Eine Reise ins Refugium

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Claire fröstelte als sie erwachte. Die Bettdecke war bis zu ihrer Hüfte gerutscht und noch bevor sie die Augen aufschlug, bahnte sich in ihrem Kopf eine Ahnung an, die ihr mitteilte, dass sie allein war. Ihre Hand schob sich vorsichtig über das kühle Laken, bevor sie den Kopf wendete, um festzustellen, dass Owen tatsächlich nicht mehr neben ihr lag.
Kurz überlegte sie, ob sich Traum und Wirklichkeit derart gemischt hatten, dass sie nicht mehr sagen konnte, ob sie ihn gestern aus dem Krankenhaus abgeholt hatte, oder nicht.
Im Augenblick waren in ihrem Kopf soviele Dinge überlagert, dass sie hin und wieder Mühe hatte, es auseinander zu halten.
Mit den Fingerspitzen langte sie nach seinem Kopfkissen, bis sie einen Zipfel zu fassen bekam, ohne sich recken zu müssen und zerrte das Textil zu sich. Clarie grub ihre Nase hinein und atmete tief seinen geliebten Geruch ein.
Noch niemals hatte der Duft eines Menschen derart viel Raum in ihrer Erinnerung eingenommen wie der Seine. Es war das Erste, dass sie von ihm wahrgenommen hatte, als sie sich zum allerersten Mal begegnet waren und es war nach wie vor eines der Dinge, die sie zuerst registrierte, wenn er in ihre Nähe kam.
Neben seinem frechen Grinsen und den unglaublichen Augen natürlich.
Sie musste über sich selbst kichern - was für eine wunderbare Nacht. Keine Dinosaurier, kein Todeskampf nur sie Beide verschmolzen zu einem Körper. Allein der Gedanke daran, ließ ihr Blut erneut aufwallen.
Noch nie war sie derart bedeutungsvoll geküsst, oder auch nur berührt worden.
Umso besser, dass du jetzt weißt, dass du dir bisher nur Vollidioten ausgesucht hast.
Und wo ist er nun?
Dein Held? - kann es nicht sein, dass er dich trotz seiner ganzen tollen Vorzüge, die du dir da gerade zusammen getragen hast, sitzen gelassen hat? Oder warum ist er nicht da?
Wenn es eine Gelegenheit gäbe die innere Claire zum Schweigen zu bringen, hätte sie diese auf der Stelle genutzt.
Du mieses Ding!
Sie drückte die Nase tiefer ins Kissen und versuchte in ihrem Kopf ein Lücke für sich zu finden, in der die innere Claire keinen Platz hatte.
Wo.
Ist.
Er?
"Owen? " murmelte sie leise und lauschte gespannt ins dämmrige Dunkel des Schlafzimmers.
Doch zurück kam nur Stille...
Das leise Rauschen des Meeres durch das gekippte Fenster...
Streitende Möwen die vorbei zogen und in der Ferne leiser wurden...
Träges Treiben auf der kleinen Straße unter dem Fenster.. .
Kein Laut, kein Geräusch, dass sie glauben machte, dass sie NICHT allein in der Wohnung war.
Geschirrklappern aus der Küche vielleicht?
Rauschen von Duschwasser?
Nichtmal der Geruch von gekochtem Kaffee gab ihr das Gefühl, dass es anders war. Du hast ja auch keinen im Haus Dummerchen!
Inzwischen war jedes Wohlgefühl einer unbeschreibbaren Traurigkeit gewichen.
Hab ich mir das alles nur eingebildet? Bin ich verrückt und er war am Ende überhaupt nicht hier?
Vorsichtig schob sie das Kissen beiseite und schwang die Beine über die Bettkannte.
Man kann sich Gerüche nicht einbilden Clarie! - Sie sind da oder nicht! Vielmehr hast du geglaubt, er sei noch da... und stattdessen hat er sich vom Acker gemacht!
--- Warum bist du nur so gemein zu mir? ---
Realistisch! Das ist ein Unterschied !
Sie tat einen tiefen Seufzer und verbannte die pessimistische Stimme in eine der dunklen Ecken ihrer Gedanken , in der Hoffnung, sie würde den Weg zurück nicht finden.
Sich den Morgenmantel, der über dem Stuhl in der Ecke hing, überwerfend , schlurfte sie antriebslos ins Wohnzimmer und hoffte , er würde vielleicht auf der Couch sitzen. Aber nachdem sie überallhin gelauscht und nachgesehen hatte, musste sie sich eingestehen,tatsächlich alleine in der Wohnung zu sein.
Nirgendwo ein Zettel, oder sonst eine Nachricht.
Sie ging zur Dachterrassentür, die gegenüber dem Balkon auf der anderen Seite des Wohn - Esszimmers lag, und öffnete die Tür.
Warme Luft schlug ihr entgegen.
Im Vorbeigehen registrierte sie, dass sein Smartphone auf der Anrichte in der Küche lag, und ihr sofort einen kalten Schauer über den Rücken jagte.
Etwas das ihr niemals passieren würde: Das Handy vergessen!!
Gut, es war ihr wichtigstes Utensil für ihre Arbeit, aber wenn er es schon so demonstrativ liegen ließ...
Was habe ich Dir gesagt? --- Du hast den Kerl gerettet, damit er sich aus deinem Leben stiehlt! ..Schau doch nach!---
Das macht man ja wohl nicht!
---Er ist nicht hier oder? ---
Wer weiß, ob er überhaupt wiederkommt? Vielleicht hat er es nur hingelegt, um es gewissermaßen abzugeben!
Claire stand zögernd wie in Kind vor dem verbotenen Bonbonglas neben dem Mobiltelefon und es war ein entsetzliches Ringen mit sich selbst, ob sie nun darin herumschnüffeln sollte, oder nicht.
Neugier und die nagende Ungewissheit ließen sie schließlich schwach werden.
Er hatte sich nicht mal einen Sperrbildschirm eingerichtet.
Was hat du erwartet? Zuckerwattebildchen von Dinosaurieren? Oder gar DIR?
Die Enttäuschung war umso größer, als sie nichts entdeckte, außer einem Chatfester von Barry, mit Bildern von dem Gehege, das Blue und Delta im Augenblick beherbergte. Außerdem ewigen Fachsimpeleien darüber, wie er vorgehen sollte.
Als sie jedoch die Google Suche aufrief, entdeckte sie, als letzten Eintrag, die Website einer Fluggesellschaft, auf der er sich scheinbar nach Flugtickets erkundigt hatte.
!!!-!
Hektisch versuchte sie herauszufinden wohin, so dass es ihr entging, wie die Wohnungstüre geöffnet wurde und Owen hereinkam.
Fröhlich pfeifend, bekleidet mit seinen geliebten Surfershorts, einem dunkelblauen T -Shirt der Seattle Seahawks und ausgetretenen Turnschuhen.
In der einen Hand hielt er ihren Türschlüssel in der Anderen, der wieder brav in der Schlinge steckte, einen Papp -Träger mit zwei Coffe to go Bechern darin.
Er blieb stutzig stehen, als er sie in der Küche erblickte und stellte die Kaffeebecher auf dem Esstisch ab.
"Stör ich?", fragte er halblaut. Claire zuckte so erschrocken zusammen, dass sie einen leichten Hüpfer machte und fast das Handy fallen ließ.
In ihrem Kopf puckerte es und ihr Herz raste, als spränge es ihr gleich aus der Brust.
Yaiii da ist er ja!... Einfach so! Und du hast in seinem Handy geschnüffelt und er hat dich erwischt! Dann erklär mal...
Sie hatte das Gefühl, als lehne sich die miese - heute morgen so unglaublich laute, gnadenlose - innere Claire in ihre Ecke zurück und wollte sich in aller Ruhe das Schauspiel betrachten.
"Nein...", meinte sie gehetzt und legte das Smartphone wie beiläufig auf die Arbeitsplatte zurück und setzte ein künstliches Lächeln auf.
"Ehm...", er verzog das Gesicht, " gibt es da was interessantes zu sehen?" fragte er dann mit einem Finger auf sein Handy weisend und seine Stimme hatte einen verärgerten Unterton.
"Wo?"... fragte Claire überflüssigerweise.
Mann bist du eine schlechte Lügnerin!
Owen trat jetzt einen Schritt auf sie zu und blieb dann nur wenige Zentimeter vor ihr stehen.
So völlig barfuss und mit nichts als einem dünnen Morgenmantel bekleidet, wirkte seine Größe einmal mehr beeindruckend, als er so nah vor ihr stand.
Nicht einatmen Claire, du weißt, was dann passiert! Als wäre die Luft nicht jetzt schon voll davon. Halt sie einfach an!
Vor Augen prangte nun das kleine Logo der NFL im Auschnitt seines Shirts.
Er griff mit der Hand, in der er den Schlüssel hatte, nun um sie herum, legte den Schlüssel ab und nahm stattdessen sein Handy.
"Da!..." , meinte er und hielt es ihr vor die Nase und machte nun einen Schritt zurück.,
"Ich...",fing Claire an und sah hilflos zu, wie er einen weiteren Schritt von ihr zurückwich und ihr wenigstes Platz zum atmen ließ. Mit dem Daumen wischte er über das Display.
Er blickte auf die zuletzt geöffnete Google Suche und sah ihr dann wieder fest in die Augen.
"Und? Was interessantes gefunden?", meinte er dann immernoch ärgerlich und Claire versuchte sich nicht im Grau - Grün seiner Augen zu verlieren.
Arschbacken zusammen Claire! Frag doch! Du kommst sowieso aus der Nummer nicht mehr heraus!
"Es es... tut mir leid.. ich wusste nicht wo du bist..." ich habe eigentlich gedacht du bist abgehauen...stattdessen hast du nur Kaffee geholt...Aaaach... kann mit mal jemand helfen?!
Jetzt hob er die Brauen.
"So?", machte er und mit einem leisen Klick ließ er den Bildschirm des Handys wieder schwarz werden, " und du hast gedacht, damit findest du mich? Oder was? Ich hab keinen deiner dämlichen Tracker an. Wir sind hier nicht mehr in Jurassic World...schon vergessen Mrs. Parkleitung?Oder hast du mir heimlich einen Peilsender untergejubelt. Damit du auch ja alles unter KONTROLLE hast!?"
"Ich... ich..." stammelte sie erneut und keines der Worte die in ihrer Kehle steckten machte einen Sinn, wenn sie es herausbringen würde. Also ließ sie sie wo sie waren.
Er ging nun zurück zum Tisch und nahm einen der Kaffebecher und hielt ihr ihn hin.
"Kaffee..?" ,meinte er dann und Claire nahm den Becher stutzig entgegen.
" Ich habe gedacht du... bist...weg" auf einmal kamen ihr ihre eigenen Gedanken völlig absurd vor, "... du warst nicht da und..." reihte sie zusammenhanglos aneinander.
Er legte ihr vorsichtig einen Finger unters Kinn und zog sie zu sich und küsste sie behutsam.
Ohne es verhindern zu können, liefen ihr mit einem mal die Augen über.
Es war zum verrückt werden, sie hatte über nichts mehr die Kontrolle.
Als Owen sie wieder ansah, wischte sie sich schnell über das Gesicht und schluckte ein paar Mal.
"Und wo hätte ich deiner Meinung nach sein sollen? Zu Hause vielleicht ? Du Kontrollfreak?", fragte er mit nun spöttischem Unterton und versuchte zu überspielen, dass er ihre Tränen durchaus registriert hatte, "ich habe kein zu Hause mehr? Schon vergessen?", meinte er nun bitter.
Es durchzuckte Claire wie ein Stich, als er das sagte und mehr als jemals zuvor, wurde ihr bewusst, dass dies hier für ihn nicht im geringsten ein zu Hause darstellte und sie zweifelte daran, dass es je so werden würde.
"Und bevor du weiter grübelst...Ich habe Flugtickets gebucht...", meinte er dann und hielt ihr nochmal das Handy hin.
"Wohin?", fragte sie entgeistert und hatte das Gefühl, als versagten ihre Beine ihr gleich den Dienst.
"Buffalo, Minnesota...", grinste er, "Tickets in die Karibik fand ich jetzt ein bisschen daneben!" er nickte mit dem Kopf zum Fenster, in die flirrende Morgensonne.
"F..für uns?" ihre Entgeisterung konnte sie immernoch nicht verbergen.
Sie dachte an lauter Ungereimtheiten, die sich auf ihrem Schreibtisch stapelten und dass in Minnesota das Wetter nicht gerade freundlich sein würde. Ebenso an Barry, der mit Anamika irgendwo im Dschungel fest saß, bei SEINEN Dinosauriern. Und jetzt wollte er nach Minnesota mit... IHR?! Und WARUM? Es wollte einfach nicht in ihr Weltbild passen.

Why we really need a 2nd one!       © Lina Schön OKTOBER 2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt