Kapitel 11

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Es ist mitten in der Nacht und ich werde wach. Ich kann nicht mehr schlafen. Ich sehe zu Luna, die tief und fest schläft. Ich versuche mit meinen Augen unsere Zimmer Uhr zu fixieren. Halb drei. Na toll.

Ich gebe es auf zu schlafen und beschließe mich auf ‚meinen' Platz vor dem Fenster zu setzen. Ich atme die frische Luft ein. Ich sehe mich in der friedlichen Stille etwas um. Weiter links von mir erkenne ich jemanden auf dem Dach sitzen. Ich kneife meine Augen etwas zusammen, um die Gestalt erkennen zu können. Es ist Taddl. Oh Shit. Was soll ich jetzt machen? Ich kann ihn ja schwer herrufen und zu ihm spazieren will ich auch nicht. Vielleicht würde er mich noch vom Dach schubsen, wenn er wieder schlecht gelaunt ist. Außerdem wäre es mir zu riskant, dass mich irgendjemand durch die Fenster sehen könnte, obwohl alle schlafen sollten.

Taddl hat einen Block in der Hand und zeichnet. Er zeichnet? Das hätte ich mir weniger gedacht. Ich hätte ihn mehr als den sportlichen ‚Boxer' oder so eingeschätzt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Taddl ruhig sitzen kann und zeichnet. Vor allem wenn es ihm nicht gefällt, zuckt er bestimmt sofort aus. Ich beschließe mich ruhig zu verhalten und ihn nicht anzusehen. Wir können uns diesen Ort ja teilen, er bleibt auf seiner Seite und ich auf meiner, so kommen wir uns nicht in die Quere. Außer meine Anwesenheit stört ihn, dann werde ich wohl oder übel nur zu Zeiten hier sitzen, wenn er nicht da ist. Warte mal. Es ist halb drei in der Nacht was macht er hier überhaupt? Ich beschließe mir keine Gedanken mehr über Taddl zu machen und schließe meine Augen und versuche die Stille zu genießen.

„Kannst du auch nicht schlafen?", höre ich seine tiefe Stimme. Ich mache die Augen auf und Taddl steht neben mir. Er lässt sich neben mir nieder. Ich schüttle den Kopf.

Er drückt mir seinen Block in die Hand. Will er sich etwa mit mir unterhalten? Wenn ja, warum? Und was soll ich ihm schreiben?

Was hast du gezeichnet?", frage ich.

„Hast du mich etwa beobachtet?", brummt er. Ich merke wie ich rot anlaufe, zum Glück ist es dunkel genug. Er blättert ein Blatt zurück. Es ist die Klinik darauf zu sehen. Aber statt das ‚erhellende' weiß ist alles tief schwarz und bedrückend.

Ich nehme den Block wieder in die Hand.

Nett", schreibe ich. Die Zeichnung ist wirklich gut. Hätte ich mir nicht gedacht, dass Taddl so talentiert ist. Vielleicht ist es ein blödes Vorurteil, aber solche Schlägertypen, sind meistens komplett hohl und können gar nichts, außer mit der Faust reden.

„Ach komm schon, du hasst es hier genauso wie ich. Also nett sollte das nicht sein", lacht er.

Ja, aber die Zeichnung ist trotzdem gut! Du zeichnest schön!", ich schenke ihm ein kleines Lächeln, welches er nicht erwidert.

„Danke", antwortet er.

Bist du wieder auf Drogen?", schreibe ich.

Er sieht mich verwirrt an. Ups, war das zu direkt? Es ist schwer etwas vorsichtig anzusprechen, wenn man nicht spricht.

„Nein? Wieso?", fragt er verwundert.

Weil du so nett und ruhig bist", erkläre ich ihm. Taddl schmunzelt. Ich wusste gar nicht, dass das möglich ist.

„Nein, stell dir vor... ich bin auch nur ein normaler Mensch und nicht immer schlecht gelaunt."

Tut mir leid", schreibe ich beschämt auf den Block.

„Kein Ding, aber ich glaube ich werde es nicht schaffen..."

Was schaffen?"

„Mich zu ändern... ich will es ja eigentlich auch nicht. Der Gedanke, dass ich nicht der ‚Norm' entspreche regt mich auf", er ballt seine Fäuste. „Ich will mich nicht ändern, nur weil andere denken, es ist irgendetwas falsch mit mir. Ich bin, wie ich bin. Hauptsächlich durch meine Vergangenheit geprägt."

Wieso haust du nicht ab, wenn du gar nicht hier sein willst?", frage ich mittels des Blockes. Taddl ist schon einmal woanders gewesen, er könnte jederzeit einfach verschwinden. Ich würde es tun, wenn ich nicht so feige wäre und wüsste wohin.

„Mal abgesehen, dass ich nicht wüsste wohin, bin ich freiwillig hier", sagt er.

Wirklich?" Ich bin überrascht. Ich dachte Taddl fände es hier am meisten zum Kotzen.

„Ja. Ich habe mich selber einweisen lassen... Ich weiß, dass klingt blöd und klingt für dich vielleicht unlogisch. Aber ich will mich trotzdem ändern. Ich will anderen Menschen keine Angst mehr machen und meine Aggressionen besser unter Griff bekommen. Ich weiß, dass es vermutlich nie aufhören wird. Aber ich will nur, dass es besser wird."

Ich nicke. Irgendwie macht es doch Sinn. Er weiß, dass es nicht gut ist und anscheinend ist es selber eine Belastung für ihn.

„Was ist passiert, dass du immer so aggressiv bist?"

Ich weiß, dass das ziemlich plötzlich kommt und vielleicht antwortet er mir gar nicht. Aber es interessiert mich schon und wir unterhalten uns gerade so gut und so normal. Einen Versuch ist es ja Wert.

„Mein Vater", seufzt er. Sein Vater? Was hat sein Vater getan? Ich sehe ihn bemitleidend an.

„Ach vergiss es", brummt er.

Erzähl", fordere ich ihn auf.

„Erzähl mir deine Geschichte, damit es fair ist", erklärt er.

Ich schreibe auf den Block: „Ich will nicht darüber reden, ich will nicht einmal daran DENKEN."

Das Wort ‚denken' unterstreiche ich mehrmals.

„Aber, dass ich darüber rede, findest du fair?", fragt er und zieht eine Augenbraue nach oben. Fair nicht, ich war nur neugierig. Ich zucke mit den Achseln.

„Na eben", kommentiert er. „Ich sollte gehen, damit ich noch ein paar Stunden schlafen kann. Solltest du auch probieren."

Ich nicke.

„Schlaf gut", sagt er und steht auf. Ich tupfe an seinem Shirt. Er sieht mich verwundert an und drückt mir den Block in die Hand.

„Kannst du mir auch mal etwas zeichnen?"

„Mal sehen", grinst Taddl. „Wir sehen uns beim Frühstück."

Er schlendert wieder zu seinem Fenster und steigt hinein. Ich bleibe noch einen Moment lang draußen. Dieser Taddl ist mir viel lieber, als der Aggressive.

Bitte, sprich (Taddl Fanfiktion)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt