28. Kapitel

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Am anderen Abend reiste Altinterop nach Exgradies. Nach einem Trip auf einem Elektrotransporter, wechselte er auf das Elektroschnellboot Phönix2000, mit dem er auch schon bei der Anreise von seiner Gen-A-Fahrt zusammen mit Pixi gefahren war. Das Reisewetter war bestens. Mit viel Rückenwind näherte sich die Fähre schnell dem Hafen von Exgradies. Altinterop erinnerte sich an seine beiden Touren mit Pixi hier auf der Phönix2000. Fahrten die unterschiedlicher nicht sein konnten. Und heute war seine Stimmung noch düsterer als bei der letzten gemeinsamen Fahrt. Obwohl für ihn Exgradies immer Heimat und Schutz bedeutet hatte, fühlte er sich heute sehr unwohl. Er kam nur sehr ungern wieder hierher. Wieder und wieder sagte er innerlich zu sich: "Es muss sein, es muss sein."

Am Hafen wurde er von Wüllerero abgeholt. Beide begrüßten sich ohne zunächst ein Wort zu sprechen. Gemeinsam gingen sie zum nächsten Sozializing-Point. Hier setzten sie sich, orderten etwas zu trinken und begannen ohne Umweg über Smalltalk direkt über den Verlauf der Entpersonalisierung Esmeraldos zu sprechen. "Alles verläuft wie geplant, die soziale Identitätskartei Esmeraldos ist gehackt und steht zur Löschung bereit. Die inneren Zugangscodes wurden bereits überschrieben. Sobald du diesen Code hier aktivierst, wird Esmeraldos eine "Un-Person",  identitätslos, kubuslos, ausgestoßen aus der kubujanischen Welt".  Altinterop verstand vollkommen warum Wüllerero so direkt und unumwunden die Dinge beim Namen nannte und dennoch wurde er darüber zunehmend nervöser. "Wir haben noch Zeit", sagte Wüllerero. "Noch anderthalb Stunden oder doch beinah. Ich habe den Communitiytransporter um exactely vier Uhr geordert. Wir werden nicht länger als zehn Minuten brauchen, um am Meeting-Point zu sein." "Und wo ist der?" "Esmeraldos schlug erst eine Out-door-Schleuse im Südwesten vor. Aber dann unterbrach er sich und sagte: Nein, da doch nicht, da stecken so viele schöne Erinnerungen drin. So einigten wir uns auf die südlichste Schleuse." "Wie hat er es aufgenommen?" "Bewundernswert." "Humorvoll, nihilistisch?" "Weder das eine noch das andere. Ich gebe es zu. Ich war beeindruckt. Als ich sagte, worum es ging, wurde er zwar totenblass und rang mit seiner Fassung. Aber nur für einen Moment, dann war er wieder ganz cool und erschien nur traurig und zurückhaltend. Er weiß, wie es jetzt weitergeht und akzeptiert es. Er wirkt so, als ob er gerne Kubujaner ist und hier gerne lebt, aber gleichzeitig als ob all das hier für ihn keine wirkliche Bedeutung hat. Er scheint ohne Bedauern oder Zaudern sein bisheriges Leben loszulassen. Ein Freund von ihm wird ihn zum Treffpunkt begleiten, um zu sehen, das alles den Regeln gemäß abläuft und du nicht etwa doch in irrationaler Weise zu noch drastischeren Maßnahmen greifst.""Als ob das nicht drastisch genug ist, nein meine Hände mach ich mir nicht blutig. Sicher nicht". "Sein Freund hat auch verstanden, dass es sein muss. Nachdem ich ihm die ganze Story erzählt hatte, sagte er: "du hast Recht, Wüllerero, es muss sein." "Irgendwie wundert es mich, dass keiner deiner Clan-Mitglieder auftaucht, mittlerweile müsste die News doch schon im Kubus rum sein." Altinterop lächelte: "Das nehme ich keinem von ihnen übel. Sind feine Leutchen, die sich lieber kultiviert aus so etwas raushalten, dann brauchen sie auch keine Stellung zu beziehen. Und Lubujanka wäre mit dem Verlauf der Dinge gar nicht zufrieden und das gäbe einen Megastreit. Also bleibt sie mir, klug wie sie ist, fern."

"Wir müssen los, auf zum Elektrotransporter". Und schon ging die Fahrt los und brachte sie direkt zur Südschleuse. Der Weg führte über die Hochgleise direkt an Gradies Nr. 5 vorbei. "Da drüben habt ihr also gelebt. Da laufen aber viele Schächte und Kanäle drüber weg. War das nicht ungemütlich?". Als Wüllerero das sagte, überkam Altinterop zum ersten mal ein Gefühl von Abneigung und Distanziertheit gegenüber seinem eigenen Heimatkubus. Ein Gefühl, das er selbst so gar noch nicht gekannt hatte machte sich in ihm breit und er war froh, als der Transporter an Gradies Nr.5 vorbei war. "Der Clan-Komplex sieht von hier oben betrachtet öde und übertechnisiert aus." "Ja das mag sein, die Belüftungs- und Versorgungsschächte von Exgradies treffen hier auf einander. Diese zentrale Lage war immer wieder Anlass für ausgeprägten esoterischen Gesprächsstoff." "Was hat es denn damit auf sich?" "Ach, dummes Zeug - Angst vor der Einschleppung exterritorialer Virenstämme aus dem Weltall oder auch das vorhergesagte Auftauchen von seltsamen todbringenden Aliens direkt am Mondflughafen von Exgradies. Aber lassen wir das jetzt lieber, ich möchte mich konzentrieren und stabilisieren."

Kurz nach dieser Gesprächssequenz erreichte der Transporter die Schleusenzufahrt. Scheppernd öffneten sich die Gleittüren des Transporters. Draußen stand bereits Esmeraldos und sein ihn begleitender Freund. Etwas seitlich davon stand der von Wüllerero bestellte Exekutor. Ohne Esmeraldos eines einzigen Blickes zu würdigen, wandte sich Altinterop direkt an diesen. Ohne Zögern aktivierte Altinterop mit seinem Fingerprint die endgültige Löschung der Identitätsdatei. Als dieser Schritt beendet war, nahm derExekutor seinen Deaktivierungsdecoder und näherte sich Esmeraldos. Ohne Widerstand ließ sich dieser seinen Identitätschip abnehmen und den Deaktivierungsscan über seinen Body-Transponder laufen. Während der Löschung warf Esmeraldos einen schnellen wehmütigen Blick auf Altinterop, da aber öffnete sich bereits die Schleuse und der Exekutor drängte Esmeraldos mit körperlichem Einsatz nach draußen. Alles ging ganz rasch. Altinterop wendete sich ab. Als er über die Grenzlinie geschoben war, stand Esmeraldos ganz ruhig da und schaute zu, wie sich die Schleuse langsam vor ihm schloss. Dann rief er noch: "Willst du...", der Rest des Satzes wurde jedoch von der sich schließenden Schleuse übertönt. Noch ein schmerzlicher, aber trotzdem freundlicher Blick und dann war er fort, verschwand hinter der trennenden Stahlschleuse.

Pixi Keith - die Anti-EffiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt