11. Jodie

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Das Flugzeug meines Bruders war bereits gelandet. Ich saß in unserer verlassenen Villa, in einem kleinen Vorort von München und rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her. Nur noch wenige Minuten, dann musste ich wieder die alte Jodie sein. Ich stellte mich vor den ovalen Spiegel im Wohnzimmer und übte mein Lächeln. Meine Mundwinkel zogen sich zwar in die Höhe, doch meine Augen lächelten nicht mit. Wenn das jemand merken würde, dann war es Paul oder Robin, fügte die Stimme in meinem Kopf hinzu. Schnell verdrängte ich jeden Gedanken an Robin. Ich musste mich verhalten, als hätte er nie existiert. Denn sonst würde ich wohl, an meinem Liebeskummer zugrunde gehen.

Die Tür öffnete sich und Paul trat ein.

„Hallo Bruderherz. Na wie geht es dir? Ich bin so froh, dass du wieder da bist.", sagte ich in einem gekünstelt freundlichen Ton.

Paul sah mich besorgt an. Es hatte also keine zwei Minuten gedauert und schon war ich aufgeflogen.

„Hey Jodie! Wie geht es dir?", fragte er mich und blickte mich dabei prüfend an.

Er wusste wie sehr ich Robin vermisste, da war ich ganz sicher. Deswegen antwortete ich: „Den Umständen entsprechend."

„Ich verstehe dich nicht, Jodie. Warum bist du denn nicht bei Robin geblieben? Er liebt dich. Ihr hättet das gemeinsam hinbekommen. Natürlich schämst du dich, aber in ein paar Wochen wird doch niemand mehr darüber reden oder hast du jemals wieder etwas über One Night in Paris gehört."

Oh, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich kämpfte mit mir, um nicht die Fassung zu verlieren.

„Robin ist Vergangenheit, okay? Ich will nicht mehr über ihn reden. Auch für den Fall, dass bald niemand mehr über das Sex Video spricht, wird sich trotzdem jeder erinnern können, GENAUSO wie an One Night in Paris", schrie ich ihn an.

Paul blickte mich verständnislos an. „Dann sag mir wenigstens was zwischen euch vorgefallen ist.", verlangte er. „Warum bist du einfach davongelaufen? Warum bist du nicht mal vorher nach Miami gekommen, um mit mir gemeinsam zurück nach Hause zu fliegen? Und wo ist dein Handy? Warum hebst du nicht ab? Weißt du eigentlich welche Sorgen ich mir gemacht habe?" Paul hatte sich so in Rage geredet, dass er danach tief durchatmen musste.

„Du brauchst dir keine Sorgen machen. Alles ist gut. Glaub mir, mir geht es gut. Ich wollte einfach schon früher nach Hause und auf dem Weg zum Flughafen habe ich mein Handy verloren. Bitte Paul, einen weiteren deiner Rückfälle, könnte ich nicht auch noch ertragen, du darfst dir nicht zu viele Sorgen machen." Während ich sprach kullerten die Tränen über meine Wangen.

„Nein Jodie, du darfst dir keine Sorgen um mich machen. Ich bin geheilt. Ich werde keine Drogen mehr nehmen. Versprochen. Ganz egal was passiert. Aber du musst mir auch etwas versprechen. Ich weiß, dass momentan alles ausweglos erscheint, aber es gibt immer einen Grund weiterzuleben. Hörst du?"

Entgeistert blickte ich in sein Gesicht.

„Was meinst du damit?", platzte es aus mir heraus.

„Selbstmord ist nie eine Lösung.", immer noch verstand ich nur Bahnhof.

„Ich werde mich doch nicht selbst umbringen."

„Was hattest du dann, am Dach des Hotels zu suchen?" Fragend blickte er mich an.

„Woher weißt du davon?", ich suchte nach einer Antwort in seinen Gesicht, konnte jedoch keine finden. Stattdessen hielt er mir meine Kette vor die Nase.

„Woher hast du meine Kette.", wollte ich wissen.

„Die hast du in deinem Hotelzimmer liegen gelassen. Warum war dort alles blutverschmiert und warum stand das Badezimmer unter Wasser?", hakte er nach.

Ich spürte, dass ich ihm antworten musste, denn er würde nicht locker lassen.

„Also, zu deiner Information, ich war nur am Hoteldach um mich abzureagieren. Ich wollte ganz bestimmt nicht springen. Das mit dem Bett tut mir auch wirklich leid, aber ich hatte meine Tage bekommen und dabei die Laken vollgeblutet. Bei dem Versuch das Blut von meinem Körper zu waschen, habe ich dann das Badezimmer überflutet. Ich hatte verschlafen und meinen Flug, bereits als ich aufwachte, fast verpasst. Da war ich einfach megagestresst und konnte nicht mehr klar denken. Ich dachte, dass ich den Flug möglicherweise noch bekommen könnte, doch im Taxi wurde mir klar, dass es unmöglich war. Deshalb habe ich dir eine Nachricht geschickt und als ich am Flughafen dann deine Antwort checken wollte, konnte ich mein Telefon nicht mehr finden. Wahrscheinlich habe ich es im Taxi vergessen."

Paul schien mir nicht hundertprozentig zu glauben. Doch er nickte leicht. Ich wollte mich gerade umdrehen, als er nach meinem Handgelenk fasste. Ich zuckte vor Schmerz zusammen. Paul zog den Ärmel meines Pullovers hoch. Doch scheinbar kam etwas anderes zum Vorschein als er erwartet hätte, denn er atmete mehrere Male tief durch. Die Striemen waren mittlerweile dunkelrot violett gefärbt, schmerzten aber jetzt noch schlimmer. Plötzlich wurde mir klar, wonach er gesucht hatte. Paul dachte doch wirklich, ich hatte versucht mir die Pulsadern aufzuschneiden.

„Woher stammen diese Verletzungen?", fragte er mich jetzt in einem bösen Tonfall.

„Die sind beim Tanzen entstanden. Das war so eine blöde Hebefigur, bei der mich mein Tanzpartner an den Handgelenken festhalten musste.", ich konnte den Namen Scott nicht aussprechen.

Endlich schien Paul zufrieden zu sein, denn er verließ den Raum.

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A/N: Findet ihr Jodies Ausrede glaubwürdig?

True Pain (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt