13. Kapitel

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Die Gänge der Universität waren brechend voll und so dauerte es viel länger bis sie das Gebäude der Novizenquatiere erreicht hatten. Schüler, Lehrer und Bedienstete wuselten durch die Korridore, so dass Jaromir und Rosalyn scheinbar in dem Meer aus weiten Umhängen und Roben unterzugehen schienen. Auf der gewaltigen Eingangstreppe hätten sie sich beinahe komplett aus den Augen verloren. Wie doof, dass ich garnicht weiß in welchem Zimmer er wohnt... fiel ihr schlagartig auf. Sein Zimmer war auf dem gleichen Trakt wie ihres, aber irgendwo weiter hinten, bei dem anderen Ende des Flures, oder?  Schnell schloss sie wieder zu ihm auf. Dabei griff sie, ganz unbewusst nach seiner Hand und umklammerte seine schmalen Finger.
Jaromir drehte sich während dem Laufen zu ihr um und zog erstaunt eine Augenbraue hoch. Voller Schock über ihre eigene Reaktion, ließ Rosalyn die Hand wieder los, als wäre diese plötzlich brennend heiß. Seinem durchdringenden Blick wich sie aus. Und keinen Augenblick später spürte sie, wie ihr Gesicht ganz heiß wurde, als sie rot anlief.
Jaromirs Reaktion überraschte sie allerdings noch mehr. Entschlossen griff er wieder nach ihrer Hand und bahnte sich weiter einen Weg durch die Massen. Sein Gesicht konnte sie nicht sehen, doch glaubte sie durch die umringenden Geräusche der anderen sein leises melodisches Lachen zu hören.

Erst auf ihrem Trakt angekommen ließ er sie wieder los. Nur wenige Schüler liefen an ihnen vorbei und er führte Rosalyn bis zu einem Zimmer in der entlegensten Ecke des Flures. Galant öffnete er ihr die Tür und ließ sie eintreten.
Neugierig sah sie sich darin um und stellte fest, dass es genau so, wie ihres eingerichtet war. Anders als ihr eigenes Zimmer wies es allerdings mit dem Fenster dierekt nach Westen und man sah erstanulich gut die schmalen Wege der Gartenanlagen. Mitten aus ihnen heraus stiegen die gewaltigen Mauern der Arena. Auf sie fielen die Sonnenstrahlen wie flüssiges Gold durch die Wolkendecke herab. Langsam trat Rosalyn an das Fenster.
"Wie schön deine Aussicht ist..." Ihr Blick schweifte bis zur bewaldeten Grenze des Gildegeländes.
Jaromir trat neben sie und folgte ihren Augen. "Hast du Heimweh? Also vermisst du dein altes Leben?" Er selbst blickte weit in die Ferne, zu den hohen Hausdächern der Stadt.
Sie seufzte und blickte ihn dann an. "Meine Familie fehlt mir etwas, ja. Aber ich bin ebenso froh nun hier zu sein. Und wäre ich wieder bei ihnen würde ich all das hier vermissen."
Auf seinem Gesicht breitete sich ein schmales Lächeln aus. "Mir geht es genau so." Mit einem Schulterzucken ging er zu seinem Schreibtisch und blätterte durch einige Unterlagen. "Eigentlich sind wir ja aus einem Grund hier."
Während er noch suchte schaute Rosalyn sich weiter im Zimmer um. Es war ordentlich und aufgeräumt. Nur Bücher lagen im ganzen Zimmer verteilt - auf dem Bett, dem Schreibtisch, der kleinen Kommode und sogar auf der Fensterbank. Sie sah, dass er scheinbar den richtigen Ordner gefunden hatte, in dem er jetzt blätterte, und nahm eines der Bücher in die Hand. Es war leicht und der dunkle Einband war mit dünnen Goldlettern beschriftet. "11 Jahre im Fernen Westen - Reisen durch die Wüsten und Steppen der weiten Länder" stand da geschriben. Neugierig schlug sie das erste Kapitel auf.
Sie überflog eine faszinierende Einleitung in die Geschichte eines Jungens der mit seiner Schwester aus dem Heimatdorf fliehen muss. Sie blätterte weiter. Offenbar machen die zwei eine große Odysee, bis sie endlich Amimitu erreichten, ein Land weit im Westen von Kyralia gelegen. Rosalyn las von ockerfarbenen Sanddünen, die als gewaltige, weiche Wellen bis zum Horrizont reichen. Eine smaragdfarbene Eidechse krabbelte unter einem flachen Stein hervor und war blitzschnell wieder darunter verschwunden. Und zwar nicht ohne Grund. Keinen Augenblick später drückten sich die Hufe eines Dromedars sanft in den Sand. Gemächlich schaukelnd, wie ein Viermaster bei sachtem Wellengang, ging er an dem Stein vorbei, weiter seinens Weges.
"Ein bezauberndes Buch. Ich leihe es dir gerne aus, wenn du magst...", riss Jaromir sie zurück in die reale Welt. "Man versinkt darin nur all zu leicht und kann der Wirklichkeit entfliehen." Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht, als er über ihre Schulter auf die öffenen Seiten blickte. "Sie kommen in ein so fremdes Land und lernen die Menschen und deren Kulturen dort kennen. Und nebenbei noch die wahnsinnige Natur, mit Wüsten und später diese Hochebene..."
Nun wo sie wieder mit Sinn und Verstand in der Gilde angelangt war, schien er für einen kurzen Augenblick selbst darin zu verschwinden.
"Es tut mir wirklich leid, aber ich habe nicht so viel Zeit zum Lesen übrig. Vielleicht kann ich es ja irgendwann mal, zwischen den Semestern lesen." In ihrem alten Leben hatte sie überhaupt nicht die Gelegenheiten gehabt zum Vergnügen ein Buch zu lesen. Die meisten Bücher die ihre Familie besaßen, waren Finanzprotokolle ihres Vaters über die vielen Jahre seines Unternehmens.
"Aber du scheinst ja richtig versessen in Romane zu sein."
Er sah sich selbst im Zimmer um. "Das ist wohl nicht zu übersehen, oder?"
Lachend schüttelte Rosalyn ihren Kopf.
"Dafür habe ich jetzt aber die Notizen für dich!" Er reichte ihr das Pergament, auf dem er mit so säuberlicher Schrift geschrieben hatte. "Bitteschön."

Dankbar steckte sie es in ihre Tasche. Jetzt wäre die perfekte Gelegenheit, für ein Gespräch mit ihm alleine, dachte sie sich. Und wenn sie nicht wieder eine Chance verstreichen lassen wollte, dann sollte sie jetzt nicht aufgeben. Sie seufzte kurz und sah ihm dann in seine grauen Augen. "Jaromir, ich hab den Verdacht, dass du mir in den letzten Wochen ausweichst oder mir aus dem Weg gehst. Zwar nicht im Unterricht, aber in jeder freien Minute davor und danach. Eigentlich suche ich schon seit einiger Zeit ein Geschräch mit dir. Seit dem ersten Tag eigentlich... Darf ich fragen was denn so schief gelaufen ist, und warum du dich mit gegenüber so verhältst?"
Seine Augen wurden bei jedem Wort größer, dass sie sagte. Aber er schwieg.
"Bitte, ich will nur wissen, ob mit dir wirklich alles in Ordnung ist, oder ob ich dir irgendwie helfen kann."

Die Gilde der Magier (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt