Kapitel 5

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Kapitel 5

Die nächsten Tage verlaufen ziemlich ähnlich, aber irgendwie auch viel besser.
Michael schenkt mir immer ein kurzes Lächeln, wenn er mich sieht, und das hebt meine Stimmung jedes Mal total an. Luke wirft mir dann immer einen undefinierbaren Blick zu, sagt aber nichts. Es ist Calum, der mir am Donnerstag in Englisch vorschlägt, dass ich ihn doch fragen soll, ob er mal mit uns essen will. Dann müsse er nicht alleine sitzen.
Sobald also die Klingel ertönt und unsere Lehrerin uns gehen lässt, drehe ich mich in meinem Stuhl um und grinse Michael breit an. Er lächelt leicht zurück, richtet sich sein schwarzes Pony und er beißt sich auf seine pinken Lippen.
„Du kennst Luke und Calum?", frage ich Michael relativ leise und deute mit dem Daumen über meine Schulter auf meinen Bruder und seinen Freund.
Michael schaut zu ihnen und macht dann eine Bewegung zwischen Kopf schütteln und nicken. Ich lege meinen Kopf schief und er leckt sich über die Lippen, bevor er mir leise antwortet.
„Calum kenne ich ein bisschen. Und Luke hängt immer mit dir rum."
Ich nicke heftig und strahle ihn an: „Naja, ich wollte fragen, ob du nachher mit uns sitzen willst? Beim Essen", präzisiere ich. Michael blinzelt mich verwundert an und schaut dann wieder zu den Jungs, die bereits ihre Sachen zusammengepackt haben, aber noch auf mich warten.
„Ist das denn okay?", fragt er leise und schaut weiter die Jungs an.
„Ich hab's vorgeschlagen", grinst Calum ihn breit an und Luke zuckt mit den Schultern, schenkt Michael dann aber ein minimales Grinsen.
„O-okay", stimmt Michael vorsichtig zu und ich grinse ihn breit an.
„Cool!", freue ich mich und stehe jetzt auch endlich auf: „Ich freue mich!"
„Danke", lächelt Michael und schaut uns alle drei der Reihe nach an. Dann steht auch er auf und ich warte auf ihn, damit wir zusammen mit meinen Freunden aus dem Raum gehen können. Michael grinst mich immer wieder schüchtern von der Seite an und ich erwidere es nur zu gerne. Ein paar Schritte den Gang hinunter trennen sich aber unsere Wege, weil Michaels Spind in einem anderen Flur ist.

Fröhlich springe ich in der Pause auf meinen Spind zu und werfe alle meine Sachen hinein. Einen Moment später kommt auch Calum an meine Seite und nickt mir kurz zu, bevor er seinen Spind aufmacht. Er wühlt darin herum und ich warte bis er fertig ist. Plötzlich ertönt seine Stimme aus dem Spind.
„Liv?", fragt er und ich brumme ein „Mhm", damit er weiß, dass ich ihm zuhöre.
„Ich find das echt cool von dir", sagt er und schaut endlich wieder aus seinem Spind hervor. Ich wende meinen Blick vom Flur, in dem ich nach Michael oder Luke gesucht habe, ab und zu ihm.
„Was?"
„Dass du dich mit Michael anfreunden willst... Ich hab ja gesagt, dass ich es auch schon versucht hab", sagt er und macht seinen Spind zu.
„Warum hat es nicht geklappt?", frage ich nach und lege den Kopf ein bisschen schief.
Calum verzieht das Gesicht und dann bilden seine sonst so vollen Lippen eine dünne Linie: „Wir haben uns tatsächlich eine Weile unterhalten, aber dann... Ich weiß nicht. Ganz plötzlich hat er wieder angefangen mich zu ignorieren. Pass also bitte auf dich auf, okay? Ich weiß nicht, warum er es damals bei mir gemacht hat und ich will nur nicht, dass er dich verletzt, gut?"
Ich schaue Calum in die Augen und sehe, dass er sich ehrlich Sorgen macht. Er will weitersprechen, aber Luke unterbricht uns.
„Lass mich mal", sagt er und schubst Calum leicht von seinem Spind weg. Calum verdreht die Augen und lässt Luke an seinen Spind gehen. Als sich Luke vorbeugt und in seinen Spind schaut, fange ich Calums Blick auf, der eindeutig sagt, dass er sich Sorgen macht, aber irgendwie auch freut.

„Michael!", ruft er auf einmal und winkt los. Ich schaue über meine Schulter und sehe den Schwarzhaarigen von einem anderen Flur abbiegen. Er stockt und dreht sich langsam zu uns um. Seine Augen treffen meine und seine Gesichtszüge entspannen sich. Ein sanftes Lächeln legt sich auf seine Lippen und er senkt den Blick. Eine Sekunde habe ich Angst, dass er einfach weitergeht, aber er dreht sich ganz zu uns und kommt mit langsamen aber großen Schritten auf uns zu.
„Hi", sagt er leise und schaut dann zu Luke hoch.
„U-uhm... Ich bin Michael", sagt er vorsichtig und streckt Luke seine Hand hin. Luke blinzelt ihn total verwirrt an und schaut dann auf seine Hand. Ich stupse ihn sanft an und er schüttelt sich. Dann nimmt er Michaels Hand an und schüttelt sie kurz: „Weiß ich. Calum hat's uns gesagt und Liv redet von dir."
Ich klatsche mir diesmal nicht nur gedanklich die Hand gegen die Stirn und Calum kichert leise. Auf Michaels Lippen legt sich ein Grinsen: „Wirklich?", fragt er und dreht sich zu mir.
„Natürlich erzähle ich es Luke, wenn ich jemanden kennenlerne", sage ich und lächle Michael lieb an.
„Die erzählen sich alles", sagt Calum und verdreht die Augen, grinst dann aber trotzdem. Gleichzeitig strecken Luke und ich ihm die Zungen raus und er schüttelt lachend den Kopf. Michael schaut uns interessiert zu und leckt sich dann über die Lippen.
„Seid ihr... Seid ihr-", fängt er an, aber Luke unterbricht ihn sofort: „Nein, wir sind nicht zusammen. Wir sind Zwillinge."
Michael zuckt kurz zusammen und beißt sich auf die Lippe: „Ich wollte Geschwister vorschlagen."
„Oh", lacht Luke und grinst ihn dann an. Er hasst es, wenn jemand uns fragt, ob wir ein Paar sind. Nur weil wir uns gut verstehen... Ich verstehe das manchmal auch nicht.
„Lasst uns essen gehen", schlägt Calum dann vor und zum ersten Mal muss ich nicht alleine hinter meinem Bruder und Calum hertrotten, während sie sich über etwas unterhalten. Klar, sie binden mich in ihre Gespräche ein und recht oft ist auch Calum das fünfte Rad am Wagen... Aber trotzdem fühlt es sich gut an, dass plötzlich Michael neben mir ist und wir zusammen hinter ihnen herlaufen.
„Wie geht's dir?", frage ich ihn und schaue zu ihm auf. Er ist ein paar Zentimeter größer als ich, das ist mir vorher noch gar nicht aufgefallen.
„G-gut", sagt er langsam und schaut dann auf mich runter: „Dir?"
„Auch", antworte ich und er lächelt. Luke und Calum machen die Tür auf und wie immer will Luke sie auch für mich aufhalten, aber Michael löst ihn an der Tür ab und lässt mich vorgehen. Luke beäugt ihn eine Sekunde, geht dann aber mit Calum weiter an unseren üblichen Tisch. Ganz automatisch lassen wir alle unsere Taschen fallen und fangen an nach unserem Geld zu suchen. Nur Michael bleibt einfach stehen und wartet.
„Leg deine Sachen ab. Ich warte hier", sagt Luke zu ihm.
„Holst du dir nichts?", fragt Michael ihn und legt seine Tasche neben meiner ab.
„Olivia macht das für mich", sagt er und drückt mir ein bisschen von seinem wöchentlichen Essengeld in die Hand. Ich stopfe seins und mein eigenes in meine Hosentasche und warte ungeduldig darauf, dass Calum und Michael fertig werden. Sie schaffen es schließlich auch und wir stellen uns zu dritt in die Essensschlange.
„Oooh... Pizza", flüstert Michael aufgeregt und ich drehe mich belustigt zu ihm um. Er grinst mich schüchtern an und erklärt Calum und mir, dass Pizza sein absolutes Lieblingsessen ist.
„Ist gespeichert", kichere ich zurück und wir beladen unsere vier Tabletts mit Pizza und Getränken und einem kleinen Nachtisch. Wir bezahlen und ich will schon Lukes und mein Tablett in jeweils eine Hand nehmen und es zu unserem Tisch balancieren, als mir eine andere Hand eins abnimmt.
„Lass mich", murmelt Michael.
„Musst du nicht", sage ich, aber er schüttelt nur den Kopf und geht los. Calum schenkt mir ein kurzes Grinsen und dann holen wir schnell zu Michael auf.
„Du hast das von Luke", sage ich ihm und er nickt. Wir kommen am Tisch an und Luke lächelt Michael dankbar an: „Cool. Ich hab immer Angst, dass Liv alles fallen lässt und Cal ist sich zu fein, um ihr zu helfen."
Calum zuckt bloß mit den Schultern: „Nicht mein Job dich zu bedienen."
Wir setzen uns hin und Michael schiebt Luke sein Essen rüber. Dann macht er sich über sein eigenes her. Es ist einen Moment ruhig am Tisch, weil wir alle einfach nur hungrig sind. Dann aber nickt Luke zu Michael rüber: „Hast du so schwarze Haare?"
Michael schüttelt den Kopf und schielt nach oben, um auf seine Haare schauen zu können. Ich muss kichern, weil es einfach zu niedlich aussieht.
„Gefärbt", antwortet er und beißt dann wieder in seine Pizza hinein.
„Eigentlich ist er blond", sagt Calum und wird ein bisschen rot, grinst aber auch, als Michael ihn überrascht anschaut. Calum zuckt dann nur mit den Schultern und sagt: „Wir sind schon ewig in einem Jahrgang. Natürlich hab ich dich schon gesehen, als du noch blond warst."
Michael lächelt ihn an und Calum erwidert das Lächeln. Dann wendet Michael sich an Luke und mich: „Ihr seid erst seit diesem Jahr hier, oder?"
Luke nickt nur.
„Umgezogen oder so?", fragt Michael wieder und ich merke richtig wie er auftaut und auch anfängt lauter zu sprechen. Dennoch passt es weder Luke noch mir, dass er uns gerade diese Frage stellt. Ich beiße mir auf die Lippe und Luke schaut mir in die Augen. Dann schaut er wieder zu Michael und sagt mit recht scharfem Ton: „Nee, einfach Schule gewechselt."
„O-oh", murmelt Michael und schrumpft sofort wieder in sich zusammen. Sofort tut mir Leid, wie scharf Luke reagiert hat, aber... wir reden einfach nicht gern drüber.
„Mach dir nichts draus. Mehr hab ich aus den beiden auch noch nicht rausgekriegt", sagt Calum fröhlich und lockert damit die Stimmung wieder ein bisschen. Michael wirft mir einen fragenden und zugleich besorgten Blick zu, aber ich beiße einfach wieder in meine Pizza. Er macht es mir gleich und wir unterhalten uns ab und an leise zwischen den Bissen.

Nach dem Essen verabschiedet sich Michael leise im Flur von uns und geht in eine andere Richtung davon. Ich sage ihm noch, dass wir uns bald in Bio sehen und er lächelt mich an, dann verschwindet er. Ich drehe mich wieder zu Calum und Luke und zu dritt laufen wir zu unseren Spinden, um unsere Musiksachen zu holen.
„Okay, also ihr kommt heute zu mir?", fragt Calum und schaut uns beide an.
„Ähhh...", macht Luke und ich nicke: „Wir sollten diesen Ashton kennenlernen?"
„Ganz genau!", grinst Calum breit und auch Luke fängt an zu grinsen.
„Also kann er?"
„Ja, er freut sich auf euch. Er hat gesagt, es ist super, wenn man schon ein paar Leute vorher kennt. Er hat wohl echt Angst ganz allein zu sein, wenn er hier an die Schule kommt."
„Ist er denn cool?", frage ich Calum und schultere wieder meinen Rucksack in exakt dem selben Moment, wie Luke es tut. Dann machen wir gleichzeitig unsere Spinde zu und drehen uns um, um loszugehen.
„Ziemlich. Er ist sportlich, spielt Schlagzeug und Saxophon und sein Hund ist so mega süß!", fängt Calum an zu schwärmen und sofort werden Luke und ich beschützerisch: „Ist Molly etwa nicht süß?"
„Doch natürlich!", gibt Calum zurück und schaut uns mit großen Augen an: „Molly ist ein toller Hund, aber Indie ist auch echt goldig!"
Er erzählt uns von dem Hund und wie er wohl ein paar Mal mit ihm spazieren gehen durfte, weil Ashton ja noch nicht ganz umgezogen ist und seine Mum so manchmal alleine mit Indie im neuen Haus ist. Am Ende fängt der Unterricht an und mir fällt auf, dass ich Ashtons Hund jetzt fast besser kenne als Calum selbst. Dabei wollte Calum uns doch eigentlich was von Ashton erzählen?
Ich muss bei dem Gedanken ein bisschen Lachen und Luke fängt meinen Blick ein. Ich nicke zu Calum rüber der immer noch ein bisschen verträumt aussieht, obwohl der Unterricht begonnen hat, und auch Luke lacht schnaubend auf. Er weiß genau, was ich meine.

„Wie ist Ashton so?", probiert Luke es nochmal, sobald Mrs Trace den Unterricht beendet.
„Cool", ist alles was Calum sagt und ich seufze: „Geht's ein bisschen genauer?"
„Wieso? Ihr lernt ihn doch später kennen?"
„Ich wäre gerne vorbereitet?", gebe ich zurück und Luke nickt.
„Okay... Er ist zwei Jahre älter, also macht er dieses Jahr seinen Abschluss bei uns an der Schule. Er hat zwei jüngere Geschwister... uh... Er mag die selbe Musik wie wir... Was noch?", fragt Calum und kratzt sich am Kinn.

Ich zucke mit den Schultern und bleibe stehen. Die Jungs müssen jetzt in eine andere Richtung als ich.
„Soll ich dich nach Bio abholen?", fragt Luke mich vorsichtig.
Ich beiße mir auf die Lippe und schüttle den Kopf. Normalerweise hat Luke mich immer nach der letzten Stunde abgeholt, damit wir zusammen zum Bus gehen können, oder ihn zusammen verpassen. Vorgestern habe ich ihn darum gebeten am Bus auf mich zu warten, weil ich nach Bio mit Michael zusammen aus der Schule gehen wollte.
„Okay. Pass auf dich auf und falls du den Bus nicht kriegst oder Michael dich nicht zur Haltestelle bringen kann, ruf mich an oder schreib mir, ja?", fragt Luke ganz ernst und greift mich nicht gerade sanft am Arm, damit er mit Sicherheit meine ungeteilte Aufmerksamkeit hat.
„Mach ich", verspreche ich ihm. Er hält noch einen Moment den Blickkontakt, dann dreht er sich um und geht mich Calum davon.
Luke ist weder sehr stark noch sonderlich furchteinflösend, aber er möchte mich trotzdem vor allem beschützen. Mir geht es umgekehrt genauso, aber sein Beschützerinstinkt ist doch noch einen Ticken mehr ausgebildet als meiner.
Ich stoße die Tür vom Gebäude auf und gehe in das andere hinein.
Luke macht sich nur Sorgen um mich und obwohl er manchmal damit nerven kann, liebe ich das an ihm. Er würde mich niemals alleine lassen und ich kann immer auf ihn zählen. Er kann mir zwar nicht immer helfen, aber wenn wir untergehen, dann gehen wir zusammen unter. Das haben wir oft genug bewiesen.

Ich schaue mich auf dem Hof um, kann Michael aber nirgends entdecken. Ich mache mir aber nichts draus und gehe schnell in den Unterricht. Ich setze mich auf meinen neuen Platz in der letzten Reihe. Der Fensterplatz neben mir ist der von Michael und ich merke gar nicht, wie sich ein Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitet, sobald ich an ihn denke.
Und wie heißt es so schön? Wenn man vom Teufel spricht, dann kommt er auch.
Aus einem Bauchgefühl heraus schaue ich hoch und sehe, wie Michael mit gesenktem Kopf und leisen Schritten durch den Raum geht. Ich bin schon bereit ihn zu begrüßen aber er schaut mich gar nicht an und dreht sich weg. Anstatt an seinen üblichen Fensterplatz neben mir zu kommen setzt er sich ans andere Ende der Reihe ganz an die Wand. Ich runzle die Stirn und schaue ihn an. Er packt leise seine Sachen aus und starrt dann auf seinen Tisch. Er hat die Kapuze von seinem Pulli über seinen Kopf gezogen und ich kann kein bisschen von seinem Gesicht sehen.
Ohne nachzudenken raffe ich meine Blätter und mein Buch zusammen und presse mit einem Arm alles an meine Brust. Mit der zweiten Hand klemme ich mir mein Mäppchen unter mein Kinn und greife dann nach meiner Tasche. Ein bisschen unbeholfen stolpere ich die Reihe entlang und lasse mit einem erleichterten Seufzen alles auf den Platz neben Michael fallen.
„Hey, was soll das? Tut das Sonnenlicht deiner Vampirhaut heute besonders weh oder wieso sitzt du hier?", frage ich und plumpse auf meinen Platz. Ich brauche eine Sekunde, in der ich schaue, dass ich unterwegs nichts verloren habe, dann schaue ich Michael an. Er starrt einfach weiter auf seine Sachen und scheint mich zu ignorieren.
Ich runzle die Stirn und drehe meinen ganzen Körper ihm Stuhl zu ihm.
„Michael?", frage ich, aber er reagiert nicht.
„Michael", versuche ich es erneut, nur leiser, aber drängender. Als er wieder nicht reagiert, strecke ich meine Hand nach ihm aus, um ihn an der Schulter anzutippen, aber bevor ich ihn berühren kann, dreht er seine Schulter von mir weg.
„Mikey... Was ist los?", der Spitzname rutscht mir einfach über die Lippen, aber scheinbar hat es einen Effekt auf ihn.
„M-Mikey?", wispert er leise und dreht sich einen Millimeter zu mir. Ich kann ein bisschen von seinem Gesicht erkennen und sehe, dass er zu mir schielt.
„Was ist los?", frage ich.
Er schluckt so laut, dass selbst ich es hören kann, und schüttelt dann vehement den Kopf und dreht sich zur Wand.
Jetzt habe ich genug von ihm. Ganz am Rand nehme ich wahr, wie unser Lehrer in den Raum kommt und mit dem Unterricht anfangen will, aber ich habe was Anderes vor. Ich strecke meine Hand erneut nach Michael aus, aber diesmal ist sein Gesicht mein Ziel. Obwohl er zurückzuckt, lege ich meine Hand an seine Wange und drehe ihn zu mir. Er wehrt sich, aber dann lässt er mich seinen Kopf zu mir drehen. Er schaut auf den Boden zwischen uns, aber auch das will ich nicht.
„Michael, schau mich an. Was ist los?", frage ich leise und höre die Begrüßung unseres Lehrers. Es kann sich nur um Sekunden handeln, bis wir Ärger kriegen, weil wir weder zuhören, noch still sind.
Dennoch schiebe ich meine Hand unter sein Kinn und drücke es sanft nach oben.
Ich schnappe schockiert nach Luft.
„Oh mein Gott, Mikey! Wo hast du das her?", frage ich ihn leise und starre auf die dunkelblaue Haut rund um sein Auge. Nicht nur ist die Haut verfärbt, das Auge ist auch fast komplett zugeschwollen.
Er dreht sich sofort weg und schaut wieder auf seine Sachen.
„Michael, rede mit mir", flehe ich regelrecht.
„Nein", sagt er leise.
Ich greife wieder nach seinem Gesicht und schiele kurz nach vorne. Mr Smith fängt gerade an die Hausaufgaben einzusammeln, also hab ich noch einen Moment Zeit. Ich drehe Michael wieder zu mir und er schaut mich aus traurigen Augen an.
„Lass mich bitte", flüstert er und ich sehe, wie sich Tränen in seinen grünen Augen sammeln: „Bitte rede nicht mit mir. Bitte hör auf."
„Niemals... Tut es sehr weh?", frage ich und kann nicht anders als meine Hand von seiner Wange ein wenig hochzuschieben und streiche zart über die verfärbte Haut. Er saugt mit einem Zischen die Luft ein und verzieht sein Gesicht. Sofort reißt er seinen Kopf herum und aus meiner Hand heraus. Das ist genug für mich, um zu wissen, dass es ein wirklich heftiges blaues Auge ist. Meine Hand schießt in die Höhe und ich schnipse mit den Fingern.
Mr Smith schielt zu mir, sammelt aber weiter die Hausaufgaben ein. Ich schnipse weiter und plötzlich reißt Michael meinen Arm runter.
„Was machst du?"
„Ich gehe mit dir zur Schulschwester. Ich will nur Mr. Smith Bescheid sagen", erkläre ich und will meine Hand wieder heben, aber Michael hält mich fest am Ellenbogen fest.
„Nein, hast du nicht gehört? Lass mich bitte in Ruhe. Es ist besser für dich!", zischt Michael mir zu. Ich schaue ihm in die Augen und sehe, wie ernst ihm das ist.
Mir schießt durch den Kopf, was Calum mir gesagt hat. Dass Michael ihn irgendwann plötzlich ignoriert hat. Das lasse ich nicht zu.
„Nein, Michael. Du hast mich jetzt am Hals. Ob du willst oder nicht. Und ich kümmere mich um meine Freunde", zische ich zurück und hebe meine anderen Arm und schnipse wieder.
Etwas genervt kommt Mr Smith rüber und stellt sich mit verschränkten Armen vor mich.
„Was gibt es so dringendes, Hemmings?"
„Michael... Er hat sich verletzt. Darf ich ihn zur Krankenschwester begleiten?", frage ich und senke meine Stimme. Es muss ja nicht jeder mitbekommen.
Mr Smith hebt eine Augenbraue und dreht sich zu Michael.
„Was fehlt dir?", fragt er. Michael antwortet nicht, sondern schaut wieder auf den Boden.
„Er hat ein blaues Auge. Mein Bruder Luke und Calum und er haben vorhin draußen ein bisschen Ball gespielt und er hat ihn voll abbekommen... Ich fühle mich verantwortlich dafür und will helfen", lüge ich ohne mit der Wimper zu zucken.
„Wenn ihr nicht spielen könnt, solltet ihr den Ball zuhause lassen. Aber geht ruhig. Bitte seid aber vor Ende der Stunde zurück, damit ihr die neuen Hausaufgaben mitbekommt, in Ordnung?"
Ich strahle Mr Smith breit an und nicke. Er seufzt und streckt seine Hand aus. Ich reiche ihm meinen Zettel und auch Michael holt seine alte Hausaufgabe heraus und reicht sie dem Mann. Der verzieht das Gesicht, als Michael ihn kurz anschaut.
„Das solltest du wirklich zumindest kühlen...", sagt er leise und geht dann wieder zurück und sammelt die anderen Hausaufgaben ein.
„Komm schon", sage ich, aber Michael rührt sich keinen Millimeter.
„Komm", verlange ich und greife seinen Arm. Er zieht ihn zurück, aber nach einer Sekunde seufzt er und gibt sich geschlagen. Langsam lässt er sich auf die Beine ziehen und unter den Blicken aller unserer Mitschüler gehen wir eilig aus dem Klassenraum heraus.

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