-1-

9.2K 304 23
                                    


Erwartungsvoll schaute in die grünen Augen meines Arztes. Die zitternde Hand meiner Mutter umschloss die meine feste und auch mein Vater tippte mit seinen Fingern nervös auf seinem Oberschenkel herum.
Mr. Jones räusperte sich und schaute dann jeden einmal kurz an. Schließlich blieb sein Blick bei mir hängen und er schaute mich mitleidig an. Oh, oh.. Das war definitiv kein gutes Zeichen.
"Miss Anderson? Es gibt leider keine guten Nachrichten.. Der Tumor hat sich in den letzten drei Wochen leider negativ entwickelt. Wir haben noch immer die Option den Tumor zu entfernen, aber das birgt große Risiken und ich denke nicht, dass ich die Ihnen nochmal erläutern muss."
Ja, ich hatte einen Tumor - am Gehirn. Niemand wusste wie lange Zeit ich noch hatte und niemand konnte mir mein vorheriges Leben wiedergeben. Ich würde so oder so sterben, aber ich würde nicht zulassen, dass mir jemand am Gehirn herum schnitt.. Lieber würde ich mein Leben ohne Narben vollenden. Es tat mir auch unglaublich leid für meine Eltern und ich wollte ja auch kämpfen, aber ganz sicher nicht so.

Vorsichtig strich ich mir eine meiner kurzen braunen Strähnen aus dem Gesicht und sah meinen Arzt an. "Nein. Ich möchte keine Operation." Meine Mutter neben sich verkrampfte sich in ihrem Stuhl und der Griff um meine Hand nahm immer mehr zu, mein Vater hingegen sah mich bloß schockiert an. "Was?! Dad, ich hab dir schon mal gesagt dass ich keine Operation will!" Es war mein Körper und somit auch meine Entscheidung, oder etwa nicht?! Vorsichtig blickte ich zu meiner Mutter, die sich mit ihrer freien Hand eine Träne von der Wange wischte. "Aber Hope..bitte denk doch nochmal drüber nach." Nein, warum versuchten sie mich umzustimmen! Ich wollte das nicht und ich hatte es ihnen in dem letzten halben Jahr seit der Diagnose schon so oft gesagt! "Nein Mom! Da gibt es nichts mehr nachzudenken! Entweder sterbe ich an diesem Tumor oder an der Operation, weil er schon zu groß ist! Ich will das nicht!" Wütend sprang ich auf und verließ den Raum.

Ich kannte dieses Krankenhaus inzwischen wie meine Westentasche. Seit einem halben Jahr verbrachte ich meine Zeit regelmäßig hier um irgendwelche Untersuchungen zu überstehen. Einst war ich ein ganz normales 17jähriges Mädchen gewesen, das es liebte mit ihren Freundinnen Pyjama-Parties zu machen oder Kissenschlachten. Meine braunen Haare hatten mir bis zur Hüfte gereicht und meine blauen Augen hatten gefunkelt wenn mein Vater von einer langen Geschäftsreise nach Hause kam. Eigentlich war ich also ein ganz normales Mädchen gewesen. Seit ich aber die Diagnose bekommen hatte, wurde ich von allen Seiten bemitleidet und die Menschen um mich herum gingen anders mit mir um. Sie behandelten mich wie eine Eisfigur, die bei dem kleinsten Stups zerbricht. Aber was sie nicht sahen war, dass ich noch immer der selbe Mensch war. Ein Mensch mit einem Geheimnis, das nur ein Mensch wusste. Ein Mensch, der mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatte.

Vorsichtig kramte ich mein Handy aus der Tasche und öffnete WhatsApp. Ja, ich musste jetzt unbedingt mit jemandem reden. Mit meinem Handy in der Hand verließ ich also das Gebäude und setzte mich auf eine einsame Bank, von der man den Eingang nicht sehen konnte.


*Hey Shawn.. Ich war grad im Krankenhaus. Es sieht wohl nicht sehr gut aus und der Arzt hat mir wieder eine Operation vorgeschlagen. Aber ich will das nicht, das weißt du ja. Zu viel hängt davon ab.. Ich lebe lieber noch drei Monate als nur einen. Aber dann muss ich diese Zeit auch wirklich leben.. Hab ich dir mal von meiner Liste erzählt? Als ich noch ganz klein war, da habe ich mir eine Liste geschrieben, auf der Sachen standen, die ich in meinem Leben erreichen wollte. Nun, ich denke ich werde sie endlich umsetzen, was denkst du?? Naja, wie dem auch sei, ich muss dann wohl mal wieder rein zu meinen Eltern.. Alles Liebe, Hope."

Seufzend erhob ich mich und wollte mich grad auf den Weg nach drinnen machen, da erblickte ich meine Eltern auch schon am Eingang. Mein Vater hatte seine Arme fest um meine schluchzende Mutter geschlungen und versuchte sie zu beruhigen. Sie hatten das alles nicht verdient und ich wünschte ich könnte ihnen den Schmerz ersparen, aber das konnte ich nicht. Niemand würde das können. Selbst wenn der Tumor entfernt werden könnte, er ist bösartig und hat vielleicht gestreut, dann gibt es doch eh keine Hoffnung mehr für mich. Es tat mir weh meine Eltern so zu sehen. Es tat weh, weil ich wusste, dass ich es nicht aufhalten konnte.
Langsam und mit einem riesen Klos im Hals ging ich auf diese zwei Menschen zu, denen ich mein Leben zu verdanken hatte. Ohne sie wäre ich jetzt nicht hier.
"Hey", hauchte ich leise, aber meine Mutter zuckte zusammen und auch mein Vater sah mich erschrocken an. Ich würde ja fragen, ob alles okay war, aber das war beim jetzigen Stand der Dinge irgendwie überflüssig. "Lass uns nach Hause fahren", sagte mein Vater und gemeinsam gingen wir zum Auto.

Kurz bevor wir Zuhause ankamen, klingelte mein Handy. Shawn, ging es mir durch den Kopf und sofort schlich sich ein winziges Lächeln auf meine Lippen. Ohne ihn hätte ich schon lange aufgegeben.

*Hope, ich weiß du willst das nicht hören, aber es gibt da Menschen die dich lieben und nicht wollen, dass du aufgibst. Ich weiß, du findest du gibst nicht auf, aber ich sehe das schon so. Natürlich respektiere ich deine Entscheidung, aber bitte versprich mir dass du zumindest mal mit deinem Arzt über Möglichkeiten sprichst. Und das mit der Liste finde ich super, darf ich sie mal sehen?*

All about you| #Wattys2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt