Kap. 4: It's Showtime!

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Überall, wo Kate auch hinsah, überall, wirklich überall blickte sie in neugierige Augen, von eingebildeten Besitzern. Neugierige Blicke, die sie praktisch die ganze Zeit von oben bis unten musterten. Die jede Bewegung von ihr aufnahmen und analysierten. Über sie sprachen. Nicht nur gutes, dass sah sie in ihren abschätzigen Blicken. Kaum jemand sah sie wirklich freundlich an. Kaum jemand redete mit ihr. Alle blickten sie nur an. So … bewertend, so abschätzig. So ätzend. Über 50 Leute, die sie alle so anstarrten. Ganz ungeniert. Als wäre sie eine Statue in einem Museum, verdammt. Und jeder dieser Blicke machte Kate mit jeder Sekunde nervöser. Grey hatte zwar erwähnt, dass Kate seine Eltern am folgenden Wochenende kennenlernen würde, allerdings erwähnte er nicht, dass seine Eltern an genau diesem Wochenende ihre Silberne Hochzeit feierten. Und er erwähnte nicht, dass Kate dort im Mittelpunkt stehen würde. Dass die Augen aller auf sie gerichtet sein würdet. Und er hatte auch nicht gedacht zu erwähnen, dass er sie alleine lassen würde und das schon nach wenigen Minuten. Kate unterdrückte ein knurren und versuchte, sie möglichst unscheinbar zu verhalten, aber auch das brachte die anderen nicht davon ab, sie zu beobachten, und zwar ständig. Wenn auch nicht mehr alle. Einige hatten ihren Blick gottseidank bereits abgewandt. Kate bettete, dass auch die anderen das bald tun würde, setzte aber nicht sehr viel Hoffnung daran. Wenn nur Chris auftauchen würde. Wenn er nur jetzt neben ihr säße. Aber nein, er musste seinen Eltern bei irgendetwas helfen. Kate hatte davon keine Ahnung gehabt. Im Allgemeinen hatte sie das Gefühl, sie wüsste über fast gar nichts bescheid. Auch wenn sie in den letzten paar Tagen mehr über Chris erfahren hatte, als in dem ganzen Jahr zuvor. So wusste sie nun zum Beispiel, dass seine Eltern eigentlich nur eine Ehe auf dem Papier führten und das seit na ja, schon immer. Kate hatte darauf relativ geschockt reagiert. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass manche Menschen einfach nur heirateten weil sie… ja was eigentlich? Kate wusste, dass Chris‘ Vater als auch seine Mutter Workaholics waren. Und dass sie ihre Ehe eher als eine ‚nutzvolle Einigung‘ ansahen, besonders, als  Chris‘ Mutter ungeplant schwanger wurde. Sie wollten mit der Hochzeit also praktisch ihr Ansehen verbessern. Nach außen hin hatten sie immer die kleine, glückliche und perfekte Familie gespielt, während sie in Wirklichkeit kaum mal eine Stunde gemeinsam verbrachten. Die erste Frage, die Kate bei Chris‘ Geschichten über seine Kindheit in den Kopf kam, war die, wie ihr es ginge, wenn ihre Eltern ihre Ehe aufrechterhalten hätten, weil sie nach außen hin gut da zu stehen. Dann wären ihre Eltern noch immer zusammen… zumindest nach außen. Kate spürte ein Ziehen in ihrer Brust, jedes Mal, wenn sie an ihren Vater dachte. So lange hatte sie ihn nicht mehr gesehen. So lange. So viele Jahre. Aber nur eine gespielte, gefakete Familie sein? Bei der die Eltern mit anderen Personen ausgehen? Sich nicht lieben? War das wirklich besser? Kate wusste es nicht. Vielleicht, wenn ihr Vater sie nicht verlassen hätte, hätte sie gesagt, dass es besser wäre, wenn sie sich trennen. Aber so… Kate vermisste ihren Vater einfach zu sehr, um sagen zu können, dass es besser sei. Denn sie empfand es nicht so. Alles, was sie spürte, war schmerz und sehnen. Das Sehnen nach einer richtigen Familie. Auch wenn Chris seine Familie nicht als eine solche ansah. Er erklärte ihr, dass für ihn, seine Nannys viel mehr Familie waren, als seine Eltern. Denn diese waren nie für ihn da gewesen. Und wenn, dann spielte er immer nur die 2. Geige. Aber sie taten es immer noch, dieses Spiel nach außen. Sie feierten hier ihre silberne Hochzeit, dabei hatten beide die ganze Zeit andere Partner. Dabei sahen sie sich heute das erste Mal seit Monaten.  Kate verstand einfach nicht, wie man sich auf so etwas einlassen konnte. Sie verstand nicht einmal, wie Chris bei der ganzen Sache mitmachen konnte. Er war so gegen das Ganze und doch würde er in wenigen Minuten mit seinen Eltern auf heile Familie machen. Irgendwie verstand es Kate. Manchmal, sehnt man sich einfach so sehr nach einer richtigen Familie, dass man alles dafür tun würde. Alles. Und dazu gehört eben auch, es zu spielen. Denn egal ob gespielt oder nicht, man ist in diesem Augenblick eine Familie. Und wenn Kate etwas verstand, dann, wie man alles dafür tun würde, eine Richtige Familie zu haben. Denn sie spürte es auch, dass Sehnen nach einer richtigen Familie, das einen alles machen lassen würde. Dann war es so weit: Großer Auftritt der Familie Grey. Die Gäste saßen in dem großen Garten der Familie, in dem mehrere, weiße Pavillons und weiße Tische und Stühle aufgestellt waren.  Der Garten sah traumhaft aus, und dass war noch untertrieben. Ja, eins musste Kate Chris‘ Familie lassen: Sie wussten, wie man sich in der Öffentlichkeit ins richtige Licht rückte. Aber das mussten sie auch, hatte zumindest Chris erzählt. Chris‘ Mutter war eine der erfolgreichsten Rechtsanwältin in Georgia und vertrat im Gericht tagtäglich einige der wichtigsten Personen und Firmen aus ganz Amerika. Chris‘ Vater war erfolgreicher Unternehmer, und zwar richtig erfolgreich. Und von Chris wurde eigentlich erwartet, dass er in die großen Fußstapfen seiner Eltern trat. Als er ihnen eröffnet hatte, dass er Lehrer werden wolle, seien sie ausgerastet, so Chris. Am liebsten hätten sie ihn enterbt, hatte Chris ihr kopfschüttelnd berichtet. Doch das konnten sie nicht, allein schon nicht, weil sie dann richtig schlecht da stehen würden. Deshalb stand später in der Zeitung auch ein großer Artikel darüber, wie die erfolgreichen Eltern den eher normalen Wunsch ihres geliebten Sohnes respektieren. Mit offenem Mund hatte Kate Greys Schilderungen gelauscht. Sie hatte gemerkt, wie nahe ihm das ganze ging. Auch wenn er es nie zeigte. Er versuchte, es zu verstecken. Hinter einer gemauerten Fassade. Fast emotionslos hatte er ihr Sachen erzählt, was Kate nur kopfschüttelnd annehmen konnte. Jetzt sah Kate sie, die Show, die seit Jahren zu Chris‘ Alltag gehörte. Und sie musste zugeben, dass sie das, was sie taten, äußerst glaubwürdig ablieferten. Wüsste Kate nichts davon, hätte sie wirklich gemeint, dass sie eine glückliche Familie wären. Gemeinsam traten sie aus der Balkontür des Hauses, Mr. und Mrs. Grey Arm in Arm und Chris‘ lachend nebendran. Alle elegant gekleidet. Grey trug einen silbernen Anzug mit weißem Hemd und ebenfalls silbernen Krawatte. Kate musste zugeben, dass er, wie er da so stand, lachend an die Türe gelehnt, extrem gut aussah. Aber auch seine Eltern standen ihm in Eleganz in nichts nach. Seine Mutter trug ein wunderschönes, silbergraues Kleid und ihre blonden Haare fielen ihr in Locken auf die Schultern. Sein Vater trug einen ähnlichen Anzug wie er, nur trug er eine schwarze Krawatte. Fast wäre Kate mit offenem Mund dagesessen, so beeindruckt war sie von dem Aussehen der drei. Jetzt wusste sie, woher er sein gutes Aussehen hatte. Es wäre gar nicht möglich, dass er in irgendeiner Weise nicht gut aussehen konnte. Kate riss sich zusammen und fing an, so wie die anderen Gäste zu klatschen. Mrs. Grey winkte lachend, während sie versuchte, das Klatschen der Anderen zu beenden. Sie wirkte so viel netter als wie vor wenigen Tagen, sodass Kate sie beinahe nicht erkannt hatte. Es war unglaublich, wie diese Frau ihre Fassade wechseln konnte. Es wäre fast so, als würde sie sie morgens wie ihre Klamotten anziehen.

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