24. Paul

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Jodie war nicht mehr die Gleiche, seit sie Robin verlassen hatte. Es kam mir so vor als war es ihr vollkommen egal ob sie am nächsten Tag aufwachte oder nicht. Manchmal schlief sie den ganzen Tag und wenn ich versuchte sie zu wecken, maulte sie mich nur an. Doch seit einigen Wochen verhielt sie sich noch seltsamer, als sie es sowieso schon tat. Einmal hatte ich sie, bis zu der Ordination einer Psychologin verfolgt. Seitdem wusste ich, wo sie zwei Mal die Woche hinging und war eigentlich ganz froh darüber. Sarah kam auch hin und wieder vorbei und dann hörte ich sie sogar manchmal lachen. Jedoch blieb sie nie lange bei Jodie. Manchmal kam Sarah dann noch zu mir und erzählte mir, dass Jodie eingeschlafen war. Dann quatschten wir zwei noch ein bisschen oder sahen uns einen Film an.

Doch heute kam Jodie schon wieder völlig aufgelöst nach Hause. Als ich sie in der Küche hörte, rief ich: „Wo warst du?"

„Unseren Dad besuchen", sagte sie kühl.

„Hast du schon vergessen, er ist nicht mein Dad. Er ist nur deiner.", schrie ich sie an, bereute es jedoch sofort. Sie konnte doch nichts dafür und um genau zu sein konnte er auch nichts dafür. Wenn ich jemanden einen Vorwurf machen konnte, dann unserer Mutter, aber ich fühlte mich einfach, als hätte mir jemand meine Wurzeln ausgerissen und ich würde wohl noch einige Zeit brauchen um das zu verarbeiten.

„Er liebt dich immer noch genauso, wie damals als er noch nicht wusste, dass du nicht sein leiblicher Sohn bist.", antwortete Jodie.

„Das glaube ich nicht.", energisch schüttelte ich den Kopf.

„Glaub was du willst. Es würde vielleicht nicht schaden, psychologischen Rat einzuholen.", entgegnete sie.

„Oh, du meinst ich soll Dr. David anrufen." Augenblicklich wich ihr jegliche Farbe aus dem Gesicht. „Jodie, was ist nur los mit dir? Warum bist du in letzter Zeit nur so unausstehlich? Ich weiß, dass du Robin immer noch vermisst, aber ich kann doch nichts dafür, dass ihr nicht mehr zusammen seid. Ich würde es mir auch anders wünschen, vielleicht solltest du ihn einfach mal anrufen..." „Ich bin schwanger.", fiel sie mir ins Wort. Geschockt sah ich sie an und fragte mich, ob ich sie soeben richtig verstanden hatte. Dann erst wurde mir die Bedeutung dieser Worte klar. Schwungvoll sprang ich von meinem Stuhl und wollte sie in meine Arme zerren, doch Jodie wich einen Schritt zurück. Trotzdem war ich so glücklich über diese Nachrichten, dass mir beinahe die Freudentränen kamen. Ich würde bald Onkel sein. Meine Schwester war schwanger. Robin würde Vater werden.

„Das ist ja großartig, noch ein Grund mehr um ihn anzurufen. Ich bin sicher, er wird sich freuen.",

„Ich weiß nicht, ob es sein Kind ist, Paul.", antwortete sie gereizt.

„Jodie, wem willst du diese doofe Fremdgehgeschichte denn erzählen? Ich weiß genau, dass du ihn nicht betrogen hast. Es kann also nur von ihm sein.", Ich hätte meine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass meine Schwester nie untreu war. Das wusste ich einfach. Mir war zwar nicht klar, warum sie es trotzdem behauptete, aber ich hatte die Vermutung, dass sie es deshalb tat, damit sich Robin von ihr fernhielt. Ich wusste, sie konnte mit diesem Sexfilm und der ganzen Aufmerksamkeit der Medien nicht umgehen. Aber sie konnte ihm, doch deswegen, nicht einfach sein Kind vorenthalten.

„Ob du es glaubst oder nicht, aber ich habe ihn betrogen.", sagte Jodie forsch.

„Und mit wem bitte?", ich wusste, dass sie eine schlechte Lügnerin war, deshalb stellte ich diese Frage.

„Das geht dich nichts an.", schnauzte sie mich an.

„Doch das tut es, ich bin der Onkel dieses Babys und es geht mich sehr wohl etwas an, wer der Vater sein könnte." Eindringlich blickte ich ihr in die Augen.

„Ich war betrunken und kann mich nicht mehr erinnern." Augenblicklich prustete ich los. Sie glaubte doch nicht ernsthaft, dass ich ihr diese Ausrede abkaufen würde. Doch ich wusste, dass ich mit meiner Fragerei nicht mehr weiterkam, deshalb gab ich für den Moment auf.

Sie blickte mich verächtlich an.

„Es ist schon einige Weile her, dass du von New York zurückgekehrt bist, du bist also schon ziemlich lange schwanger, hab ich recht?", fragte ich.

„Eine Woche habe ich noch, bis zum sechsten Monat.", antwortete Jodie und bestätigte damit meine Vermutung nur noch mehr, dass es von Robin war.

„Weißt du denn schon was es wird?", ich wollte, dass mir meine Schwester endlich wieder vertraute.

„Ja, es wird ein Junge.", sie reichte mir ein paar Ultraschallbilder.

„Süße, du hättest mir das schon viel früher sagen müssen, dann hätte ich deine Einkäufe getragen und deinen Putzdienst übernommen. Du kannst dich doch nicht so verausgaben.", schimpfte ich.

Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange.

„Ich bin ziemlich müde. Ich mache ein kurzes Nickerchen.", sagte sie und rannte in ihr Zimmer. Natürlich, das erklärte auch ihre ständige Müdigkeit. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ihre Stimmungsschwankungen auch noch einen anderen Grund hatten.

Gedankenverloren blickte ich ihr hinterher, als plötzlich mein Handy klingelte.

„Hallo?", beantwortete ich den Anruf.

„Hi Paul! Hier ist Josh, Robins Bruder. Ich habe deine Nummer aus seinem Telefonbuch." Es geschahen also doch noch Wunder. Möglicherweise könnte ich, gemeinsam mit Josh, einen Plan aushacken, wie wir Jodie und Robin wieder zusammenbringen und dafür sorgen konnten, dass sie gemeinsam mit ihrem Baby eine glückliche Familie werden würden. Das Baby... Ich durfte es mit keinem Wort erwähnen. Selbst wenn es wahrscheinlich dabei geholfen hätte, Josh zu überzeugen. Das war Jodies Angelegenheit und nur sie hatte ein Recht darauf zu entscheiden, wer davon wissen sollte. Wenn ich mich da einmischen würde, würde ich meine Schwester verlieren.

„Hey Josh, Was gibt's?", fragte ich immer noch gedankenverloren.

„Ich weiß, es ist eine seltsame Bitte, insbesondere nach all dem was vorgefallen ist, aber du musst dich darum kümmern, dass Jodie nach England kommt.", hörte ich ihn sagen.

Es schien mir keine gute Idee zu sein, sie im sechsten Monat schwanger in ein Flugzeug steigen zu lassen.

„Warum denn? Könnt ihr nicht nach Deutschland kommen?", fragte ich deshalb.

„Unser Vater liegt im Sterben. Robin steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Die Einzige die ihm jetzt helfen kann ist Jodie.", Josh seufzte.

„Okay, ich werde sie fragen, aber versprechen kann ich nichts.", antwortete ich.

„Bitte, ich denke sie ist Robs letzte Rettung."

„Josh, ich muss dir noch etwas sagen und ich weiß es hört sich so an, als würde ich versuchen meine Schwester aus ihrem Schlamassel heraus zu reden, aber ich bin absolut überzeugt davon, dass sie, deinen Bruder nicht betrogen hat. Glaub mir, ich habe nicht die geringste Ahnung warum sie das behauptet, aber es ist eine Lüge. Du darfst bitte nicht schlecht über sie denken. Robin und Jodie müssen wieder zusammenkommen, denn sie gehören einfach zusammen.", ich hörte Josh am anderen Ende der Leitung zustimmend kichern: „Da hast du recht." Dann war der Anruf beendet.

Schnell setzte ich mich an den PC und buchte einen Flug für Jodie. Anschließend druckte ich die Dokumente aus und machte mich auf den Weg in ihr Zimmer. Vor der Tür blieb ich stehen und atmete mehrere Male tief durch. Dann machte ich mich bereit für die größte Lüge, die ich meiner Schwester jemals aufgetischt hatte.

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A/N Wie wird Jodie wohl auf das Flugticket reagieren?


True Pain (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt