Der Termin 52

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Mit gemischten Gefühlen und schwerem Herzen legte ich meine Hand auf den Türgriff der mich nur noch von der Praxis dahinter trennte.

Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, was schon langsam zu einem Dauerzustand wurde und es besorgte mir nicht nur Kopfzerbrechen, sondern auch Bauchschmerzen. Es fing in der Nacht an und wurde am Morgen nach dem Aufstehen noch schlimmer. Es waren regelrechte Unterleibsschmerzen und es zog sich nach hinten und hoch über den ganzen Rücken. Beim ersten Gang zum Klo hätte es mich nicht gewundert wenn alles voll Blut gewesen wäre, denn es fühlte sich genau wie Periodenbeschwerden an. Ich nahm mir aus dem Badschrank eine Schmerztablette, nach dem ich aufmerksam die Packungsbeilage gelesen hatte und einen kurzen Check über mein Handy per Internet machte. Kaum hatte ich sie geschluckt, schüttelte ich mit dem Kopf und musste über mich selbst lachen. Auf dem Weg zum Arzt Zwecks Abtreibung und ich machte mir Gedanken ob die Medizin schaden könnte.

Ich atmete noch einmal tief durch und drückte endlich die Klinke runter um meinen Termin wahrzunehmen. "Schönen guten Morgen" wurde ich freundlich begrüßt und mein Magen zog sich noch mehr zusammen. Im Wartezimmer saß ich unruhig auf dem Stuhl. Rollte von einer Pobacke zur anderen und merkte wie meine Handflächen immer nasser wurden. Verzweifelt versuchte ich sie mit rubbeln an meiner Jeans trocken zu bekommen, es war hoffnungslos. Dann wurde ich endlich aufgerufen und ich hätte kotzen können. Warum hatte ich auch Denise nicht als Unterstützung mitgenommen oder wenigstens Kerstin? Kerstin wäre zwar utopisch gewesen denn die hatte nur noch ihren Mike im Kopf aber ich wäre nicht allein. "Wie geht's Frau Stein?"-"mit einem Wort scheiße" gequält rang ich mir ein Lächeln ab und wusste genau das ich nur eine Fratze zog. "Frau Stein, sie haben es in der Hand. Sie alleine müssen entscheiden ob sie mit diesem Schritt leben können. Ich werde es nur bestätigen und ein Kollege, wenn sie sich denn für den Abbruch entscheiden, kümmert sich um den Rest. Ich werde sie untersuchen und dann ..."-"ich kann es einfach nicht brauchen. Ich weiß das es hundert Menschen gibt die es scheiße finden. Die Sache mit der Verantwortung und so. Strafe für falsches handeln und benehmen" ich schloss die Augen, rieb mir die Stirn und Schläfen, suchte weiter nach der Erklärungen und nach der Rechtfertigung vor mir selbst. "Es ist so das, ja ich habe mich gerade aus einer beschissenen Beziehung gelöst und baue gerade mit einem super Mann eine neue Beziehung auf. Es würde überhaupt nicht gut kommen wenn ich dem erklären müsste dass er nur vielleicht der Vater ist. Klar könnte ich das Kind sicher auch zur Adaption frei geben, aber sind wir uns ehrlich, wie viele tun das? Zudem glaube ich nicht das ich damit leben kann ein Kind zu haben und weiß nicht wie es ihm geht. Ich bin nicht grundsätzlich gegen Kinder nur wenn sie keine Zukunft haben können" Tränen gingen mir über die Wangen ohne dass ich es wirklich realisierte und ich schwieg. Auch der Arzt sagte kein Wort und als ich aufsah, sah er nachdenklich auf seine Hände die er gefaltet vor sich auf dem Tisch liegen hatte. "Ich würde sagen, ich untersuche sie erstmal und dann schauen wir weiter".

Leicht verkrampft saß ich auf dem Stuhl der mich immer etwas an ein Folterinstrument erinnerte und fühlte mich als hätte man mich auf der Schlachtbank festgeschnallt. „So dann schauen wir einmal, lassen sie etwas locker" der Mann hatte gut reden, er lag ja nicht hier wie auf dem Präsentierteller. „Ich werde jetzt einen Ultraschall machen und schau mir an wie es da in ihnen drin aussieht" ich nickte und dachte mir meinen Teil dazu. Demonstrativ schaute ich zur anderen Seite obwohl es mich schon interessiert hätte was der Monitor zeigte. Doch als der Arzt komische Geräusche von sich gab, drehte ich doch den Kopf „mhmm"-„was ist denn?"-„Naja, sehen sie das hier?" Er zeigte auf etwas Verschwommenes auf dem Bildschirm was heller war als der Rest vom Bild und ich hatte keine Ahnung was es sein sollte. „Das ist eine hohe Ansammlung von Blut", Blut? Warum Blut? Verwirrt und fragend schaute ich ihn an „die Natur hat für sie die Entscheidung abgenommen" leicht milde lächelte er mich an und ich konnte ihm immer noch nicht folgen. „Das soll heißen?"-„Ich kann keinen Herzschlag sehen, das heißt ihr Körper hat den Fötus schon abgestoßen und ist dabei sich vorzubereiten ihn raus zu schwämmen". Es war als wäre ich einfach zu dämlich um zu begreifen was der Mann mir versuchte klar zu machen. „Das heißt ich bin nicht mehr schwanger?"-„Genau das heißt es"-„und jetzt?"-„Jetzt müssen sie ins Krankenhaus". Hätte ich jetzt nicht vor Freude an die Decke springen müssen? Das war doch genau der Moment dafür oder nicht? Doch ich konnte es nicht. Ich fühlte mich wie zwei Tage vorher als der Arzt mir sagte dass ich schwanger bin. Eine endlose Leere machte sich in mir breit und ich fing an zu weinen, doch warum? Die Frage konnte ich mir selbst nicht beantworten. War es weil mein Körper einfach selbst entschieden hat und ich das nicht tun konnte? Das Problem hatte sich mehr oder weniger in Luft aufgelöst, warum war ich also jetzt so traurig? Wortlos gab mir der Arzt ein Papierhandtuch mit dem ich meine Tränen trocknen konnte und meine Nase putzte. „Warum?"-„Das kommt schon mal vor, gerade in der Frühschwangerschaft, das hat aber keine Aussage auf zukünftige Kinderwünsche" ich nickte und auf einmal merkte ich ganz deutlich das ich mir das Kind doch irgendwie gewünscht hätte. „Ich werde sie gleich anmelden im Krankenhaus" er senkte den Kopf und stand auf. „Sie können sich in der Zwischenzeit wieder anziehen" Schlachtbank, das Wort schallte in meinem Kopf nach und ich stemmte mich hoch um mich anziehen zu gehen. Nun bereute ich es noch mehr, dass ich Denise nicht mitgenommen hatte. Der Arzt hatte auch ein Taxi für mich organisiert, das direkt wenig später auch schon kam und mich zum Krankenhaus brachte. Auf dem Weg sah ich so viele Mütter mit ihren Kindern, dass es mir schon fast wie Hohn vorkam und ich im Sitz immer weiter runter rutschte.

Eine Ärztin untersuchte mich erneut und klärte mich auf was nun alles auf mich zukommen würde. Dann gab man mir ein Zimmer in dem ich mich fertig machen konnte für den Routineeingriff, wie sie sagten. Eine Schwester brachte mir ein Hemd, Strümpfe und Tabletten, die mich beruhigen sollten. Als die Tür dann zuging und ich allein war, war es als hätte man mich von der Außenwelt abgegrenzt. Mir war klar dass ich Denise brauchte und zog mein Handy aus der Tasche.

„Bitte komm zu mir ins Krankenhaus ich brauch dich. Es geht nicht alleine, es tut mir leid!"

Ich schickte die Nachricht gerade weg und wollte noch eine weitere Zeile schreiben, in der ich kurz umfassen wollte was passiert war, da kam schon wieder die Schwester um mich vorzubereiten für den Eingriff.

Und wenn es Liebe wird?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt