lachen von sich. ,,Tzz."

Ich wusste, es wäre besser, wenn Dean jetzt seine Hände von mir nehmen würde. Ich versuchte, einen Schritt nach vorne zu machen, aber es ging nicht. Verdammt, ich war nicht imstande, mich zu bewegen. Ich nahm nichts anderes mehr wahr, als seinen Körpergeruch, der mich umhüllte und in den Wahnsinn trieb. Ich war gefangen in einer Duftwolke aus der ich nicht mehr entkommen konnte.

,,Dean", versuchte ich zu sagen, aber es ging nicht. Er zog mich so sehr in seinen Bann, dass ich nicht in der Lage war, mich von ihm zu lösen. Was in Gottes Namen war nur los mit mir?

Mr Maxield erhob sich vom Pult, machte ein, zwei Schritte auf uns zu, stellte sich breitbeinig hin und ließ das Stück Kreide, das er in der Hand hielt, von der einen Hand zur anderen wandern und immer so weiter. ,,So, so", hörte ich ihn sagen und schaffte es in dem Moment, mich von Dean zu lösen und einen großen Schritt nach rechts zu machen, sodass er nicht mehr dicht hinter mir, sondern neben mir stand. Augenblicklich steckte er seine Hände in die Hosentaschen.

,,Ich..." Mr Maxfield räusperte sich. ,,Brauche nicht auf die Uhr zu gucken, um euch zu sagen, dass ihr fast eine ganze Stunde zu spät seid."

Ich versuchte den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken, aber meine Kehle war wie zugeschnürt.

,,Es, es tut uns leid..", brachte ich irgendwie hervor und in dem Moment spürte ich wieder dieses Kribbeln an meiner Haut. Dean muss wieder näher an mich herangerückt sein, denn unsere Arme berührten sich jetzt.

,,Habe ich um eine Entschuldigung gebeten?" Mr Maxfield legte seine Stirn in Falten. ,,Die Antwort lautet nein," sagte er dann und rollte dabei mit den Augen. Hilfesuchend schaute ich zu Dean herüber. Als sich unsere Blicke trafen, lächelte er mich an. Das war mehr als unerwartet. Während ich mit pochendem Herzen angsterfüllt auf die Abreibung wartete, die uns Mr Maxfield gleich verpassen würde, stand er einfach nur locker da und lächelte mich an. Wie konnte ein Mensch nur so gelassen sein?

Oh Gott, hatte Mr Maxfield gerade tatsächlich ein Knurren von sich gegeben, oder war das nur Einbildung gewesen? Dean muss meinen schockierten Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn so wie er mich jetzt ansah, wollte er mir definitiv zu verstehen geben, dass alles in bester Ordnung war.

Mr Maxfield bewegte sich wieder auf den Pult zu und zückte einen Bleistift. Er las das, was er niederschrieb laut vor.

,,Zwei Schulstunden nachsitzen...plus...Reinigungsdienst in...der Kantine." Er riss die gelben Post-Its vom Block und lächelte uns vergnügt an.

,,So, damit könnt ihr jetzt schön ins Sekretariat gehen."

Das wars? Ich atmete erleichtert auf. Zum Glück mussten wir keine Einzelersatzleistung vorbereiten oder ein Referat halten, wie er es normalerweise den Schülern verordnete. Ich schaffte es gerade noch, diesen Gedanken zu Ende zu bringen, ehe er die gelben Zettelchen langsam zusammenknüllte und in den Papierkorb warf.

Nein!

,,Nun ja." Er verengte seine Augen zu Schlitzen. ,,Mir ist soeben was viel besseres eingefallen." Unser Lehrer nickte mehrmals hintereinander. ,,Man, bin ich gut. Ich bin wirklich richtig gut..", sagte er und auf seinem Gesicht machte sich ein stolzer Gesichtsausdruck breit. Dean sah mich von der Seite an. Eine seiner Augenbrauen war dabei leicht gehoben. Vermutlich fragte er sich auch, was uns beide jetzt wohl erwarten würde.

,,Was gibt es Schöneres als Einzelersatzleistungen neben den vielen Prüfungen, Referaten und Hausaufgaben, die ihr im Endsemester ohnehin schon habt? Wobei ich natürlich nicht von einer Ersatzleistung spreche, sondern wohl eher von einer Zusatzleistung." Langsam strich er sich mit der Hand übers Kinn. ,,Das wird euch gefallen. Passt auf. Wenn ihr schon gemeinsam zu spät gekommen seid, dann sollt ihr auch lernen, im Team zu arbeiten, verstanden? Ihr beide werdet gemeinsam einen Aufsatz über die Meiose, in anderen Worten über die Bildung haploider Zellen schreiben. Okay, im Grunde genommen ist es wie eine wissenschaftliche Arbeit und nicht wie ein Aufsatz, da ich mindestens zwanzig Seiten von euch erwarte. Times New Roman, Schriftgröße zwölf. So, wie es die Vorschriften verlangen. Alles klar?" 

Alles klar? Alles klar? Verdammt, nichts war klar...

Ich hatte schon jetzt Schwierigkeiten mit der Zeiteinteilung gehabt. Wie in aller Welt sollte ich gleichzeitig für die bevorstehenden Prüfungen lernen und eine zwanzigseitige wissenschaftliche Arbeit zu dem Thema Meiose verfassen? Es war unmöglich, beides in diesem stressigen Semester unter einen Hut zu bringen. Auch wenn es nahezu unmöglich war, musste ich versuchen, Mr Maxfield umzustimmen.

Ich wollte gerade etwas sagen, Mr Maxfield bitten, uns zu verschonen, aber Dean kam mir zuvor. ,,Das dürfte kein Problem sein."

The mysterious oneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt