Kapitel 11

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Ich öffnete die Augen und blickte sogleich auf meine nackten Füße herab. Wie immer trug ich roten Nagellack und wackelte mit den Zehen. Es war kalt und ich schlang die Arme um meinen Körper, wobei ich merkte dass ich nur mit einem luftigen Kleid bekleidet war. Es reichte bis zu meinen Füßen und nur wenn ich lief, lugten meine Zehen hervor. Dieser Traum oder was auch immer es ist, wo ich mich gerade befand, war fast so wie das letzte Mal, doch irgendwas war anders. Alles um mich rum war weiß, das einzig farbige war der rote Nagellack auf meinen Zehen. Ich begann zu laufen, mich fort zu bewegen um diesen seltsamen Ort zu erkunden. Sofort spürte ich, warum alles so weiß und hell war. Es lag Schnee. Dieser knirschte bei jedem Schritt den ich tat und es erinnerte mich an meine Kindheit, als ich noch klein war. Immer wenn es Winter wurde, saß ich wie gebannt vor dem Fenster und wartete darauf, dass es zu schneien begann. Ich konnte Stundenlang da sitzen und hinaus schauen und warten. Mein Vater kam irgendwann dazu, brachte mir eine heiße Schokolade und eine Decke, und dann saßen wir zusammen vor dem Fenster. Er erzählte immer Geschichten und ich hörte gebannt zu, während ich verträumt aus dem Fenster schaute und seine Worte, vor meinem Auge Gestalt annahmen. Diese Erinnerung werde ich immer mit dem Schnee verbinden, denn es war immer ein schönes Erlebnis. Ich lief immer weiter und sah in mitten dieser Welt eine Bank und neben ihr war ein großer mächtiger Baum, dessen bunte Blätter im Kontrast zu der weißen Landschaft standen. Dieses Bild was sich mit bot, weckte eine wärme in mir, die ich schon lange nicht mehr zu spüren vermocht habe. Ich ging auf die Bank zu und setzte mich, schlug ein Bein über das andere und lehnte mich zurück. Für einen kurzen Augenblick schloss ich die Augen und eine wundersame Melodie erklang in meinen Ohren. Ich lauschte der Zauberhaften Melodie und träumte vor mir her, alles erschien so unwirklich und doch fühlte ich diese wärme. Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich wie neben mir auf der Bank ein Blumenkübel stand, in diesem aber nur Erde war. Und wieder spielte die wundersame Melodie und was dann geschah war wirklich verblüffend. Während die Musik spielte begann ein grüner Stängel aus dem Kübel zu wachsen. Er wurde immer größer und wuchs zu einem Baum heran, an dem sich wie aus Zauberhand kleine orangene Kugeln bildeten. Sie sahen aus wie kleine Orangen. Die Melodie verstummte und ein Bäumchen stand neben mir. Ich zupfte einer dieser kleinen Kügelchen ab und tatsächlich, es waren kleine Orangen. Ein sanftes lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus und ich blickte mich um. „Chris?", rief ich, doch kein Ton kam aus meinem Mund raus. „Christian?" ich schrie wie aus Leibeskräften, doch ich konnte meine Stimme nicht hören, sie halte nur in meinem Kopf wieder. Panisch blickte ich mich um und die Welt in der ich mich befand, begann zu verfallen. Ja, sie löste sich regelrecht auf und wieder ertönte diese Zauberhafte Melodie. Alles um mich herum zerfiel in tausend Einzelteile und es begann sich zu drehen. Ich nahm das Bäumchen, doch es wollte sich nicht anheben lassen, es war so schwer als würde es Tonnen wiegen. Zu der Melodie mischte sich ein grässlichen Piepen. Und ich merkte, wie ich immer schwächer wurde. Ich wollte dieses Bäumchen unbedingt mitnehmen, wo auch immer ich hinkommen würde, doch ich schaffte es nicht. Es fühlte sich an als würde sich mein Körper auflösen. Das Piepen wurde immer lauter und lauter. Ich schloss meine Augen, da ich dieses Geräusch nicht ertragenen konnte. Doch das piepen hörte nicht auf, es nahm einen stetigen Rhythmus an und als ich meine Augen öffnete sah ich wo ich mich befand.

Ich blinzelte ein paar Mal, dann bemerkte ich wer neben mir am Bett saß. Es war Liz. Sie hielt meine Hand und hatte Tränen in den Augen. Ich wollte etwas sagen, doch mein Hals fühlte sich trocken und kratzig an. „Nicht sprechen, es kommt gleich eine Schwester", entgegen Liz mir. Ich nickte nur kurz und blickte zu ihr. Wie lange habe ich geschlafen? Was war eigentlich passiert, ich konnte mich nur noch daran erinnern das Chris und Andreas eine Vorstellung in unserer Uni gaben und dann wurde alles schwarz. Ich versuchte mich daran zu erinnern was dann passierte, doch es wollte mir nicht gelingen, es fehlte einfach ein Stück. Kurze Zeit später kam auch schon eine Schwester ins Zimmer. Sie hielt ein Tablett in der Hand und kam damit zu meinem Bett. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich auf der Intensivstation lag. „Hier, damit wird es ihnen gleich etwas besser gehen." Sie reichte mir zwei Tabletten; die eine war klein, rund und violett, die andere etwas größer, oval und orangefarben. Ich nahm erst die eine und dann die andere, in der Hoffnung dass sie dieses Benommenheitsgefühl, was ich in mir spürte, vertreiben würden. Die Schwester stellte mir noch ein Glas Wasser auf den Nachttisch und verließ dann wieder das Zimmer. Ich nahm das Glas und trank ein paar Schlucke, während ich wieder zu Liz blickte. Anscheinend konnte sie meine Gedanken lesen, denn so gleich fing sie an zu reden. „Du möchtest bestimmt wissen was Passiert ist oder?", ich nickte, noch immer fühlte sich mein Hals etwas zu trocken an, doch würde ich sicher bald wieder sprechen können. „Nun, du hattest ein Gespräch mit Chris vor der Tür, man konnte noch hören wie du ihn zur Schnecke gemacht hast, was er denn ‚So dumm im Weg rum stehen würde'. Nachdem ich auf die Toilette wollte, hab ich ihn draußen vor der Tür getroffen. Du bist grade davon gesaust, der arme wusste gar nicht was er machen sollte und dann haben wir schon einen Schrei gehört...", sie machte eine Pause, blickte an die Wand und dann wieder zu mir. „Ich bin so schnell wie es ging los gerannt, da ich genau wusste, wo der Schrei her kam. Und dann haben wir dich da auf den Boden liegen sehen, alles voller Blut. Es war schrecklich." Liz Stimme brach und ihr liefen Tränen über die Wange. Ich hätte sie liebend gern umarmt, doch hing ich an tausend Geräten. So hob ich sacht meine Hand und legte sie auf ihre, welche sich auf der Bettkante befand und lies sie auf ihr ruhen. Mit der anderen wischte sie sich die Tränen weg und Sprach weiter. „Dann kam auch schon Chris um die Ecke, er verband dir dein Handgelenk. Vorher hat er noch den Krankenwagen gerufen. Später nahm er dich auf die Arme und wir sind so schnell wie es ging Richtung Ausgang. Kurze Zeit später kamen auch schon die Sanitäter und haben dich in den Krankenwagen geschoben. Glücklicherweise durften wir beide mit kommen." Bei dem Wort ‚beide' wurde ich stutzig. Es saß nur Liz an meinem Bett. „Wie lange war ich nicht bei Bewusst sein?", ich brachte die Frage nur sehr mühsam heraus und meine Stimme klang schrecklich heiser und kratzig. „Du warst ganze 10 Tage nicht bei Bewusstsein. Es tut mir so leid." Liz senkte den Blick. Was tat ihr leid? Jetzt wusste ich gar nichts mehr, alles in meinem Kopf überschlug sich. Wie begann dieses schreckliche Piepen und Liz schaute auf, erst zu mir dann zu den Monitoren die überall waren. „Julie, du musst dich beruhigen. Alles wird gut. Ich verspreche es dir." Ich atmete ein paar Mal tief durch und auch das piepen, wandelte sich in einen normalen Rhythmus. „Erzähl mir was los ist, bitte.", wieder war meine Stimme mehr ein kratzen als alles andere. Sie musste ein paar Mal Luft holen eh sie zu sprechen begann. „Du hast mir doch die Karte für die Show, hier in der Stadthalle gegeben. Zu der wir Beide gehen wollten. Nun, die war schon. Sie sind weiter gefahren, Sie mussten weiter. Sie sind schon seit letztem Freitag nicht mehr in der Stadt. Chris war jeden Tag hier und er lässt dir jeden Tag rote Rosen schicken." Mein Blick fiel auf meinen Nachttisch, wo eine Vasen mit Roten Rosen auf Stand. Es versetzte mit einem Stich im Herzen. „War das alles?", fragte ich und blickte sie an. Ich konnte in ihren Augen sehen, dass sie noch was auf dem Herzen hatte, doch nicht genau wusste wie sie es mir sagen sollte. „Bitte rede mit mir, du hast noch was. Das sehe ich dir an. Es wird schon nicht so schlimm sein, oder?", wieder krächzte ich und Liz sah mich an. In ihrem Blick sah ich so was wie Angst. Doch wusste ich nicht, warum sie Angst haben sollte. „Ich hab doch erwähnt dass sie Show schon war, richtig?", mit einem stummen Kopfnicken bejahte ich ihre Frage. „Nun...ich bin ohne dich hin gegangen." Ich traute meinen Ohren kaum, als ich hörte was sie mir da erzählte. „Ich hatte so schon ein schlechtes Gewissen, da du ja die Karten von den beiden bekommen hattest und nun ging ich ohne dich dahin." Wieder konnte ich an ihrer Stimme erkennen dass es noch nicht alles war, was sie mir zu beichten hatte. Ich sagte nichts und wartete darauf dass sie weiter sprach. „Nach der Show...bin ich noch Backstage gegangen und die Jungs und ich haben noch eine Weile gequatscht. Doch ich konnte Chris ansehen, dass er mit seinen Gedanken woanders war." Mir wurde anders, ein komisches Gefühl machte sich in mir breit. Als wäre ich von meiner besten Freundin betrogen worden. Es schmerzte sehr, doch wandelte sich der Schmerz in eine Grenzenlos Wut um. Ich wollte dass sie ging. Ich ertrug es keine Sekunde länger sie zu sehen. „Raus!! Verschwinde!", brüllte ich, soweit es mir meine Stimme zu ließ. Liz schaute mich verstört an und saß wie angewurzelt auf dem Stuhl. Die Maschinen an denen ich angeschlossen war, begannen wieder wie wild zu Piepen. „Ich hab gesagt du sollst gehen! Sofort", Liz stand auf und versuchte ihre Tasche zu schnappen, wobei sie mich noch einmal anblickte. Ich sah dass sie den Tränen nahe war, doch empfand ich kein Mitleid. Ich nahm die Vase mit den Roten Rosen vom Nachttisch und schmiss sie ihr hinter her. „Geh!", nach diesen Worten verließ sie Fluchtartig das Zimmer. Mir kamen die Tränen. Tränen der Trauer und der Wut. Traurig darüber, dass ich ihn nicht noch mal sehen konnte und Gott weiß, wann wir uns wieder sehen würden. Und Wütend, das meine beste Freundin, ohne mich zur Show gegangen war. Ohne mich hätte sie die Karten niemals bekommen. Ich drehte mein Kopf in das Kissen und weinte bitterliche Tränen. Ich wollte all dies nicht mehr. Nicht mehr fühlen was ich fühlte, wollte einfach weg. Ich setze mich auf und ließ meine Beine über der Bettkante baumeln. Mein Blick war starr aus dem Fenster gerichtet und ich überlegte, wie weit oben wohl mein Zimmer wäre. Ich riss mir alle Schläuche, Kabel und den Venenkatheter ab und ging Richtung Fenster, welche ich öffnete. Ich blickte noch einmal zurück, wobei mir etwas Silbernes auf dem Nachttisch auffiel. Völlig perplex ging ich zurück, setzte mich auf mein Bett und nahm das Silberne Ding in die Hand. Es war ein Amulett. Es war Oval und der Deckel war filigran gearbeitet mit einem Muster. Ich drehte es etwas in der Hand und fragte mich wo das wohl herkommen mag. Als ich merkte, dass es einen Verschluss hatte, öffnete ich es und was zum Vorschein kam war das schönste was ich in letzter Zeit erfahre durfte. Innen befand sich ein Bild, worauf Chris mit einer Roten Rose abgebildet war. Mir lief eine Träne über die Wange, welche ich mir wegwischte. Neben dem Bild befand sich noch ein kleiner Zettel in dem Amulett. Ich nahm diesen heraus, entfaltet ihn und las was drauf stand:

„Damit du mich nicht Vergisst. Wir werden uns Bald wiedersehen, das Verspreche ich. Chris"

Auf der Rückseite war eine Handynummer und eine Adresse. Ein Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus und ich hoffe, dass er auch Zeit finden würde mir zu antworten.

"Only Just A Dream?"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt