Kapitel 23

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Mein Magen grummelte. Jetzt konnte ich wirklich was zu Essen gebrauchen. Nachdem ich ein zweites Mal ins Wasser geworfen wurde und eine volle Ladung Wasser ins Gesicht gespritzt bekommen habe, bin ich hilferufend aus dem Wasser bis zu den Handtüchern gerannt, dicht gefolgt von Dean, der sich dann spielerisch auf mich gestürzt hat, was dann aber in einem langen, sinnlichen Kuss endete.

,,Wir sollten langsam wirklich was essen gehen. Was meinst du?" Er sah mir von oben in die Augen.

,,Den Vorschlag find ich gut." Meine Aussage wurde mit einem lauten Grummeln von meinem Magen quittiert.

,,Okay..." Er hauchte mir noch einen zarten Kuss auf die Nasenspitze, ehe er sich von mir erhob und sich aufrichtete. Als er gerade dabei war, mir seine Hand zu reichen, um mir aufzuhelfen, hörte ich plötzlich ein lautes Vibrieren.

 Er zog seine Hand zurück und griff stattdessen nach seiner Hose, die sich neben den Handtüchern im Sand befand. Kurzerhand später holte er sein Handy hervor, starrte kurz auf das Display und sah mich dann an. 

,,Da sollte ich rangehen."

Ich nickte nur und sah wie Dean einige Schritte von mir wegtrat und der Abstand zwischen uns größer wurde. Seine Miene war ausdruckslos und bevor er das Telefonat beendete, gab er nur ein stummes Nicken von sich. Kein ,Tschüss' und auch kein ,Auf Wiedersehen'.  Seltsam.

Und dann beobachtete ich etwas, was mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Seine Miene verfinsterte sich. Ich war bereits aufgestanden und ging auf ihn zu. Je näher ich ihm kam, desto besser konnte ich seinen Gesichtsausdruck erkennen. Sein Gesicht wurde nicht mehr von nach oben gerichteten Mundwinkeln und freundlichen Augen geschmückt, nein. Seine Augen waren dunkel und hatten urplötzlich etwas Düsteres an sich.

,,Was ist los?" fragte ich verblüfft und beobachtete, wie sich seine Kiefermuskeln anspannten. 

,,Scarlett, ich bring dich nach Hause."

,,Aber, was ist mit dem Essen? Wir wollten doch noch was essen gehen." 

,,Nein", knurrte er, zog dabei seine Augenbrauen zusammen und raufte sich daraufhin durch die Haare. Er wirkte sehr sehr angespannt.

,,Aber..." versuchte ich einzuwenden. 

,,Kein aber," sagte er jetzt etwas lauter und mit einem scharfen Unterton, woraufhin ich zusammenzuckte. ,,Ich bring dich jetzt nach Hause." Er sah mich mit ernster Miene an und griff dann zu meinem Kleid, welches er mir kurzerhand später zuwarf. Im Anschluss griff er nach seinen eigenen Klamotten. 

Nachdem er sich sein T-Shirt über den Kopf gestreift hatte, hob er die Gepäckrolle vom Boden auf und ging davon. Auf halbem Wege drehte er sich wieder zu mir um. ,,Ich warte oben beim Motorrad auf dich."

,,Aber...was ist mit den Handtüchern?" Doch anstatt mir zu antworten, drehte er sich wieder um und setzte seinen Weg fort. 

Wenn ich den Tag vorhin noch als perfekt bezeichnet habe, dann war er jetzt ruiniert. Ich verstand nicht, was mit ihm los war und warum er auf einmal so einen Stimmungsumschwung hatte. Sicherlich hatte es etwas mit dem Telefongespräch auf sich. 

Plötzlich musste ich an die Worte denken, die er von sich gegeben hat, als er sich der Klasse vorgestellt hatte. ,,Ich bin Dean Harper und mehr braucht ihr über mich nicht zu wissen." Ich stellte mir wieder dieselben Fragen. Immer wieder und wieder. Wer war Dean Harper überhaupt und was hatte ihn hierher nach New Jersey verschlagen? 

Wie aus dem nichts überfiel mich ein erschreckender Gedanke. Was, wenn er in Wirklichkeit ein Psychopath war, der sich nur hinter einer Fassade versteckte? Auf einmal überkam mich ein mulmiges Gefühl. Wir waren an einem verlassenen Ort, von dem ich nicht alleine wegkommen konnte. Wer weiß, was er noch mit mir vorgehabt hätte. Ich musste schlucken. Nein! So durfte ich nicht denken. Auch wenn ich nur sehr wenig von ihm wusste, konnte ich ihm vertrauen. Das konnte ich doch, oder?

Ich griff nach den Handtüchern und machte mich dann ebenfalls auf dem Weg zum Motorrad. Vom weiten sah ich wie Dean an seinem Motorrad lehnte, den Kopf nach unten gerichtet, die Hände in den Haaren. Ich trat langsam näher, doch blieb stehen, als ich sah, dass seine Fingerknochen weiß hervortraten. 

Plötzlich richtete er seinen Blick auf und sah mir direkt in die Augen. Für einen kurzen Moment nahm ich an, Trauer in seinen Augen erkennen zu können. Nur für einen Bruchteil der Sekunde. Ich trat einen Schritt näher und reichte ihm die Handtücher, die er stumm entgegennahm und in der Gepäckrolle verstaute. Ich wollte ihn fragen, was los war, wollte wissen, warum er sich auf einmal so anders verhielt.

,,Was ist denn los? Eben war doch noch alles schön und gut", sagte ich vorsichtig. Als ich meine Hand auf seinen Unterarm legte, zuckte er zusammen und drehte sich zu mir um.
,,Scarlett...stell mir jetzt bitte keine Fragen", sagte er ernst. Durch das zu viele Haareraufen waren seine Haare nicht mehr ordentlich nach oben gestylt, sondern standen in alle Richtungen ab. Ich sollte ihm keine Fragen stellen? Verdammt, warum sagte er mir nicht einfach, was los war? Was konnte daran nur so schwer sein? Ich wusste nicht, in welchem Gemütszustand ich mich gerade befand. Ich war sowohl traurig, enttäuscht, verblüfft als auch sauer. Ja, ich war sauer. Sehr sauer! Wie konnte er es wagen, seine Stimme gegen mich zu erheben?

,,Na, wenn das so ist, gehe ich eben alleine nach Hause. Ich bin nicht auf dich angewiesen." Mit diesen Worten drehte ich mich um und stapfte wütend davon. 

Als ich die Straße erreichte, wusste ich nicht, wohin mit mir. Wo waren wir überhaupt? Und wie hieß dieser Ort, um Himmels Willen? Ich drehte mich in alle Richtungen und nahm dann einfach die Straße, die bergauf nach links führte.

Als ich nach einiger Zeit Schritte hinter mir hörte, beschleunigte ich das Tempo. 

,,Scarlett..." Ich wagte es nicht, mich umzudrehen. 

Es war inzwischen dämmrig und ich wusste nicht wohin mit mir. Wo war ich, verdammt? Auf einmal bekam ich Kopfschmerzen. Der Kloß in meinem Hals wurde immer dicker und dicker und ich kämpfte gegen die Tränen an. So sehr ich es auch versuchte, es ging nicht. Nach und nach lösten sich immer mehr Tränen aus meinen Augenwinkeln. 

,,Scarlett, red' keinen Unsinn. Du kannst hier nicht alleine weg," hörte ich Dean hinter mir rufen. Jetzt drehte ich mich doch um und sah, wie er mehrere Meter von mir entfernt  auf der  Mitte der Straße stand. Die Beine schulterbreit, die Arme neben seinem Körper. Er gestikulierte mit den Armen, wollte gerade etwas sagen, doch ich drehte mich wieder um und setzte schnellenschrittes meinen Weg fort.

Hier endete die Straße. Ich war umgeben von Wildwuchs. In den Wald wollte ich nicht, so waghalsig war ich nun auch wieder nicht. Da ich mich in einer Sackgasse befand, blieb mir nichts anderes übrig als stehenzubleiben. 

Plötzlich spürte ich etwas Warmes auf meinem Oberarm, woraufhin ich meine Augen schloss. Er stand hinter mir, ein wenig aus der Puste. Woher ich das wusste? Sein Atem ging schnell und unregelmäßig.

,,Scarlett, was machst du denn da?" Er klang besorgt.

Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und drehte mich zu ihm um. ,,Was ich hier mache?" schrie ich ihn an. ,,Du hast unser Date ruiniert! Du! Wer bist du eigentlich, Dean Harper? Ich weiß gar nichts über dich...Wer bist du?" schrie ich wieder. Dieses Mal etwas lauter. 

,,Hey.." versuchte er mich zu besänftigen. ,,Das ist jetzt der falsche Zeitpunkt dafür. Ich-"

,,Der falsche Zeitpunkt? Vielleicht hättest du mir erstmal verraten sollen, wer du bist, bevor du mich hierher gebracht hast, um mich...um mich rumzukriegen." Ich spuckte das Wort rumzukriegen regelrecht aus.  ,,Und ich...ich bin drauf reingefallen...pah." Ich fing an, mich selbst zu bemitleiden. Erneut kullerten mir Tränen über die Wange.

,,Scarlett bitte...Ich wollte dich doch nicht nur rumkrieg-"

,,Wo sind wir, Dean Harper?", unterbrach ich ihn wutentbrannt. Ich hörte meinen eigenen Puls. So aufgebracht war ich. 

,,Scarlett, ich sollte dich jetzt wirklich nach Hause bringen."

Mag sein, dass ich übertrieben habe. Mag sein, dass ich ihn nicht aussprechen lassen hab, aber in meiner lauten Verzweiflung wusste ich nicht, was ich tun sollte. Also gab ich nach und ließ mich von ihm zum Motorrad führen.

The mysterious oneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt