Kap. 6: Dubiety

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„Nic...", brachte Kate hervor.

Es war einer dieser Momente, die Sekunden andauern, aber einem als so lange erscheinen. Auf einmal ist da Platz für tausend Gedanken pro Sekunde, auf einmal sieht das Auge jede noch so kleine Rührung seines Gegenübers. Jede noch so kleine Veränderung in Nics Gesicht, und Kate hätte es gesehen. Doch da war nichts. Sekunden lang war da einfach nichts. Fast emotionslos blickte er ihr entgegen, seine eisblauen Augen bohrten sich in die ihren und doch war  da nichts. Nicht einmal die kleinste Rührung. Und das half Kate alles andere als weiter. Sie wollte, dass er endlich etwas sagte, endlich zeigte, was er empfand. Aber egal, wie sehr sich Kate auch bemühte, seine Gefühle zu deuten, das Pokerface, dass er aufgesetzt hatte, ließ einfach keine Gefühle durch. Wie lange es Letzt endlich gedauert hatte, bis Nic ihr antworte, wusste Kate nicht zu sagen. Vielleicht waren es nur wenige Sekunden. Vielleicht waren es wenige Minuten. Aber ihr kamen es vor wie Stunden. Nic wusste nicht, warum ihre Beziehung zu Ende gegangen war. Er wusste nicht, dass Kate ihn mit Chris betrogen hatte. Gott, er wusste ja nicht einmal, dass da etwas zwischen Kate und Grey war. Und genau das war es, was Kate immerzu ein schlechtes Gewissen bereitete. Das, und die Tatsache, dass sie Nic benutze hatte, als Lückenbüßer. Er war da, als sie jemanden brauchte. Er hatte sich in sie verliebt und sie hatte ihn benutzt, um ihren Schmerz ein wenig weniger schmerzvolle zu machen. Er war ihr Taschentuch gewesen, ihr Taschentuch für ihr blutendes Herz.

„Kate", antwortete er schließlich. Ein Wort. Ein einziges, verdammtes Wort, dass weder Emotionen zeigte, noch irgendetwas anderes. Unbehagen füllte Kate und sie sah sich Hilfe suchend nach Tom um. Doch wie sollte er ihr helfen, er wusste ja nicht einmal, wer gerade vor ihnen stand. Und dann, veränderte sich erneut alles, innerhalb weniger Sekunden. Nics Lippen verzogen sich zu einem Lächeln  und er längte seine strahlend weißen Zähne frei, während er fragte:

„Seit wann bist du Cheerleader? Und überhaupt, seit wann gehst du hier auf College?"

Und wieder war Kate diejenige, die sprachlos war. Sie hatte alles erwartet. Wirklich alles. Sie hatte erwartet, dass er sie anfahren würde, ja sie hatte sogar geglaubt, er  würde sie einfach ignoriert. Auf all das hatte sie sich geistig und seelisch eingestellt, hatte sich darauf eingestellt, dass das Unbehagen in ihr wegen den Dingen, die sie getan hatte, nach diesem Aufeinandertreffen weiter wachsen würde. Doch damit hatte sich nicht gerechnet. Nie im Leben hatte sie geglaubt, dass er sie anlächeln würde. Und nie im Leben hatte sie geglaubt,  dass da tatsächlich etwas in ihr war, das sich rührte, als sie ihn lächeln sah, mit den funkelnden blauen Augen, die so voller Wärme waren.

„Ehh", fing Kate an und hatte tatsächlich Mühe, ihren Blick von dem seinen zu lösen, „ich fange nächstes Semester hier an und habe gedacht, dass ich mal etwas neues anfangen sollte. Zur Abwechslung."

„Das hast du mir nie erzählt", sagte er, ohne sein Lächeln zu unterbrechen.

„Ich wusste noch nicht, was ich machen will, als wir...", begann Kate, unterbrach sich aber selber, während sie ihren hochroten Koof senkte. Dafür, dass sie nie wirklich etwas für Nic empfunden hatte, machte ihr dieses Treffen ziemlich viel aus. Und das gefiel ihr gar nicht. Sie wollte lieber wieder diese Neutralität bei ihm spüren, so wie früher.

„als wir noch zusammen waren", beendete Nic den Satz für sie, wieder, ohne sein Lächeln zu unterbrechen. Kate hörte, wie Tom neben ihr scharf die Luft einzog. Na Klasse.

„Ja", stimmte Kate zu und zwang sich, ihm wieder in die Augen zu sehen. Innerlich hoffte Kate, dass sie Nic nicht oft über den Weg laufen würde. Sie wusste, dass diese Gedanken falsch waren, dass es unverschämt war, so was auch nur zu denken, geschweige denn, es sich zu wünschen. Doch sie konnte nicht anders. Da waren einfach viel zu viele Gefühle, viel zu viele Erinnerungen, die Nic in ihr wachrüttelte. Sobald sie ihn sah, war alles wieder da: Marie, mit aufgeknöpfter Bluse und chaotischen Haaren, die gerade aus Chris' Klassenzimmer trat. Chris, der sie an die Wand drückt, und sie küsst, mit so viel Leidenschaft, soviel Gefühl, dass sie gar nicht glauben würde, dass er sie kurz davor als Schlampe bezeichnet hatte, hätte sie es nicht selbst gehört. Wäre sie nicht selbst da gewesen, hätte seinen Körper nicht auf ihren gespürt. Hätte sie nie gehört, wie er ihr sagte, dass er sie liebte, immer und immer wieder, und dass sie einen Fehler machte. Hätte sie nie den festen griff seiner großen, rauen Hände an ihren Handgelenken gespürt. Doch sie hatte das alles und das schlimme war, dass das damals auch nur der Anfang war. Sie bemühte sich zwar, die meiste Zeit die Gedanken daran im Minimum zu halten, doch jetzt, als sie direkt vor Nic stand, war plötzlich alles wieder da. Er wusste zwar nichts von all dem, doch sie brachte alles mit ihm in Verbindung. Deshalb hoffte sie, so wenig wie möglich mit ihm zu tun zu haben, auch wenn sie wusste, dass diese Hoffnung nicht richtig war. Außerdem war da dieses komische Gefühl in ihr und Kate hatte Angst, dass es wachsen würde, würde sie mehr Zeit mit Nic verbringen.

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