Kap. 12: You don't know anything 'bout me.

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Es dauerte keine 5 Minuten, bis Kate ihre Sachen schnell in ihre Handtasche geworfen und zusammen mit Chris aus der Tür zu seinem Auto gestürmt war. Sie hatte nicht einmal richtig  realisiert, dass Chris wieder bei ihr war. Sie hatte sich nicht einmal mehr von Carolin verabschiedet, die sie mit offenem Mund angestarrt hatte, als sie zusammen mit Chris zurück in das Wohnzimmer getreten war. Kate war nur hastig in ihr Zimmer geeilt, hatte ihr Handtasche, nachdem sie die Hälfte ihrer Klamotten aus dem Schrank geworfen und im ganzen Zimmer verteilt hatte, genommen und sie mit den wichtigsten Dingen gefüllt, und war wieder nach unten zu Chris gerannt. Caro hatte sie Verständnis- nein, mitleidsvoll angeguckt. Kate hatte ihr nur schnell zugenickt. Sie hatte es nicht ertragen können, einen solchen Blick auf sich zu spüren. Dieses ‚es-tut-mir-ja-so-leid‘ Gefühl, dass Caro ihr damit ausdrücken wollte, war ihr förmlich die Kehle umgestiegen. Ihr Kehle hatte sich zugeschnürt und sie hatte das Gefühl gehabt, beinahe an ihrem Mitleid erstickt zu sein. Meistens ist es nicht das, was uns eigentlich verletzt, was uns weh tut… Nein, es ist das Mitleid, was uns die anderen spüren lassen. Das ist es, was Kate die Kehle zugeschnürt hatte. Dieses Mitleid, das ihr bewusst gemacht hatte, dass es wirklich war. Dass sie sich nicht verhört hatte. Es lag förmlich in der Luft, dass ganze Mitleid, und Kate zog es ein, mit jeden Atemzug ein wenig mehr. Und damit wuchs auch der Schmerz in ihrer Brust, der Angst davor, was ist. Kate hatte nicht einmal Chris gefragt, was mit ihrer Mutter ist. Vielleicht hatte sie es einfach vergessen. Vielleicht aber, hatte sie es auch einfach gar nicht wissen wollen. Vielleicht wäre es einfach zu viel gewesen. Es hätte es nur noch realistischer gemacht. Und das hätte Kate nicht ertragen können, dass wusste sie. Also lief sie einfach nur stumm neben Chris nebenher, als sie gerade die Treppe hinunter zu seinem Auto liefen. Er sagte kein Wort. Aber er war da. Ihr Chris. Kate hätte weinen können vor Glück, ihn wieder so nahe an sich zu haben. Er war für sie da, jetzt in diesem Moment, auch wenn er sie nicht mal mit der Fingerkuppe berührte. Aber allein seine Anwesenheit in diesem Moment, trotz der Dinge, der passiert waren, zeigten Kate, dass er sie noch liebte. Und sie liebte ihn. So sehr. Doch sie konnte kaum einen Gedanken an seine Rückkehr verschwenden. Zum einen, weil sie Angst hatte, sich einzugestehen, dass er eben nur deshalb zurückgekommen war und nicht, weil er sich dazu entschlossen hatte, wieder bei ihr zu sein. Wieder mit ihr zusammen zu sein. Das hieß es nicht, und irgendwo in sich drin wusste Kate dies auch, doch sie wollte es nicht glaube. Genauso wenig, wie sie seine Präsenz auch nicht genießen konnte. Einfach, weil da nur ein Gedanke in ihrem Kopf war. Ihre Mutter. Die Angst, ihr könnte etwas Schlimmes zugestoßen sein. Ja, was, wenn sie sie nie wieder sehen würde? Was, wenn sie sich nicht einmal mehr von ihr verabschieden konnte? Sie hatte Wochen lang nichts von ihrer Mutter gehört. Weil sie sich nicht gemeldet hatte. Ihre Mutter hatte sich ja nicht einmal melden können, wie denn auch, sie wusste ja nicht einmal ihre neue Nummer. Kate war diejenige gewesen, die sich die ganzen Wochen lang von allem abgeschottet hatte und nun würde es sie vielleicht elend zu stehlen kommen. Jetzt würde es vielleicht nicht mehr reichen, ihre Mutter nur noch einmal in die Arme schließen zu können. Die Frau, die ihr alles beigebracht hatte. Die Frau, die ihr ihr Leben geschenkt hatte. Kate hatte gar nicht gemerkt, wie ihr die Tränen in die Augen gestiegen waren und wie sie nun hemmungslos ihre Wange hinunter liefen, als wäre ein Damm in ihren Augen gebrochen. Ihre Sicht verschleierte sich, sie konnte noch nicht einmal die Stufen vor ihr wahrnehmen und fast auf den Boden fiel, hätte Chris sie nicht davon abgehalten. Kate begann zu schluchzen und dass schluchzen ging in ein schrecklichen Schluckauf über, während sie sich langsam an der Wand rechts von der Treppe hinuntergleiten ließ. Es war ihr egal, wer sie so sehen konnte. Das sie gerade in aller Öffentlichkeit zusammenbrach. Es war ihr alles egal. Alles was sie interessierte, war: Sie war schuld. Sie hatte sich nicht gemeldet. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass es ihrer Mutter nicht gut ging. Erst Chris hatte stundenlang hierherfahren müssen, damit sie es erfuhr. Durch Chris. Chris, der ihrer Mutter so verhasst war. Kate hatte es nur durch ihn erfahren. Ohne ihn… vermutlich erst, wenn sie den Mut dazu aufgebracht hätte, sich bei ihrer Mutter zu melden. Möglicherweise zu spät. Kate schluchzte und schluchzte und hatte gar keine Kontrolle mehr über ihre Atmung. Chris kniete zu ihr nach unten und schlang die Arme um sie. Kate zog den Geruch seines Aftershaves tief in die Nase ein und für einen Moment hatte sie das Gefühl, dass seine Umarmung nur noch alles schlimmer machte, und schluchze nur noch lauter auf. Sein Geruch war so vertraut, es war genau dass, was ihr die letzten Tage so gefehlt hatte. Dies war es, und nicht ihre Mutter. Ihm ging es gut, nicht ihrer Mutter. Chris sagte nichts. Kein Wort. Er hatte einfach nur seine arme um sie geschlungen und sie an seine Brust gedrückt. Hielt sie fest und -vor allem- machte nicht auch nur die geringste Anstalt dazu, sie los zu lassen. Und dass ließ Kate sich schnell besser fühlen. Seine Nähe, sein, anders wie bei Caro, nicht erdrückender Trost. Einfach nur seine Anwesenheit. Das er da war,  wenn sie ihn brauchte, auch wenn sie gerade eigentlich eine Pause eingelegt hatte. Das sie auf ihn zählen konnte. Auf seinen Halt, den er ihr stets bot, egal, in welcher Situation sie sich befanden. Er war einfach da und das tat ihr gut. Auch wenn der Gedanke schmerzte, dass er dies vielleicht nicht lange sein würde. Kate schloss die Augen und zog Chris noch ein wenig näher an sich, zog seinen Duft ein und vergrub ihr Gesicht in seiner Schulter. Geh nicht weg, schien sie sagen zu wollen, bleib hier.

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