27. Kapitel

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Arantin schloss hinter Rosalyn die Tür ihres Zimmers und drehte sich langsam zu ihr um. Ihm war anzumerken, wie sehr er sich um Gelassenheit und Ruhe bemühte und in dem Blick, den er ihr zuwarf lag ein Zögern und eine gewissen Unsicherheit. Doch für Rosalyn spielte es keine Rolle, was er ihr zu sagen hatte. Sie konnte nicht glauben, dass er jetzt ein Gespräch mit ihr suchte, wo er doch den Schaden in der Beziehung zu seinem Bruder reparieren sollte. Auch wenn ihre Gedanken immer wieder um Jaromir kreisten und um den Lärm, den sie von oben gehört hatte, zwang sie sich zumindest für die ersten Augenblicke still stehen zu bleiben. Ihre Arme vor der Brust verschränkt starrte sie nun den Bruder ihres Freundes an und wartete.
"Also gut", begann Arantin schließlich. "Ich bitte dich, mir zuzuhören. Bis ich fertig bin und dir alles erzählt habe." Mit einer wischenden Handbewegung ließ er sie gar nicht erst zu Wort kommen. "Und außerdem, auch wenn das viel verlangt ist, musst du ein bisschen eigenen Willen zeigen und versuchen, meine Lage nachzuvollziehen. Ich bin mir sicher, dass dir das gelingen wird. Sonst wäre ich ja nicht zu dir gekommen."
Schnaubend fuhr Rosalyn hoch und verwarf ihre abwartende Zurückhaltung. "Spinnst du eigentlich? Dass du es ausgerechnet jetzt wagst, zu mir zu kommen! Du kannst dieses Gespräch vergessen, und nein, ich werde deine Lage nicht verstehen, ich will es ja gar nicht!" Zuerst machte sie nur ein paar Schritte auf ihn zu und trat nahe an ihn heran. Nach einem funkelnden Blick hielt sie sich nicht länger an ihm auf und ging zur Tür. "Du bist wirklich zum falschen Zeitpunkt gekommen. Denn ich werde jetzt zu Jaromir gehen und ihm in seiner beschissenen Lage helfen, in der er dank dir steckt. Komm wann anders wieder." Und damit wollte sie das Zimmer schon verlassen. Wenn sie die Türklinke hätte bewegen können. Doch so sehr sie sich auch bemühte und auch mit einem kurzen Magieversuch schaffte sie es nicht die Tür zu öffnen.
"Rosalyn, du musst mich anhören."
"DU SPERRST MICH EIN?" Rosalyns Schreie waren ohne Zweifel auch in den anderen Fluren und Zimmern des Stockwerkes zu hören. Es fühlte sich für sie an, als wäre irgendein Wesen in ihrem Innern erwacht und das sich nicht mehr zähmen ließ. Es schob alle Gedanken beiseite, die nichts mit Jaromirs Not oder ihrem Entsetzten über Arantin zu tun hatten. In ihren Muskeln ließ es sie den Drang spüren, zu handeln. Und ihre geliebte weißstrahlende Kugel aus Licht, die in einem Zimmer ihres Geistes ihr Magiezentrum verkörperte, pulsierte und flackerte auf.
Aber Arantin, nur wenige Armlängen von ihr entfernt stehend, blieb von ihrer Wut völlig unberührt. "Werte ruhig über mich, gib die Übungsstunden bei mir auf und sprich nie wieder ein Wort mit mir - aber erst, wenn du mir zugehört hast."
Die Worte, die aus seinem Mund kamen, hinterließen keinen Eindruck in Rosalyns Gedanken. Auf so begrenztem Raum ihm gegenüber zu stehen machte sie rasend. Wenn sie doch nur das Zimmer verlassen könnte!
Arantin drehte sich ab und schritt zu ihrem Fenster. Die Vorhänge waren nicht zugezogen aber das blasse Licht ihres Zimmers verhinderte jede Aussicht auf die Nachtlandschaft. "Rosalyn, ich gebe mir selbst die Schuld. Dass es so kam, wie es kommen musste... ich habe es ignoriert, wenn ich darüber nachdachte. Und nun ist es meine Schuld, dass sich Jaromir in dieser Lage befindet."
Ruckartig fuhr sie zu ihm herum. Ohne sich länger zurückhalten zu können, hieb sie mit einem Kraftschlag nach ihm, der jede Person von den Füßen gerissen hätte.
Aber nur wenige Millimeter vor Arantins Brust zersplitterte der Magiestoß wie an einer durchsichtigen Mauer.
Ein zweiter Schlag schoss flackernd und zischend dem ersten hinterher. Rosalyn zielte auf die gleiche Stelle, sie legte viel von ihrer Stärke hinein und stand mit vollem Willen dahinter. Und ein dritter Schub folgte dem ersten. Doch kein einziges Mal konnte ihre Magie Arantin etwas anhaben und zu ihrer eigenen Verunsicherung machten sie ihre Fehlschläge noch zorniger.
"Rosalyn", sprach Arantin sie sanft an. "Ich kann auch warten, bis du deine Wut ausgelassen hast. An mir, dann vielleicht an der Tür, durch die du nicht mehr kommst? Du hast ja so sehr recht, mit deinem Zorn auf mich. Stellst du dir jetzt vor, wie du mich von dem Boden reißt? Es würde dir zustehen und ich würde dich lassen - aber lass mich dir erst von meiner Schuld erzählen." Aus seinen Augen blickte sie plötzlich eine Trauer an, die direkt seiner Seele  zu entstammen schien.
Rosalyn konne nicht anders, als dieses speiende Wesen ihrer Erbitterung für diesen Augenblick zu zügeln. Es regte sich weiter in ihr, aber sie ließ es nicht mehr für sie handeln. Und dieser Moment ihres Schweigens genügte Arantin um zu beginnen.
"Natürlich blieb Jaromirs Stärke nicht lange ein Geheimnis in der Familie. Der Hohe Lord selbst, mein Mentor, informierte meinen Vater darüber und ich weiß nicht, wie lange sie in der Nacht gemeinsam diskutiert haben. Dass meine Mutter und ich davon erfuhren, war eine zwangsläufige Folge und schließlich gab es in der Zeit kein anderes Thema mehr unter uns, als dass mein kleiner Bruder mich aus der Stellung heben könnte. Und darauf geht schließlich alles zurück, das kannst du dir sicher vorstellen." Arantin blieb vesteinert an der Fensterbank stehen, die Arme vor der Brust verschränkt und mit den Blicken suchte er die Reaktionen von Rosalyn. Sie aber hatte sich auf ihr Bett fallen lassen und starrte nur die zu Fäusten geballten Hände in ihrem Schoß an. Dass ihre Fingerknöchel weiß hervor traten, war das einzige Indiz auf ihren inneren Groll.
"Meine Familie konnte verhindern, dass die Verwandschaft und die Gesellschaft der Häuser davon erfuhr. So hatte es mein Vater mit Lord Balkan beschlossen. Sie nahmen an, dass es klüger sei, die Zeit abzuwarten, bis sich die Dinge entwickelt hätten. Wie sich mein kleiner Bruder entwickeln würde und wie schnell er Fortschritte erzielen würde. Auch könnte es ja möglich sein, dass meine Stärke noch weiter wächst, deshalb sollten wir beide beobachtet werden, bis eine Entscheidung gefällt wird."
Ein fahles Licht fiel durch die Wolkenstreifen, die den Mond umhüllten. So wie der Silberschein kurz zunahm so wurde er wieder schwächer, als sich der Mond hinter mächtigeren Wolken versteckte.
"Es fühlte sich an, als wollte man uns für Wochen oder Monate auf die Prüfung stellen und jede Kleinigkeit unserer Ausbildung benoten. Dabei sprach nicht einmal mein Mentor mit mir offen über dieses Thema. Ich selbst wollte das Thema tot schweigen und hatte gehofft, dass es in Vergessenheit geraten würde." Arantins Augen blickten auf und suchten in ihrem Gesicht nach Reaktionen. "Wir beide sind uns aus dem Weg gegangen und ich weiß gar nicht wie er diese Anfangsphase ertragen hat."
Rosalyn kamen Erinnerungen aus den ersten Wochen an der Gilde in den Sinn. Jaromir war nicht selten gegenüber seiner ganzen Umgebung verschlossen gewesen. Und während ihr Blick durch das Fenster nach dem Mond suchte, ärgerte sie sich im Stillen, dass sie davon ausgegangen war, er sei sauer auf sie und ihre Neugierde gewesen.
"Sprich bitte weiter", wies sie Arantin an. Die Katastrophe hatte in seinem Bericht noch längst nicht den Höhepunkt erreicht.
"Ich habe mich nach einigen Wochen meinen Freunden anvertraut. Sie haben mich gestärkt und waren für mich da. Ja du kennst sie, es waren Stellan und Mian und ich war unendlich froh, dass ich sie zu meinen Freunden zählen konnte."
Unwillkürlich verzog Rosaly das Gesicht, als sie diese Namen hörte. Aber sie nahm auch wahr, wie die Augen des jungen Mannes begonnen zu glänzen. Den bissigen Kommentar, der schon auf ihrer Zunge lag, verschwieg sie.
"Sie halfen mir und begannen Kleinigkeiten über meine Ausbildung zu verbreiten. Nichts, das nicht jeder geahnt hätte - aber wenn ich den Hohen Lord auf ein wichtiges Treffen begleiten durfte, dann wollten sie mit einem Mal allen anderen davon berichten. Und es fühlte sich wieder so an, als wäre ich unangefochten der Novize des Hohen Lords. Ohne Konkurenz und als hätte wirklich ich diese Ehre verdient." Die letzen Worte kamen nur leise gemurmelt über seine Lippen. Als spräche er mehr zu sich selbst. Doch mit einem tiefen Seufzen fuhr er fort. "Und dann begannen sie abwertende Gerüchte und Geschichten über meinen Bruder zu verbreiten. Auch das begann alles harmlos, nur als beigefügter Kommentar zu eurer Wette in der Arena und solche Kleinigkeiten."
Rosalyn wich seinem Blick aus und konnte draußen wieder das fahle Antlitz des Mondes erkennen. Er war ihr stummer Zuschauer, der sich zurückhielt und das Reden den anderen überließ.
"Rosalyn, es hat mir sogar gefallen!" Arantin schloss seine Augen und schüttelte seinen Kopf. Als könnte er dadurch diese Gedanken von sich streifen. "Aber wozu hat das alles nur geführt. Mian und Stellan sind wunderbare Freunde - sie würden mit mir durch dick und dünn gehen und sie taten das bloß um mir zu helfen. Aber ich bereue, dass es soweit gekommem ist."
Rosalyn war, als würde sie eine kleine Träne erkennen, die langsam über seine Wange floss.
"Arantin, warum kommst du damit zu mir? Du solltest all das mit Jaro besprechen, mit deiner Familie. Dann werdet ihr wieder zueinander finden." Rosalyn fülte sich bereit dem Blick seiner Augen stand zuhalten und schaute nun zu ihm auf. Doch er verzog schon nach einem kurzen Augenblick seinen Mund zu einer Grimasse und wandte sich ab.
Er sah aus dem Fenster und antwortete leise: "Das wird auch alles noch passieren müssen. Aber du kennst meinen Bruder. Du wirst wissen, dass er sich nach heute Abend wieder vor uns allen verschließen wird. Mir wird er nicht mehr trauen und ich weiß nicht wie stark seine Freundschaften sind. Du darfst nicht zulassen, dass er sich in dieser Trutzburg von seinem Geist verschanzt."
Arantins Schultern lösten die Anspannung denn er wusste, dass er nun schon den größten Schritt in die richtige Richtung getan hatte. "Du musst ihm helfen zu verstehen. Versuch bitte ihm diese Sicht einer anderen Perspektive zu vereinfachen, denn von alleine wird er das niemals tun."
Stillschweigend vergingen die nächsten Augenblicke. Beide sahen nachdenken zu ihrem  Zuschauer am Nachthimmel, ob er nicht vielleicht eine Antwort auf ihr vorgetragenes Drama hätte.
"Ist die Tür wieder offen?", frage Rosalyn nach mehreren Minuten der Stille.
" Ja, ist sie."
"Und hälst du deinen Schild noch aufrecht?"
"Nein", antwortete Arantin ihr mit gefasster Stimme. Er drehte sich langsam wieder zu ihr um und mit einem Mal schien sich auch der Rest der Welt aus einer Starre zu lösen. Von Oben drangen die Geräusche von schnellen Schritten zu ihnen und ein kalter Zug fuhr ihnen unter die Roben.
" Dann wird es das beste sein, wenn  du jetzt gehst", sagte Rosalyn entschieden. "Natürlich werde ich über alles nachdenken, aber mehr kann ich dir noch nicht sagen."
Diese Antwort auf Arantins unausgesprochene Frage befriedigte ihn und nach einer sanften Berührung ihrer verschränkten Arme schritt er aus ihrem Quartier.

Die Gilde der Magier (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt