Jetzt heul nicht rum, Prinzessin!

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„Wir haben noch ein Bett im Gästezimmer", meinte Ellen zu Sophia. „Ach, warte, Engel müssen gar nicht schlafen, oder?"

„Ich weiß nicht", antwortete Sophia. „Ich bin jedenfalls nicht müde."

„Naja, vielleicht magst du ja ein wenig fernsehen oder etwas lesen, bis es hell wird?", schlug Ellen vor. „Wenn du den Fernseher einschaltest, dann stell ihn bitte leise. Ich brauche noch ein paar Stunden Schönheitsschlaf ..."

„Ich denke, ich bin eher fürs Lesen. Habt ihr hier Bücher über Engel? Ich glaube, ich sollte vielleicht ein bisschen mehr über meine ... naja, Spezies herausfinden, oder? Wer weiß, vielleicht kommen dabei sogar ein paar Erinnerungen wieder hoch?"

„Das ist eine klasse Idee", nickte Dean. „Sam hat in den letzten Monaten sehr viel Zeit bei Bobbys Bibliothek verbracht. Ich bin mir sicher, er kann dir am schnellsten alle Bücher hinlegen, die du lesen möchtest. Sam macht das bestimmt nichts aus, nicht wahr, Sam? Er konnte eh nicht einschlafen."

„Schlafprobleme?", erkundigte sich Sophia.

„Jep, unser lieber Sammy hier hat seit mindestens zwei Tagen kein Auge zugedrückt", erklärte Dean ihr, worauf Sam seinen Bruder böse anfunkelte.

„Ist das wahr, Sam? Das klingt aber nicht gesund ...", runzelte Sophia die Stirn. „Hast du schon länger Probleme beim Einschlafen? Was könnte die Ursache sein? Hast du Albträume?"

„Nein, nein, mein Bruder übertreibt bloß, so wie immer", winkte Sam ab. „Ähm, ich hol dir mal die Bücher! Ich schätze mal, du solltest wohl mit der Bibel anfangen ..."

„Hab ich was Falsches gesagt?", fragte Sophia unsicher, als Sam los flitzte.

„Ach, Quatsch, mach dir da keine Gedanken!", winkte Dean schmunzelnd ab. „Du wirst es schon noch irgendwann verstehen ... hoffentlich ..."

***

„Wo ist Sophia?", fragte Sam, als er vormittags in die Küche kam. Er war dann auf Sophias Bitte hin doch ins Bett gegangen und hatte noch ein paar Stunden Schlaf abgekriegt.

„Sie ist mit Mom einkaufen gegangen", antwortete Jo ihm. „Sie müssten gleich zurück sein."

„Ich kann es immer noch kaum fassen, dass sie wirklich wieder da ist", meinte Sam.

„Naja, sie ist ja nicht ganz wieder da", warf Adam ein. „Aber das wird schon wieder!"

„Was, wenn nicht?", fragte Sam.

„So darfst du nicht denken", widersprach Dean. „Sie wird sich schon irgendwann wieder erinnern ... Ganz bestimmt!"

„Aber du kannst es nicht mit Sicherheit sagen", murmelte Sam deprimiert.

„Jetzt heul nicht rum, Prinzessin!", schnaubte Bobby. „Vielleicht ist es ja auch besser, wenn sie sich nicht erinnert? Ich würde mich jedenfalls nicht an fast 200 Jahre erinnern wollen, in denen ich mit dem Teufel gefangen war! Oder daran, dass mein Bruder, mit dem ich fast mein ganzes Leben verbracht hab, von meinem anderen Bruder getötet wurde! Nicht zu vergessen, die Erinnerungen an meinen Vater, dem es scheißegal ist, was hier so alles vor sich geht ... Würdet ihr euch etwa an all das erinnern wollen?"

„Du hast absolut Recht, Bobby", stimmte Sam ihm schuldbewusst zu. „Dann erinnert sie sich halt eben nicht daran, mich je geliebt zu haben. Damit muss ich einfach klar kommen. Sie hat so viel durchgemacht, was sie gar nicht verdient hat ... bloß, weil sie ständig alle anderen an erster Stelle setzt statt mal an sich selbst zu denken ..."

„Sam, wir alle haben eine Menge Scheiß durchgemacht, was wir nicht verdient haben", meinte Dean. „Durch das Löschen der Erinnerungen macht man das alles doch nicht ungeschehen. Stell dir mal vor, du wüsstest nicht, wer du bist. Also ich weiß nicht, wie es dir gehen würde, aber ich käme mir ganz schön verloren vor."

LilienmondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt