35. Kapitel

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Pixi war den ganzen Tag draußen in der freien Natur. Ihr Medi-Doc war auch einverstanden damit. War damit aber wohl zu relaxed gewesen, denn zu Pixis Zustand kam jetzt auch noch eine massive Erkältung hinzu. Sie war fiebrig und hustete viel, was die anderen noch besorgter um sie machte. Es gab in der Enklave keine geeigneten Medikamente für sie. "Rosalinde, was wird aus der Sache. Du kennst Pixi ja in und auswendig. Mir gefällt das alles nicht; sie nimmt sichtlich ab und die roten Flecken und der Glanz in ihren Augen. Was meinst du? Was wird? Wird sie daran sterben müssen? Wird alles gutgehen? Rosalinde wiegte langsam ihren Kopf hin und her. "Das glaub ich schon. Dass sie allerdings so fiebert gefällt mir auch nicht. Das Fieber bekommen wir schon runter, aber das allein reicht ja auch nicht. In dieser Loneliness gibt es einfach nicht die Hilfe die Pixi braucht. Pixi muss um sicher Überleben zu können zurück in einen Kubus und dort medizinische versorgt werden. "Oh mein Gott, wenn sie das hört, da wird sie niemals zustimmen".  Und Mister Keith hatte mehr als Recht. Pixi wollte davon nichts wissen. "Nie und nimmer gehe ich dahin zurück. Nein wirklich nicht. Meine Entscheidung ist nicht rückgängig machbar und sollte es mir mein Leben kosten, so ist das so. Dazu stehe ich. Aber so schlimm wird es schon nicht werden. Früher hat man solche Dinge auch ohne Antibiotics überlebt. Warum nicht auch ich. Und nur hier bei euch kann ich wirklich heil werden. Im Kubus stieße ich nur auf ablehnende sterile Hilfe. Und was dann, wie soll es von dort aus weiter gehen? Nein, mit dem Krankentrakt geht es los und mit weiteren Einmischungen in mein Leben geht es weiter. Nein, nein, ich bleibe hier. Ich mag hier nie wieder weg gehen. Das hier ist jetzt meine Heimat". Nach diesem Gespräch ließ man den Plan wieder fallen. Esmeraldos sagte: "Pixis Haltung müssen wir respektieren, denn das sind keine Launen, sie allein muss wissen, was ihr am besten tut. Und was sie gesagt hat, von der Reaktion der Kubusgemeinschaft, wenn sie dort Hilfe einfordert, damit hat sie sicher Recht. Also bleibt sie hier, wenn es nicht das Beste ist, ist es sicher auch nicht das Allerschlechteste".

Das bestätigte sich denn auch. Pixi erholte sich, nahm sogar deutlichzu. Mister Keith entwickelte sich zum "Fütterungsfanatiker". Dabei hatte sie aber einen unstillbaren Bewegungsdrang. Sie verbrachte viele Stunden im Freien und entfernte sich oft galaktisch weit vom Haus weg. "Du gehst immer so allein durch die Surroundings. Das gefällt mir nicht, es ist zwar unwahrscheinlich, dass du da draußen auf jemanden triffst, aber wenn du auf jemanden triffst, dann sicher nicht auf vertrauensvolle Kubujaner. Und all die gefährlichen Tiere rundherum". Diese Worte brachten Pixi zum Nachdenken. Im Grund hatte Sandy recht, aber auf ihre ausgedehnten Spaziergänge wollte sie einfach nicht verzichten. Rosalinde bot sich an sie zu begleiten, aber Pixi lehnte dankend ab: "Dich kann ich einfach nicht mitnehmen Rosalinde, du bist zu unbeweglich, kannst dich nicht gut durch Gestrüpp bewegen und was, wenn dein Akkumodul aussetzt. Nein das geht nicht. Ach, hätte ich doch nur einen Cyperdog wie Robodog2000 hier bei mir. Ja, dann würde ich mich sehr beschützt fühlen. Ich muss derzeit oft an Rollo denken." "Ja, so was wie Rollo wäre hier sicher nützlich. Aber so hochtechnisiert sind wir hier halt nicht".

Es war genau vier Tage nach diesem Gespräch, als Altinterop in sein Workcenter trat. Die helle Morgensonne hatte ihn geweckt, da scheinbar der Automatische Sonnenschutz reparaturbedürftig war und die Sonne bereits früh am Morgen voll in sein Schlafzimmer fiel. Da er schon nun schon wach war, war er gleich aufgestanden und zu seiner Job-Location gegangen. Es gab sicher irgendwas zu erledigen. Vom robotisierten Room-Service ließ er sich ein petite dejeuner bringen. Auf seinem Tabelaccount blitzten zwei Nachrichtenicons auf. Er überflog die Titelzeilen schnell und erkannte, dass eine der Nachrichten von Wüllerero stammten und die andere welch Erstaunen, von Rosalinde. Altinterop wäre nicht Altinterop gewesen, wenn er nicht zuerst die Message von Wüllerero geöffnet hätte. Sie lautete: "Ab heute wird dir Altinterop der Job-Level 850 zugewiesen. Der Rat hat es abgezeichnet und ich gratuliere dir dazu." Altinterop freute sich über die netten Zeilen, viel mehr sogar als über die Aktivierung des neuen Score-Levels. Denn seit dem Tag an dem er Esmeraldos zur Unperson erklären hat lassen, sah er viele Dinge anders und relativierte viele seiner früheren Einstellungen. Was war Skillfullness und höhere Scores schon wert. Konnte man die essen? Machten die einen glücklicher? Und er bemerkte nach und nach, dass seine Chance auf Glück und Zufriedenheit vorbei war, da diese Gefühle an andere Zeiten, Menschen und Umstände gebunden gewesen waren. Alles andere gab ihm seit dem nur Scheinbefriedigung. Und das konnte er jetzt unterscheiden. All dieses Score-Getue war nur Schein und eigentlich Desrealität. Was bewirkte man dadurch wirklich? Fühlte er sich dadurch besser, glücklicher? Nein, das spürte er umso deutlicher, diese Gefühle waren schal und leer. Altinterop versuchte sich damit zu trösten, dass es ihm schließlich ganz gut ginge, er genug zu essen, zu trinken, zu tun hätte, in einem sicheren Kubus lebte und all die täglichen Dinge des Lebens ungestört vollziehen konnte. Wenn einem die 720 Minuten eines zwölfstündigen Tages ohne besonderen Ärger vergehen, so lässt sich von einem glücklichen Tag sprechen." Er war wirklich in einer tiefen Down-Stimmung. In dieser Stimmung begann er dann die zweite Nachricht zu lesen. Nach dem er sie gelesen hatte, fuhr er sich über seine Stirn. Schmerz durchzog seine Gedanken. Er erkannte intuitiv, dass es ein Glück für ihn gegeben hatte, aber dass er es nicht mehr hatte und nie mehr haben würde. In diesem Moment meldete ihn der Besuchsassistent das Ankommen von Wüllerero in seinen Räumlichkeiten. Da stand Wüllerero auch schon im Raum. "Gratuliere dir lieber Altinterop" "Naja dir glaube ich das du es mir wirklich gönnst, die anderen aber werden sich sicher ärgern." "Na du klingst aber nicht wirklich zufrieden, was ist los? In dieser Stimmung wird man doch nicht Level 850-Kubujaner." "Da hast du recht, aber ich habe verlernt mich zu freuen. Wenn ich das jemand anderen aus dem Kubus sagen würde, keiner würde es verstehen, aber bei dir bin ich sicher, du weißt warum. Schau dich doch um, hier sitze ich und arbeite mich ein Job-Level um den anderen hoch. Und wozu das Ganze. Dazwischen mal eine aufgetakelte Kubusdame zur Ablenkung. Ich weiß nicht, was aus mir geworden ist, aber ich finde das alles so abtörnend und es wäre zum sich selbst suizidieren, wenn das alles nicht zu pseudodramatisch wäre." "Oh, seltsam, dass dich deine Höherstufung in eine solche Depri-Stimmung bringt". "Ach was, das ist es nicht. Lies, diese Message habe ich eben bekommen". Wüllerero schaute auf das Display und las. Er amüsierte sich bereits über die ersten Zeilen. "Wer schreibt denn so". Aber geduldig las er weiter. "Hallo Altinterop. Sorry dich zu kontaktieren. Keine andere Wahl. Pixi braucht Schutz. Und du hast diesen Schutz, und wertschätzt ihn doch nicht. Bitte sende Cyberdog Rollo2000 über einen Mittelsmann an uns. Pixi streift soviel allein durch die Gegend, da denkt sie oft an Rollo. Und auch Little-Anniechen fehlt ihr treuer Kamerad. Bitte tue, was logisch ist - hier wird Rollo gebraucht."

"Ja" sagte Wüllerero die AIs haben schon Mut und Zivilcourage" "Finde ich auch." "Und diese Message ist jetzt der Grund, warum es dir so schlecht geht? Ich mein, du wusstest doch bereits das Pixi sich mit Anni abgesetzt hat. Das ist doch nichts Neues für dich. Und auch das der Ort wo sie sind nicht all zu sicher ist, weiß doch jeder Kubujaner, aber sie haben ihr Schicksal doch selbst gewählt." "Haben sie das? Das geht mir schon lange durch den Kopf und diese kurzen Sätze haben mir meine Verantwortung wieder vor Augen geführt. All das quält mich seit Jahr und Tag schon. Irgendwie möchte ich aus dieser Geschichte raus und kann es doch nicht. Nichts gefällt mir mehr, je höher mein Level wird, desto mehr spüre ich den Verlust. Mein Leben ist schlicht und ergreifend gameover. Was soll ich jetzt noch damit anfangen. Der Mensch zu dem ich mich entwickelt habe ödet mich an. Ich habe meinen Elan, meine innere Glaubwürdigkeit verloren. Ich kann der Gesellschaft nicht mehr dienen. Ich kann und will nicht mehr der Ankläger der Nation sein. Kubujaner maßregeln und in Schranken weisen." Wüllerero nickte. "...nun schau, du nickst. All das kann und will ich nicht mehr. Und da hab ich mir überlegt, ob es nicht etwas wäre, mich in einen entfernten Twinkubus versetzen zu lassen. Je weiter weg und umso gefährlicher umso besser." "Ach was Altinterop, das sind Mindgames. Hör auf damit. Was soll das, das hast du doch nicht nötig. Du mit deinem Score wirst doch nicht strafversetzt und selbst nicht auf eigenen Antrag. Unmöglich." "Warum unmöglich, und wenn unmöglich, was dann?" fragte Altinterop verzweifelt. "Einfach hierbleiben und den Dingen seinen Lauf lassen. Wer ist denn immer glücklich? Und wer findet schon Sinn in seinem Leben? Das sind hohe Ansprüche. Gibt sicher viele, die auch sagen: "Eigentlich eine sehr fragwürdige Geschichte dieses Kubusleben." Auch ich habe meinen Backpack zu tragen. Wegzulaufen ist da aber keine Lösung. Aushalten und Durchstehen ist meine Devisen. Die Details des Lebens genießen und sich über die größeren Sachen keinen Kopf machen." "Gut, gut, aber ein Jahr ist lang und jeder einzelne Tag und dann die Abende." "Na komm schon Altinterop mit denen ist doch am leichtesten fertig zu werden, so ne gestandenen Orgie in Ehren kann doch kein richtiger Kubujaner verwehren. Und dann noch ein bisschen dies und das als Hilfsmittel zum Auflockern der angespannten Nerven und es lebt sich wie von allein. Hilfsmittel braucht es schon, sonst kann man es wahrlich nur schwer aushalten." Mit diesen Worten verabschiedete sich Wüllerero schnell, war es ihm doch fast peinlich mit Altinterop ein so intimes Gespräch geführt zu haben. Altinterop selbst fühlte sich durch Wüllereros Worte bestätigt. Vielleicht war das kleine, private Glück doch noch zu finden. Nur nicht zuviel erwarten. Das scheint der Schlüssel zu sein. "Und wohin gehst du nun Wüllerero" "Ach, ich denke, ich mach heute eine Shortbreak und gehe hinunter zu den Grotten der Lust. Ist doch ein ganz netter Zeitvertreib dort". "Und das freut dich, so etwas genügt dir?" "Ach, so halb und halb. Aber es hilft als Zeitvertreib,es ist schließlich eine Ablenkung vom Denken hin zum Fühlen. Das reicht mir". Und dann ging er.

Pixi Keith - die Anti-EffiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt